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Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730.

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Von poetischen Sendschreiben.

Man sagt, Jhr beyde seyd in den Magister-Orden
Verwichne Woche nur mit Ruhm erhoben worden.
So sehr gemein das Ding, hier wo die Pleiße fliest,
Und in der Nachbarschafft auf Luthers Lehr-Stuhl ist;
So seltsam dünckt es mich, daß man bey euch desgleichen
Der Weisheit edlen Krantz, euch Pallas-Kindern reichen,
Und euch belohnen will. Die stoltze Themis zwar
Und Meditrine prangt mit Tempel und Altar;
Jndem Eusebia, den Sitz von diesen Beyden,
Wo sie die Hoffstadt hält, noch ziemlich pflegt zu leiden.
Allein Minervens Geist, die Philosophen-Zunft,
Der thörichte Verstand, die heydnische Vernunft,
Jst ihrer Heiligkeit vorlängst verhaßt gewesen.
Denn wer den Plato liebt, den Stagirit gelesen,
Den klugen Tullius und Seneca studirt,
Ja gar der seltnen Brut der Zweifler nachgespürt;
Der grübelt allzuviel mit thörichten Gedancken,
Und will sich gar zuletzt um Glaubens-Puncte zancken.
Bald ist ihm das nicht recht, bald fällt ihm da was ein;
Er will ein schlauer Luchs und andrer Argus seyn;
Denn kan sein spitzer Kopf nicht jeden Satz begreifen,
So sieht man ihn mit Macht die Zweifels-Knoten häufen.
Er pocht auf die Vernunft und macht den kühnen Schluß:
Daß sie als Richterin den Streit entscheiden muß;
Ja liesse sich wohl gar viel lieber Geist und Glauben,
Als den geringsten Satz aus seiner Weisheit rauben.

Wie billig ist es denn, daß man mit Vorbedacht,
Bey euch nicht gar zu viel aus Philosophen macht;
Die Einfalt höher schätzt, als des Verstandes Gaben,
Die mit Natur und Welt zu viel Gemeinschafft haben!
Jhr Freunde, seht ihr nun, was mich in Zweifel setzt?
Jch wundre mich, daß euch ein Lorbeer-Krantz ergetzt:
Da ihr doch willens seyd das Eitle zu verfluchen,
Das wahre Christenthum mit allem Ernst zu suchen,
Von lauter Gnade sprecht; hingegen Fleisch und Blut,
Dem Geist, Vernunft und Witz fast immer Vorschub thut,
Ersticket und verdammt. Jn Wahrheit, dieß Bezeigen
Erweckt in meiner Brust ein zweifelhafftes Schweigen.
Denn wie stimmt euer Thun mit eurer Absicht ein?
Wie kan man weiß und fromm, gelehrt und heilig seyn?
Die Weisheit dieser Welt vor Aberwitz erkennen;
Und sich doch öffentlich der Weisheit Meister nennen?
Sucht in Geschichten nach, wie manche Ketzerey
Die schnöde Mißgeburt der Philosophen sey?
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Von poetiſchen Sendſchreiben.

Man ſagt, Jhr beyde ſeyd in den Magiſter-Orden
Verwichne Woche nur mit Ruhm erhoben worden.
So ſehr gemein das Ding, hier wo die Pleiße flieſt,
Und in der Nachbarſchafft auf Luthers Lehr-Stuhl iſt;
So ſeltſam duͤnckt es mich, daß man bey euch desgleichen
Der Weisheit edlen Krantz, euch Pallas-Kindern reichen,
Und euch belohnen will. Die ſtoltze Themis zwar
Und Meditrine prangt mit Tempel und Altar;
Jndem Euſebia, den Sitz von dieſen Beyden,
Wo ſie die Hoffſtadt haͤlt, noch ziemlich pflegt zu leiden.
Allein Minervens Geiſt, die Philoſophen-Zunft,
Der thoͤrichte Verſtand, die heydniſche Vernunft,
Jſt ihrer Heiligkeit vorlaͤngſt verhaßt geweſen.
Denn wer den Plato liebt, den Stagirit geleſen,
Den klugen Tullius und Seneca ſtudirt,
Ja gar der ſeltnen Brut der Zweifler nachgeſpuͤrt;
Der gruͤbelt allzuviel mit thoͤrichten Gedancken,
Und will ſich gar zuletzt um Glaubens-Puncte zancken.
Bald iſt ihm das nicht recht, bald faͤllt ihm da was ein;
Er will ein ſchlauer Luchs und andrer Argus ſeyn;
Denn kan ſein ſpitzer Kopf nicht jeden Satz begreifen,
So ſieht man ihn mit Macht die Zweifels-Knoten haͤufen.
Er pocht auf die Vernunft und macht den kuͤhnen Schluß:
Daß ſie als Richterin den Streit entſcheiden muß;
Ja lieſſe ſich wohl gar viel lieber Geiſt und Glauben,
Als den geringſten Satz aus ſeiner Weisheit rauben.

Wie billig iſt es denn, daß man mit Vorbedacht,
Bey euch nicht gar zu viel aus Philoſophen macht;
Die Einfalt hoͤher ſchaͤtzt, als des Verſtandes Gaben,
Die mit Natur und Welt zu viel Gemeinſchafft haben!
Jhr Freunde, ſeht ihr nun, was mich in Zweifel ſetzt?
Jch wundre mich, daß euch ein Lorbeer-Krantz ergetzt:
Da ihr doch willens ſeyd das Eitle zu verfluchen,
Das wahre Chriſtenthum mit allem Ernſt zu ſuchen,
Von lauter Gnade ſprecht; hingegen Fleiſch und Blut,
Dem Geiſt, Vernunft und Witz faſt immer Vorſchub thut,
Erſticket und verdammt. Jn Wahrheit, dieß Bezeigen
Erweckt in meiner Bruſt ein zweifelhafftes Schweigen.
Denn wie ſtimmt euer Thun mit eurer Abſicht ein?
Wie kan man weiß und fromm, gelehrt und heilig ſeyn?
Die Weisheit dieſer Welt vor Aberwitz erkennen;
Und ſich doch oͤffentlich der Weisheit Meiſter nennen?
Sucht in Geſchichten nach, wie manche Ketzerey
Die ſchnoͤde Mißgeburt der Philoſophen ſey?
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[455/0483] Von poetiſchen Sendſchreiben. Man ſagt, Jhr beyde ſeyd in den Magiſter-Orden Verwichne Woche nur mit Ruhm erhoben worden. So ſehr gemein das Ding, hier wo die Pleiße flieſt, Und in der Nachbarſchafft auf Luthers Lehr-Stuhl iſt; So ſeltſam duͤnckt es mich, daß man bey euch desgleichen Der Weisheit edlen Krantz, euch Pallas-Kindern reichen, Und euch belohnen will. Die ſtoltze Themis zwar Und Meditrine prangt mit Tempel und Altar; Jndem Euſebia, den Sitz von dieſen Beyden, Wo ſie die Hoffſtadt haͤlt, noch ziemlich pflegt zu leiden. Allein Minervens Geiſt, die Philoſophen-Zunft, Der thoͤrichte Verſtand, die heydniſche Vernunft, Jſt ihrer Heiligkeit vorlaͤngſt verhaßt geweſen. Denn wer den Plato liebt, den Stagirit geleſen, Den klugen Tullius und Seneca ſtudirt, Ja gar der ſeltnen Brut der Zweifler nachgeſpuͤrt; Der gruͤbelt allzuviel mit thoͤrichten Gedancken, Und will ſich gar zuletzt um Glaubens-Puncte zancken. Bald iſt ihm das nicht recht, bald faͤllt ihm da was ein; Er will ein ſchlauer Luchs und andrer Argus ſeyn; Denn kan ſein ſpitzer Kopf nicht jeden Satz begreifen, So ſieht man ihn mit Macht die Zweifels-Knoten haͤufen. Er pocht auf die Vernunft und macht den kuͤhnen Schluß: Daß ſie als Richterin den Streit entſcheiden muß; Ja lieſſe ſich wohl gar viel lieber Geiſt und Glauben, Als den geringſten Satz aus ſeiner Weisheit rauben. Wie billig iſt es denn, daß man mit Vorbedacht, Bey euch nicht gar zu viel aus Philoſophen macht; Die Einfalt hoͤher ſchaͤtzt, als des Verſtandes Gaben, Die mit Natur und Welt zu viel Gemeinſchafft haben! Jhr Freunde, ſeht ihr nun, was mich in Zweifel ſetzt? Jch wundre mich, daß euch ein Lorbeer-Krantz ergetzt: Da ihr doch willens ſeyd das Eitle zu verfluchen, Das wahre Chriſtenthum mit allem Ernſt zu ſuchen, Von lauter Gnade ſprecht; hingegen Fleiſch und Blut, Dem Geiſt, Vernunft und Witz faſt immer Vorſchub thut, Erſticket und verdammt. Jn Wahrheit, dieß Bezeigen Erweckt in meiner Bruſt ein zweifelhafftes Schweigen. Denn wie ſtimmt euer Thun mit eurer Abſicht ein? Wie kan man weiß und fromm, gelehrt und heilig ſeyn? Die Weisheit dieſer Welt vor Aberwitz erkennen; Und ſich doch oͤffentlich der Weisheit Meiſter nennen? Sucht in Geſchichten nach, wie manche Ketzerey Die ſchnoͤde Mißgeburt der Philoſophen ſey? Wi F f 4

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Zitationshilfe: Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730, S. 455. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/483>, abgerufen am 04.11.2024.