ten und Ausrottung des Bösen im gemeinen Wesen einen besondern Beruff haben müsse. Jst nicht ein jeder recht- schaffener Bürger verbunden, vor sich selbst zur Aufnahme und Wohlfahrt der Republick so viel beyzutragen, als er kan? Und was bedarf er also einer neuen Bestallung seine Einsicht in moralischen Dingen, zur gemeinen Besserung in Schrifften zu zeigen? Hierzu kommt noch die Liebe zur Tugend, und der hefftige Abscheu vor den herrschenden La- stern, der einen ehrlichen Juvenal so lange innerlich quä- let, bis er endlich losbricht:
Difficile est Satyram non scribere. Nam quis iniquae Tam patiens vrbis, tam ferreus, vt teneat se?
Und bald darauf in eben der I. Satire:
Quid referam, quanta siccum jecur ardeat ira, Cum populum gregibus comitum premat, hic spoliator Pupilli prostantis?
So lange es also recht seyn wird, das böse zu hassen, so lange werden auch die Satirenschreiber keiner weitern Ver- theidigung nöthig haben: Wenn sie sich nur nicht an un- schuldige Leute machen, und Dinge vor Laster ausschreyen, die keine sind. Denn in solchem Falle werden sie Lästerer und Pasqvillanten. Man sehe hiervon nach, was in der vernünftigen Tadl. II. Th. XXX. St. von dem Unterscheide der wahren Satire und ehrenrühriger Pasqville ausführ- licher gesaget worden.
Und in der That muß man sich wundern, warum man denen, die in gebundner Schreibart wieder die Laster ei- fern, das Handwerck, so zu reden, legen wollen: da man doch den Philosophen, solches in ungebundner Rede zu thun, niemahls untersaget hat. Wer lobt nicht die Schriff- ten eines Seneca und andrer Moralisten von der Art? Wer weiß aber nicht, daß sie sich sehr offt einer weit schär- fern satirischen Schreibart bedienet haben, als die hefftig- sten Poeten? Soll es nun prosaisch nicht schädlich seyn, die Auslachenswürdigkeit und Abscheulichkeit der Laster und ihrer Selaven abzuschildern, warum wird es poetischen
Gei-
Von Satiren.
ten und Ausrottung des Boͤſen im gemeinen Weſen einen beſondern Beruff haben muͤſſe. Jſt nicht ein jeder recht- ſchaffener Buͤrger verbunden, vor ſich ſelbſt zur Aufnahme und Wohlfahrt der Republick ſo viel beyzutragen, als er kan? Und was bedarf er alſo einer neuen Beſtallung ſeine Einſicht in moraliſchen Dingen, zur gemeinen Beſſerung in Schrifften zu zeigen? Hierzu kommt noch die Liebe zur Tugend, und der hefftige Abſcheu vor den herrſchenden La- ſtern, der einen ehrlichen Juvenal ſo lange innerlich quaͤ- let, bis er endlich losbricht:
Difficile eſt Satyram non ſcribere. Nam quis iniquae Tam patiens vrbis, tam ferreus, vt teneat ſe?
Und bald darauf in eben der I. Satire:
Quid referam, quanta ſiccum jecur ardeat ira, Cum populum gregibus comitum premat, hic ſpoliator Pupilli proſtantis?
So lange es alſo recht ſeyn wird, das boͤſe zu haſſen, ſo lange werden auch die Satirenſchreiber keiner weitern Ver- theidigung noͤthig haben: Wenn ſie ſich nur nicht an un- ſchuldige Leute machen, und Dinge vor Laſter ausſchreyen, die keine ſind. Denn in ſolchem Falle werden ſie Laͤſterer und Pasqvillanten. Man ſehe hiervon nach, was in der vernuͤnftigen Tadl. II. Th. XXX. St. von dem Unterſcheide der wahren Satire und ehrenruͤhriger Pasqville ausfuͤhr- licher geſaget worden.
Und in der That muß man ſich wundern, warum man denen, die in gebundner Schreibart wieder die Laſter ei- fern, das Handwerck, ſo zu reden, legen wollen: da man doch den Philoſophen, ſolches in ungebundner Rede zu thun, niemahls unterſaget hat. Wer lobt nicht die Schriff- ten eines Seneca und andrer Moraliſten von der Art? Wer weiß aber nicht, daß ſie ſich ſehr offt einer weit ſchaͤr- fern ſatiriſchen Schreibart bedienet haben, als die hefftig- ſten Poeten? Soll es nun proſaiſch nicht ſchaͤdlich ſeyn, die Auslachenswuͤrdigkeit und Abſcheulichkeit der Laſter und ihrer Selaven abzuſchildern, warum wird es poetiſchen
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Von Satiren.
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ſchaffener Buͤrger verbunden, vor ſich ſelbſt zur Aufnahme
und Wohlfahrt der Republick ſo viel beyzutragen, als er
kan? Und was bedarf er alſo einer neuen Beſtallung ſeine
Einſicht in moraliſchen Dingen, zur gemeinen Beſſerung
in Schrifften zu zeigen? Hierzu kommt noch die Liebe zur
Tugend, und der hefftige Abſcheu vor den herrſchenden La-
ſtern, der einen ehrlichen Juvenal ſo lange innerlich quaͤ-
let, bis er endlich losbricht:
Difficile eſt Satyram non ſcribere. Nam quis iniquae
Tam patiens vrbis, tam ferreus, vt teneat ſe?
Und bald darauf in eben der I. Satire:
Quid referam, quanta ſiccum jecur ardeat ira,
Cum populum gregibus comitum premat, hic ſpoliator
Pupilli proſtantis?
So lange es alſo recht ſeyn wird, das boͤſe zu haſſen, ſo
lange werden auch die Satirenſchreiber keiner weitern Ver-
theidigung noͤthig haben: Wenn ſie ſich nur nicht an un-
ſchuldige Leute machen, und Dinge vor Laſter ausſchreyen,
die keine ſind. Denn in ſolchem Falle werden ſie Laͤſterer
und Pasqvillanten. Man ſehe hiervon nach, was in der
vernuͤnftigen Tadl. II. Th. XXX. St. von dem Unterſcheide
der wahren Satire und ehrenruͤhriger Pasqville ausfuͤhr-
licher geſaget worden.
Und in der That muß man ſich wundern, warum man
denen, die in gebundner Schreibart wieder die Laſter ei-
fern, das Handwerck, ſo zu reden, legen wollen: da man
doch den Philoſophen, ſolches in ungebundner Rede zu
thun, niemahls unterſaget hat. Wer lobt nicht die Schriff-
ten eines Seneca und andrer Moraliſten von der Art?
Wer weiß aber nicht, daß ſie ſich ſehr offt einer weit ſchaͤr-
fern ſatiriſchen Schreibart bedienet haben, als die hefftig-
ſten Poeten? Soll es nun proſaiſch nicht ſchaͤdlich ſeyn, die
Auslachenswuͤrdigkeit und Abſcheulichkeit der Laſter und
ihrer Selaven abzuſchildern, warum wird es poetiſchen
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Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730, S. 461. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/489>, abgerufen am 22.11.2024.
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