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Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730.

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Von Elegien.
Wie hätte sich nicht da sein zärtliches Gemüthe,
Bey so erwünschter Lust gedoppelt starck bewegt?
Wie hätte nicht sein Hertz das wallende Geblüte
Bey hocherfreuter Brust noch eins so schnell geregt?
Das war ja stets sein Wunsch. Er wünschte nicht zu sterben,
Bevor der Seinen Glück sein Hertze recht erfreut:
Zumahl er deutlich sah, daß ihm an seinen Erben,
Die angewandte Zucht kein einzigmahl gereut.
Betrübter Schmertzens-Tag! O Tag von tausend Klagen!
Der unsers Vaters Wunsch und Hoffnung unterbrach.
Wir sahen ihn bestürtzt in seine Grube tragen,
Und folgten seinem Sarg mit tausend Thränen nach.
Ach Liebster zürne nicht! Mein Kiel ist ausgeschweifet,
Cypressen schicken sich zu deinen Lorbern nicht,
Die Zärtlichkeit hat mich mit Schmertzen überhäufet,
Die dir ein falbes Reis in deine Kräntze flicht.
Wiewohl des Vaters Lust vertritt der Mutter Freude,
Wie klopft ihr reges Hertz bey dieser schönen Post?
Sie lacht, ich lache mit, wir lachen alle beyde,
Denn diese Zeitung schmeckt wie süsse Götter-Kost.
Komm, theurer Bruder, komm! ach komm doch bald zurücke,
Wir öffnen dir bereits Haus, Zimmer, Thür und Hertz.
Wir zehlen allesamt Tag, Stund und Augenblicke,
Und wissen ohne dich von nichts als Gram und Schmertz.
Komm, theurer Bruder, komm! ich warte mit Verlangen,
So offt ein Wagen fährt, seh ich vergnügt hinaus.
Als Bruder, will ich dich gantz Schwesterlich umfangen,
Es dehnen sich bereits die frohen Arme aus.
Komm, theurer Bruder, komm! und laß dich wieder küssen,
Erzehle, was bißher dir zugestossen ist,
Wir möchten gerne viel von Wien und Halle wissen,
Wo du nur neulich warst, und wo du itzo bist.
Den allerersten Tag, wenn du wirst wiederkommen,
Soll aller Schlummer weit von unsern Augen fliehn:
Und wenn der Schlaf zuletzt die Geister eingenommen,
Soll erst Aurora sehn den Vorhang um uns ziehn.
Jhr Posten! säumt euch nicht: Mein Bruder hat zu eilen,
Geliebter, dencke nicht, daß hier mein Kiel geschertzt,
Und laß dir dieses Blatt den schönen Gruß ertheilen,
Das deiner Schwester Mund an deiner statt gehertzt.
Das
E e
Von Elegien.
Wie haͤtte ſich nicht da ſein zaͤrtliches Gemuͤthe,
Bey ſo erwuͤnſchter Luſt gedoppelt ſtarck bewegt?
Wie haͤtte nicht ſein Hertz das wallende Gebluͤte
Bey hocherfreuter Bruſt noch eins ſo ſchnell geregt?
Das war ja ſtets ſein Wunſch. Er wuͤnſchte nicht zu ſterben,
Bevor der Seinen Gluͤck ſein Hertze recht erfreut:
Zumahl er deutlich ſah, daß ihm an ſeinen Erben,
Die angewandte Zucht kein einzigmahl gereut.
Betruͤbter Schmertzens-Tag! O Tag von tauſend Klagen!
Der unſers Vaters Wunſch und Hoffnung unterbrach.
Wir ſahen ihn beſtuͤrtzt in ſeine Grube tragen,
Und folgten ſeinem Sarg mit tauſend Thraͤnen nach.
Ach Liebſter zuͤrne nicht! Mein Kiel iſt ausgeſchweifet,
Cypreſſen ſchicken ſich zu deinen Lorbern nicht,
Die Zaͤrtlichkeit hat mich mit Schmertzen uͤberhaͤufet,
Die dir ein falbes Reis in deine Kraͤntze flicht.
Wiewohl des Vaters Luſt vertritt der Mutter Freude,
Wie klopft ihr reges Hertz bey dieſer ſchoͤnen Poſt?
Sie lacht, ich lache mit, wir lachen alle beyde,
Denn dieſe Zeitung ſchmeckt wie ſuͤſſe Goͤtter-Koſt.
Komm, theurer Bruder, komm! ach komm doch bald zuruͤcke,
Wir oͤffnen dir bereits Haus, Zimmer, Thuͤr und Hertz.
Wir zehlen alleſamt Tag, Stund und Augenblicke,
Und wiſſen ohne dich von nichts als Gram und Schmertz.
Komm, theurer Bruder, komm! ich warte mit Verlangen,
So offt ein Wagen faͤhrt, ſeh ich vergnuͤgt hinaus.
Als Bruder, will ich dich gantz Schweſterlich umfangen,
Es dehnen ſich bereits die frohen Arme aus.
Komm, theurer Bruder, komm! und laß dich wieder kuͤſſen,
Erzehle, was bißher dir zugeſtoſſen iſt,
Wir moͤchten gerne viel von Wien und Halle wiſſen,
Wo du nur neulich warſt, und wo du itzo biſt.
Den allererſten Tag, wenn du wirſt wiederkommen,
Soll aller Schlummer weit von unſern Augen fliehn:
Und wenn der Schlaf zuletzt die Geiſter eingenommen,
Soll erſt Aurora ſehn den Vorhang um uns ziehn.
Jhr Poſten! ſaͤumt euch nicht: Mein Bruder hat zu eilen,
Geliebter, dencke nicht, daß hier mein Kiel geſchertzt,
Und laß dir dieſes Blatt den ſchoͤnen Gruß ertheilen,
Das deiner Schweſter Mund an deiner ſtatt gehertzt.
Das
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[433/0461] Von Elegien. Wie haͤtte ſich nicht da ſein zaͤrtliches Gemuͤthe, Bey ſo erwuͤnſchter Luſt gedoppelt ſtarck bewegt? Wie haͤtte nicht ſein Hertz das wallende Gebluͤte Bey hocherfreuter Bruſt noch eins ſo ſchnell geregt? Das war ja ſtets ſein Wunſch. Er wuͤnſchte nicht zu ſterben, Bevor der Seinen Gluͤck ſein Hertze recht erfreut: Zumahl er deutlich ſah, daß ihm an ſeinen Erben, Die angewandte Zucht kein einzigmahl gereut. Betruͤbter Schmertzens-Tag! O Tag von tauſend Klagen! Der unſers Vaters Wunſch und Hoffnung unterbrach. Wir ſahen ihn beſtuͤrtzt in ſeine Grube tragen, Und folgten ſeinem Sarg mit tauſend Thraͤnen nach. Ach Liebſter zuͤrne nicht! Mein Kiel iſt ausgeſchweifet, Cypreſſen ſchicken ſich zu deinen Lorbern nicht, Die Zaͤrtlichkeit hat mich mit Schmertzen uͤberhaͤufet, Die dir ein falbes Reis in deine Kraͤntze flicht. Wiewohl des Vaters Luſt vertritt der Mutter Freude, Wie klopft ihr reges Hertz bey dieſer ſchoͤnen Poſt? Sie lacht, ich lache mit, wir lachen alle beyde, Denn dieſe Zeitung ſchmeckt wie ſuͤſſe Goͤtter-Koſt. Komm, theurer Bruder, komm! ach komm doch bald zuruͤcke, Wir oͤffnen dir bereits Haus, Zimmer, Thuͤr und Hertz. Wir zehlen alleſamt Tag, Stund und Augenblicke, Und wiſſen ohne dich von nichts als Gram und Schmertz. Komm, theurer Bruder, komm! ich warte mit Verlangen, So offt ein Wagen faͤhrt, ſeh ich vergnuͤgt hinaus. Als Bruder, will ich dich gantz Schweſterlich umfangen, Es dehnen ſich bereits die frohen Arme aus. Komm, theurer Bruder, komm! und laß dich wieder kuͤſſen, Erzehle, was bißher dir zugeſtoſſen iſt, Wir moͤchten gerne viel von Wien und Halle wiſſen, Wo du nur neulich warſt, und wo du itzo biſt. Den allererſten Tag, wenn du wirſt wiederkommen, Soll aller Schlummer weit von unſern Augen fliehn: Und wenn der Schlaf zuletzt die Geiſter eingenommen, Soll erſt Aurora ſehn den Vorhang um uns ziehn. Jhr Poſten! ſaͤumt euch nicht: Mein Bruder hat zu eilen, Geliebter, dencke nicht, daß hier mein Kiel geſchertzt, Und laß dir dieſes Blatt den ſchoͤnen Gruß ertheilen, Das deiner Schweſter Mund an deiner ſtatt gehertzt. Das E e

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Zitationshilfe: Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730, S. 433. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/461>, abgerufen am 25.11.2024.