Wie offt ich bis anher den Helicon bemüht, Der Musen Vaterland, aus Eifer auf ein Lied, Das lesenswürdig sey. Mein Sinn war, nach der Reyhen, Die Gaben, so ihr führt, Herr Rötel, auszuschreyen, Als Herold mit der Faust. etc.
Wenn ich aber diese Exempel anführe, so thue ichs nicht deßwegen, als ob sie so rar wären; sondern bloß zu zeigen, daß unsre ersten Poeten schon eben diese Begriffe davon gehabt. Jn Canitzen und Günthern stehen sehr viele von eben der Gattung, die auch ohne dem in jedermanns Hän- den sind.
Die andre Art solcher Briefe, das waren die lustigen oder schertzhafften, und davon giebt es eben so viel Exem- pel in unsern Poeten, als von den obigen. Sie werden sonderlich unter vertrauten Freunden, bey Hochzeiten, auch in andern Glückwünschen bey frölichen Zufällen gar häufig gebraucht. Exempel mag ich nicht anführen, theils weil sie überall vorkommen, theils weil dem einen offt etwas schertzhafft oder lustig zu seyn düncket, welches dem andern gantz gleichgültig vorkommt. Wie sich aber das Scherzen nur unter seines Gleichen schickt, so sieht man wohl, daß diese Art von Briefen sich an Standespersonen und Leute, die uns an Jahren weit übertreffen, nicht werde brauchen lassen. Ja weil auch Schertz und Schertz sehr unterschie- den ist; so muß man sich auf lauter erbare und erlaubte Schertzreden befleißen. Alle Grobheit, alle Zoten, alles Niederträchtige muß hier verbannet werden: Gute Einfälle dörfen deswegen keine Unflätereyen seyn, die dem Pöbel gemeiniglich ein Gelächter erwecken, bey Klugen aber Ab- scheu und Eckel verursachen. Wie man aber dergleichen Einfälle bekomme, das können keine Regeln lehren, das Naturell, der eigne Witz und Geist des Poeten bringt sie von sich selbst hervor, nachdem die Materien und Umstän- de es veranlassen. Wer lustige Bücher liest, und aufge- weckter Leute Gesellschafften besucht, der wird auch bey ei- ner mäßigen natürlichen Fähigkeit, bald geschickt werden, bey gegebener Gelegenheit einen lustigen Einfall nach dem
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Von poetiſchen Sendſchreiben.
Wie offt ich bis anher den Helicon bemuͤht, Der Muſen Vaterland, aus Eifer auf ein Lied, Das leſenswuͤrdig ſey. Mein Sinn war, nach der Reyhen, Die Gaben, ſo ihr fuͤhrt, Herr Roͤtel, auszuſchreyen, Als Herold mit der Fauſt. ꝛc.
Wenn ich aber dieſe Exempel anfuͤhre, ſo thue ichs nicht deßwegen, als ob ſie ſo rar waͤren; ſondern bloß zu zeigen, daß unſre erſten Poeten ſchon eben dieſe Begriffe davon gehabt. Jn Canitzen und Guͤnthern ſtehen ſehr viele von eben der Gattung, die auch ohne dem in jedermanns Haͤn- den ſind.
Die andre Art ſolcher Briefe, das waren die luſtigen oder ſchertzhafften, und davon giebt es eben ſo viel Exem- pel in unſern Poeten, als von den obigen. Sie werden ſonderlich unter vertrauten Freunden, bey Hochzeiten, auch in andern Gluͤckwuͤnſchen bey froͤlichen Zufaͤllen gar haͤufig gebraucht. Exempel mag ich nicht anfuͤhren, theils weil ſie uͤberall vorkommen, theils weil dem einen offt etwas ſchertzhafft oder luſtig zu ſeyn duͤncket, welches dem andern gantz gleichguͤltig vorkommt. Wie ſich aber das Scherzen nur unter ſeines Gleichen ſchickt, ſo ſieht man wohl, daß dieſe Art von Briefen ſich an Standesperſonen und Leute, die uns an Jahren weit uͤbertreffen, nicht werde brauchen laſſen. Ja weil auch Schertz und Schertz ſehr unterſchie- den iſt; ſo muß man ſich auf lauter erbare und erlaubte Schertzreden befleißen. Alle Grobheit, alle Zoten, alles Niedertraͤchtige muß hier verbannet werden: Gute Einfaͤlle doͤrfen deswegen keine Unflaͤtereyen ſeyn, die dem Poͤbel gemeiniglich ein Gelaͤchter erwecken, bey Klugen aber Ab- ſcheu und Eckel verurſachen. Wie man aber dergleichen Einfaͤlle bekomme, das koͤnnen keine Regeln lehren, das Naturell, der eigne Witz und Geiſt des Poeten bringt ſie von ſich ſelbſt hervor, nachdem die Materien und Umſtaͤn- de es veranlaſſen. Wer luſtige Buͤcher lieſt, und aufge- weckter Leute Geſellſchafften beſucht, der wird auch bey ei- ner maͤßigen natuͤrlichen Faͤhigkeit, bald geſchickt werden, bey gegebener Gelegenheit einen luſtigen Einfall nach dem
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Von poetiſchen Sendſchreiben.
Wie offt ich bis anher den Helicon bemuͤht,
Der Muſen Vaterland, aus Eifer auf ein Lied,
Das leſenswuͤrdig ſey. Mein Sinn war, nach der Reyhen,
Die Gaben, ſo ihr fuͤhrt, Herr Roͤtel, auszuſchreyen,
Als Herold mit der Fauſt. ꝛc.
Wenn ich aber dieſe Exempel anfuͤhre, ſo thue ichs nicht
deßwegen, als ob ſie ſo rar waͤren; ſondern bloß zu zeigen,
daß unſre erſten Poeten ſchon eben dieſe Begriffe davon
gehabt. Jn Canitzen und Guͤnthern ſtehen ſehr viele von
eben der Gattung, die auch ohne dem in jedermanns Haͤn-
den ſind.
Die andre Art ſolcher Briefe, das waren die luſtigen
oder ſchertzhafften, und davon giebt es eben ſo viel Exem-
pel in unſern Poeten, als von den obigen. Sie werden
ſonderlich unter vertrauten Freunden, bey Hochzeiten, auch
in andern Gluͤckwuͤnſchen bey froͤlichen Zufaͤllen gar haͤufig
gebraucht. Exempel mag ich nicht anfuͤhren, theils weil
ſie uͤberall vorkommen, theils weil dem einen offt etwas
ſchertzhafft oder luſtig zu ſeyn duͤncket, welches dem andern
gantz gleichguͤltig vorkommt. Wie ſich aber das Scherzen
nur unter ſeines Gleichen ſchickt, ſo ſieht man wohl, daß
dieſe Art von Briefen ſich an Standesperſonen und Leute,
die uns an Jahren weit uͤbertreffen, nicht werde brauchen
laſſen. Ja weil auch Schertz und Schertz ſehr unterſchie-
den iſt; ſo muß man ſich auf lauter erbare und erlaubte
Schertzreden befleißen. Alle Grobheit, alle Zoten, alles
Niedertraͤchtige muß hier verbannet werden: Gute Einfaͤlle
doͤrfen deswegen keine Unflaͤtereyen ſeyn, die dem Poͤbel
gemeiniglich ein Gelaͤchter erwecken, bey Klugen aber Ab-
ſcheu und Eckel verurſachen. Wie man aber dergleichen
Einfaͤlle bekomme, das koͤnnen keine Regeln lehren, das
Naturell, der eigne Witz und Geiſt des Poeten bringt ſie
von ſich ſelbſt hervor, nachdem die Materien und Umſtaͤn-
de es veranlaſſen. Wer luſtige Buͤcher lieſt, und aufge-
weckter Leute Geſellſchafften beſucht, der wird auch bey ei-
ner maͤßigen natuͤrlichen Faͤhigkeit, bald geſchickt werden,
bey gegebener Gelegenheit einen luſtigen Einfall nach dem
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Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730, S. 437. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/465>, abgerufen am 04.11.2024.
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