Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730.

Bild:
<< vorherige Seite

Von poetischen Sendschreiben.

Dein Königlicher Sohn heißt so wie du, August,
Und ist auch, so wie du, der Unterthanen Lust.
Und da er bis anher dein Amt verwalten sollte,
So schiens, als ob uns GOtt die Schmertzen lindern wollte,
Die dein Entfernen uns vor diesesmahl erweckt.
Mein König, bloß dein Schmertz hat uns so sehr erschreckt,
Dein Schmertz, den du nicht mehr an deines Schenckels Wunden
Als jedermann von uns in seiner Brust empfunden.
Herr, hättest du dißmahl der Seufzer Zahl erblickt,
Die dein gekräncktes Land gen Himmel abgeschickt:
So hätte dir, wiewohl dich nie ein Leid bezwungen;
Der Eifer deines Volcks noch Zähren abgedrungen.
Der Himmel gab auch bald auf unsre Wehmuth acht,
Und schwächte nach und nach des Ubels strenge Macht;
Gantz Sachsen aber ließ, bey grober Stücke Knallen,
Sein Loblied fast so laut als ihren Donner schallen.

Nichts hat uns mehr gefehlt, als bloß die Wiederkehr
Des Königs in sein Land. Was wünschte man so sehr?
Und wornach seufzte man, nachdem die Cur geschehen;
Als dich, mein König, bald genesen hier zusehen.
Du hast den Wunsch erhört. Du kamst in Sachsen an,
Der Frühling schmückte selbst die vor beschneyte Bahn,
Mit Blumen, Laub und Gras, die deinen Fürsten-Wagen,
Von deinem Warschau an bis Leipzig sollte tragen.
Sie trug dich freudig hin, und wer ward nicht gerührt,
Und wer hat nicht die Lust der regen Stadt gespürt,
Als der vermischte Ruf: Der König ist gekommen,
Augustus ist schon da! Die Gassen eingenommen.
Die Fremden, die man itzt in unsern Mauren sieht,
Weil sie Gewinnst und Glück nach Leipzigs Thoren zieht,
Erstaunten fast dabey; und könnens nicht begreifen
Wie sehr sich Lust und Danck auf unsern Lippen häufen.
Das macht, sie wissens nicht, wie höchstbeglückt man ist,
Wo Friedrich August herrscht, wo du Herr, König bist.
Doch treten sie mit uns voll Sehnsucht und Entzücken,
Zu tausenden hervor, dein Antlitz zu erblicken.
Verzeihe, theurer Held, daß deines Knechtes Pflicht
Von dem, was schon geschehn, mit so viel Worten spricht.
Der angebrochne Tag, der dich der Welt geschencket,
Hat den erfreuten Kiel auf Schmertz und Lust gelencket,
Die uns zum Theil betrübt, zum Theil hernach erfreut,
Doch itzt hat in der That der Sachsen Freudigkeit,
Den höchsten Grad erlangt. Das Jahr hat sich erneuert,
Es wird von Hof und Stadt das große Fest gefeyert,
Das

Von poetiſchen Sendſchreiben.

Dein Koͤniglicher Sohn heißt ſo wie du, Auguſt,
Und iſt auch, ſo wie du, der Unterthanen Luſt.
Und da er bis anher dein Amt verwalten ſollte,
So ſchiens, als ob uns GOtt die Schmertzen lindern wollte,
Die dein Entfernen uns vor dieſesmahl erweckt.
Mein Koͤnig, bloß dein Schmertz hat uns ſo ſehr erſchreckt,
Dein Schmertz, den du nicht mehr an deines Schenckels Wunden
Als jedermann von uns in ſeiner Bruſt empfunden.
Herr, haͤtteſt du dißmahl der Seufzer Zahl erblickt,
Die dein gekraͤncktes Land gen Himmel abgeſchickt:
So haͤtte dir, wiewohl dich nie ein Leid bezwungen;
Der Eifer deines Volcks noch Zaͤhren abgedrungen.
Der Himmel gab auch bald auf unſre Wehmuth acht,
Und ſchwaͤchte nach und nach des Ubels ſtrenge Macht;
Gantz Sachſen aber ließ, bey grober Stuͤcke Knallen,
Sein Loblied faſt ſo laut als ihren Donner ſchallen.

Nichts hat uns mehr gefehlt, als bloß die Wiederkehr
Des Koͤnigs in ſein Land. Was wuͤnſchte man ſo ſehr?
Und wornach ſeufzte man, nachdem die Cur geſchehen;
Als dich, mein Koͤnig, bald geneſen hier zuſehen.
Du haſt den Wunſch erhoͤrt. Du kamſt in Sachſen an,
Der Fruͤhling ſchmuͤckte ſelbſt die vor beſchneyte Bahn,
Mit Blumen, Laub und Gras, die deinen Fuͤrſten-Wagen,
Von deinem Warſchau an bis Leipzig ſollte tragen.
Sie trug dich freudig hin, und wer ward nicht geruͤhrt,
Und wer hat nicht die Luſt der regen Stadt geſpuͤrt,
Als der vermiſchte Ruf: Der Koͤnig iſt gekommen,
Auguſtus iſt ſchon da! Die Gaſſen eingenommen.
Die Fremden, die man itzt in unſern Mauren ſieht,
Weil ſie Gewinnſt und Gluͤck nach Leipzigs Thoren zieht,
Erſtaunten faſt dabey; und koͤnnens nicht begreifen
Wie ſehr ſich Luſt und Danck auf unſern Lippen haͤufen.
Das macht, ſie wiſſens nicht, wie hoͤchſtbegluͤckt man iſt,
Wo Friedrich Auguſt herrſcht, wo du Herr, Koͤnig biſt.
Doch treten ſie mit uns voll Sehnſucht und Entzuͤcken,
Zu tauſenden hervor, dein Antlitz zu erblicken.
Verzeihe, theurer Held, daß deines Knechtes Pflicht
Von dem, was ſchon geſchehn, mit ſo viel Worten ſpricht.
Der angebrochne Tag, der dich der Welt geſchencket,
Hat den erfreuten Kiel auf Schmertz und Luſt gelencket,
Die uns zum Theil betruͤbt, zum Theil hernach erfreut,
Doch itzt hat in der That der Sachſen Freudigkeit,
Den hoͤchſten Grad erlangt. Das Jahr hat ſich erneuert,
Es wird von Hof und Stadt das große Feſt gefeyert,
Das
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <lg type="poem">
              <lg n="5">
                <l>
                  <pb facs="#f0471" n="443"/>
                  <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Von poeti&#x017F;chen Send&#x017F;chreiben.</hi> </fw>
                </l><lb/>
                <l>Dein Ko&#x0364;niglicher Sohn heißt &#x017F;o wie du, Augu&#x017F;t,</l><lb/>
                <l>Und i&#x017F;t auch, &#x017F;o wie du, der Unterthanen Lu&#x017F;t.</l><lb/>
                <l>Und da er bis anher dein Amt verwalten &#x017F;ollte,</l><lb/>
                <l>So &#x017F;chiens, als ob uns GOtt die Schmertzen lindern wollte,</l><lb/>
                <l>Die dein Entfernen uns vor die&#x017F;esmahl erweckt.</l><lb/>
                <l>Mein Ko&#x0364;nig, bloß dein Schmertz hat uns &#x017F;o &#x017F;ehr er&#x017F;chreckt,</l><lb/>
                <l>Dein Schmertz, den du nicht mehr an deines Schenckels Wunden</l><lb/>
                <l>Als jedermann von uns in &#x017F;einer Bru&#x017F;t empfunden.</l><lb/>
                <l>Herr, ha&#x0364;tte&#x017F;t du dißmahl der Seufzer Zahl erblickt,</l><lb/>
                <l>Die dein gekra&#x0364;ncktes Land gen Himmel abge&#x017F;chickt:</l><lb/>
                <l>So ha&#x0364;tte dir, wiewohl dich nie ein Leid bezwungen;</l><lb/>
                <l>Der Eifer deines Volcks noch Za&#x0364;hren abgedrungen.</l><lb/>
                <l>Der Himmel gab auch bald auf un&#x017F;re Wehmuth acht,</l><lb/>
                <l>Und &#x017F;chwa&#x0364;chte nach und nach des Ubels &#x017F;trenge Macht;</l><lb/>
                <l>Gantz Sach&#x017F;en aber ließ, bey grober Stu&#x0364;cke Knallen,</l><lb/>
                <l>Sein Loblied fa&#x017F;t &#x017F;o laut als ihren Donner &#x017F;challen.</l>
              </lg><lb/>
              <lg n="6">
                <l>Nichts hat uns mehr gefehlt, als bloß die Wiederkehr</l><lb/>
                <l>Des Ko&#x0364;nigs in &#x017F;ein Land. Was wu&#x0364;n&#x017F;chte man &#x017F;o &#x017F;ehr?</l><lb/>
                <l>Und wornach &#x017F;eufzte man, nachdem die Cur ge&#x017F;chehen;</l><lb/>
                <l>Als dich, mein Ko&#x0364;nig, bald gene&#x017F;en hier zu&#x017F;ehen.</l><lb/>
                <l>Du ha&#x017F;t den Wun&#x017F;ch erho&#x0364;rt. Du kam&#x017F;t in Sach&#x017F;en an,</l><lb/>
                <l>Der Fru&#x0364;hling &#x017F;chmu&#x0364;ckte &#x017F;elb&#x017F;t die vor be&#x017F;chneyte Bahn,</l><lb/>
                <l>Mit Blumen, Laub und Gras, die deinen Fu&#x0364;r&#x017F;ten-Wagen,</l><lb/>
                <l>Von deinem War&#x017F;chau an bis Leipzig &#x017F;ollte tragen.</l><lb/>
                <l>Sie trug dich freudig hin, und wer ward nicht geru&#x0364;hrt,</l><lb/>
                <l>Und wer hat nicht die Lu&#x017F;t der regen Stadt ge&#x017F;pu&#x0364;rt,</l><lb/>
                <l>Als der vermi&#x017F;chte Ruf: Der Ko&#x0364;nig i&#x017F;t gekommen,</l><lb/>
                <l>Augu&#x017F;tus i&#x017F;t &#x017F;chon da! Die Ga&#x017F;&#x017F;en eingenommen.</l><lb/>
                <l>Die Fremden, die man itzt in un&#x017F;ern Mauren &#x017F;ieht,</l><lb/>
                <l>Weil &#x017F;ie Gewinn&#x017F;t und Glu&#x0364;ck nach Leipzigs Thoren zieht,</l><lb/>
                <l>Er&#x017F;taunten fa&#x017F;t dabey; und ko&#x0364;nnens nicht begreifen</l><lb/>
                <l>Wie &#x017F;ehr &#x017F;ich Lu&#x017F;t und Danck auf un&#x017F;ern Lippen ha&#x0364;ufen.</l><lb/>
                <l>Das macht, &#x017F;ie wi&#x017F;&#x017F;ens nicht, wie ho&#x0364;ch&#x017F;tbeglu&#x0364;ckt man i&#x017F;t,</l><lb/>
                <l>Wo Friedrich Augu&#x017F;t herr&#x017F;cht, wo du Herr, Ko&#x0364;nig bi&#x017F;t.</l><lb/>
                <l>Doch treten &#x017F;ie mit uns voll Sehn&#x017F;ucht und Entzu&#x0364;cken,</l><lb/>
                <l>Zu tau&#x017F;enden hervor, dein Antlitz zu erblicken.</l>
              </lg><lb/>
              <lg n="7">
                <l>Verzeihe, theurer Held, daß deines Knechtes Pflicht</l><lb/>
                <l>Von dem, was &#x017F;chon ge&#x017F;chehn, mit &#x017F;o viel Worten &#x017F;pricht.</l><lb/>
                <l>Der angebrochne Tag, der dich der Welt ge&#x017F;chencket,</l><lb/>
                <l>Hat den erfreuten Kiel auf Schmertz und Lu&#x017F;t gelencket,</l><lb/>
                <l>Die uns zum Theil betru&#x0364;bt, zum Theil hernach erfreut,</l><lb/>
                <l>Doch itzt hat in der That der Sach&#x017F;en Freudigkeit,</l><lb/>
                <l>Den ho&#x0364;ch&#x017F;ten Grad erlangt. Das Jahr hat &#x017F;ich erneuert,</l><lb/>
                <l>Es wird von Hof und Stadt das große Fe&#x017F;t gefeyert,<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Das</fw><lb/></l>
              </lg>
            </lg>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[443/0471] Von poetiſchen Sendſchreiben. Dein Koͤniglicher Sohn heißt ſo wie du, Auguſt, Und iſt auch, ſo wie du, der Unterthanen Luſt. Und da er bis anher dein Amt verwalten ſollte, So ſchiens, als ob uns GOtt die Schmertzen lindern wollte, Die dein Entfernen uns vor dieſesmahl erweckt. Mein Koͤnig, bloß dein Schmertz hat uns ſo ſehr erſchreckt, Dein Schmertz, den du nicht mehr an deines Schenckels Wunden Als jedermann von uns in ſeiner Bruſt empfunden. Herr, haͤtteſt du dißmahl der Seufzer Zahl erblickt, Die dein gekraͤncktes Land gen Himmel abgeſchickt: So haͤtte dir, wiewohl dich nie ein Leid bezwungen; Der Eifer deines Volcks noch Zaͤhren abgedrungen. Der Himmel gab auch bald auf unſre Wehmuth acht, Und ſchwaͤchte nach und nach des Ubels ſtrenge Macht; Gantz Sachſen aber ließ, bey grober Stuͤcke Knallen, Sein Loblied faſt ſo laut als ihren Donner ſchallen. Nichts hat uns mehr gefehlt, als bloß die Wiederkehr Des Koͤnigs in ſein Land. Was wuͤnſchte man ſo ſehr? Und wornach ſeufzte man, nachdem die Cur geſchehen; Als dich, mein Koͤnig, bald geneſen hier zuſehen. Du haſt den Wunſch erhoͤrt. Du kamſt in Sachſen an, Der Fruͤhling ſchmuͤckte ſelbſt die vor beſchneyte Bahn, Mit Blumen, Laub und Gras, die deinen Fuͤrſten-Wagen, Von deinem Warſchau an bis Leipzig ſollte tragen. Sie trug dich freudig hin, und wer ward nicht geruͤhrt, Und wer hat nicht die Luſt der regen Stadt geſpuͤrt, Als der vermiſchte Ruf: Der Koͤnig iſt gekommen, Auguſtus iſt ſchon da! Die Gaſſen eingenommen. Die Fremden, die man itzt in unſern Mauren ſieht, Weil ſie Gewinnſt und Gluͤck nach Leipzigs Thoren zieht, Erſtaunten faſt dabey; und koͤnnens nicht begreifen Wie ſehr ſich Luſt und Danck auf unſern Lippen haͤufen. Das macht, ſie wiſſens nicht, wie hoͤchſtbegluͤckt man iſt, Wo Friedrich Auguſt herrſcht, wo du Herr, Koͤnig biſt. Doch treten ſie mit uns voll Sehnſucht und Entzuͤcken, Zu tauſenden hervor, dein Antlitz zu erblicken. Verzeihe, theurer Held, daß deines Knechtes Pflicht Von dem, was ſchon geſchehn, mit ſo viel Worten ſpricht. Der angebrochne Tag, der dich der Welt geſchencket, Hat den erfreuten Kiel auf Schmertz und Luſt gelencket, Die uns zum Theil betruͤbt, zum Theil hernach erfreut, Doch itzt hat in der That der Sachſen Freudigkeit, Den hoͤchſten Grad erlangt. Das Jahr hat ſich erneuert, Es wird von Hof und Stadt das große Feſt gefeyert, Das

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/471
Zitationshilfe: Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730, S. 443. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/471>, abgerufen am 04.11.2024.