so wird man gestehen, es schicke sich auf Hofmannswal- daus Elegien nichts besser, als was Canitz von den ver- liebten Poeten überhaupt schreibt:
Ein ander von dem Pfeil des Liebens angeschossen, Eröffnet seinen Schmertz mit hundert Gauckel-Possen, Daß man gesundern Witz bey jenem Täntzer spürt, Den die Tarantula mit ihrem Stich berührt. Was er von Jugend auf aus Büchern abgeschrieben, Das wird mit Müh und Angst in einen Vers getrieben; Die Seufzer, wie er meynt, bewegen Kieselstein, Die voll Gelehrsamkeit, und wohl belesen seyn. Des Etna Feuer-Klufft muß seiner Liebe gleichen. Und aller Alpen Eis der Liebsten Kälte weichen. Jndessen aber wird das arme Kind bethört, Und weiß nicht, was sie fühlt, wenn sie dergleichen hört. Ja wenn ihr Corydon gebückt zu ihren Füssen, Der Klagen Bitterkeit ein wenig zu versüssen, Nichts anders als Zibeth und Ambra von sich haucht, Und sie kein Bibergeil zum Gegen-Mittel braucht; So mag des Mörders Hand, was ihm von seinem Dichten Noch etwan übrig bleibt, auf ihre Grabschrifft richten.
Daß sich indessen durch Hoffmannswaldaus Exempel viele andre Poeten haben verblenden lassen, braucht keines Beweises. Man darf nur Zieglers Biblische Helden-Lie- be nachschlagen, so wird man sehen, daß dieser seinen Mei- ster nicht nur erreichet, sondern offt übertroffen habe. Am- thor ist auch in dieser Art so glücklich nicht, als in andern Gedichten. Die prächtige Schreibart klebte ihm gar zu sehr an, so daß er sich nicht herunter lassen und einen zärt- lichen Affect in einem niedrigen Ausdrucke vorstellen konn- te. Wir dörfen nur die Elegie ansehen, so er auf den Tod seiner ersten Ehgattin geschrieben, die gewiß das unnatür- lichste Klag-Gedichte ist, so ich gelesen habe:
Jch Spiel! ich Ball des Glücks! was muß ich nicht erfahren? Was giebt der Himmel nicht zu meinem Unglück an? Jch lerne schon so viel bey vier und zwantzig Jahren, Als ein Unglücklicher bey funfzig wissen kan. Die Tugend heißt mich noch auf frischen Rosen gehen, Da mir der Himmel schon Cypressen-Blätter streut. Und mein verscheuchter Geist darf kaum gen Himmel sehen. Weil jede Wolcke mir mit neuem Wetter dreut;
Doch
Des II Theils IV Capitel
ſo wird man geſtehen, es ſchicke ſich auf Hofmannswal- daus Elegien nichts beſſer, als was Canitz von den ver- liebten Poeten uͤberhaupt ſchreibt:
Ein ander von dem Pfeil des Liebens angeſchoſſen, Eroͤffnet ſeinen Schmertz mit hundert Gauckel-Poſſen, Daß man geſundern Witz bey jenem Taͤntzer ſpuͤrt, Den die Tarantula mit ihrem Stich beruͤhrt. Was er von Jugend auf aus Buͤchern abgeſchrieben, Das wird mit Muͤh und Angſt in einen Vers getrieben; Die Seufzer, wie er meynt, bewegen Kieſelſtein, Die voll Gelehrſamkeit, und wohl beleſen ſeyn. Des Etna Feuer-Klufft muß ſeiner Liebe gleichen. Und aller Alpen Eis der Liebſten Kaͤlte weichen. Jndeſſen aber wird das arme Kind bethoͤrt, Und weiß nicht, was ſie fuͤhlt, wenn ſie dergleichen hoͤrt. Ja wenn ihr Corydon gebuͤckt zu ihren Fuͤſſen, Der Klagen Bitterkeit ein wenig zu verſuͤſſen, Nichts anders als Zibeth und Ambra von ſich haucht, Und ſie kein Bibergeil zum Gegen-Mittel braucht; So mag des Moͤrders Hand, was ihm von ſeinem Dichten Noch etwan uͤbrig bleibt, auf ihre Grabſchrifft richten.
Daß ſich indeſſen durch Hoffmannswaldaus Exempel viele andre Poeten haben verblenden laſſen, braucht keines Beweiſes. Man darf nur Zieglers Bibliſche Helden-Lie- be nachſchlagen, ſo wird man ſehen, daß dieſer ſeinen Mei- ſter nicht nur erreichet, ſondern offt uͤbertroffen habe. Am- thor iſt auch in dieſer Art ſo gluͤcklich nicht, als in andern Gedichten. Die praͤchtige Schreibart klebte ihm gar zu ſehr an, ſo daß er ſich nicht herunter laſſen und einen zaͤrt- lichen Affect in einem niedrigen Ausdrucke vorſtellen konn- te. Wir doͤrfen nur die Elegie anſehen, ſo er auf den Tod ſeiner erſten Ehgattin geſchrieben, die gewiß das unnatuͤr- lichſte Klag-Gedichte iſt, ſo ich geleſen habe:
Jch Spiel! ich Ball des Gluͤcks! was muß ich nicht erfahren? Was giebt der Himmel nicht zu meinem Ungluͤck an? Jch lerne ſchon ſo viel bey vier und zwantzig Jahren, Als ein Ungluͤcklicher bey funfzig wiſſen kan. Die Tugend heißt mich noch auf friſchen Roſen gehen, Da mir der Himmel ſchon Cypreſſen-Blaͤtter ſtreut. Und mein verſcheuchter Geiſt darf kaum gen Himmel ſehen. Weil jede Wolcke mir mit neuem Wetter dreut;
Doch
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Des II Theils IV Capitel
ſo wird man geſtehen, es ſchicke ſich auf Hofmannswal-
daus Elegien nichts beſſer, als was Canitz von den ver-
liebten Poeten uͤberhaupt ſchreibt:
Ein ander von dem Pfeil des Liebens angeſchoſſen,
Eroͤffnet ſeinen Schmertz mit hundert Gauckel-Poſſen,
Daß man geſundern Witz bey jenem Taͤntzer ſpuͤrt,
Den die Tarantula mit ihrem Stich beruͤhrt.
Was er von Jugend auf aus Buͤchern abgeſchrieben,
Das wird mit Muͤh und Angſt in einen Vers getrieben;
Die Seufzer, wie er meynt, bewegen Kieſelſtein,
Die voll Gelehrſamkeit, und wohl beleſen ſeyn.
Des Etna Feuer-Klufft muß ſeiner Liebe gleichen.
Und aller Alpen Eis der Liebſten Kaͤlte weichen.
Jndeſſen aber wird das arme Kind bethoͤrt,
Und weiß nicht, was ſie fuͤhlt, wenn ſie dergleichen hoͤrt.
Ja wenn ihr Corydon gebuͤckt zu ihren Fuͤſſen,
Der Klagen Bitterkeit ein wenig zu verſuͤſſen,
Nichts anders als Zibeth und Ambra von ſich haucht,
Und ſie kein Bibergeil zum Gegen-Mittel braucht;
So mag des Moͤrders Hand, was ihm von ſeinem Dichten
Noch etwan uͤbrig bleibt, auf ihre Grabſchrifft richten.
Daß ſich indeſſen durch Hoffmannswaldaus Exempel
viele andre Poeten haben verblenden laſſen, braucht keines
Beweiſes. Man darf nur Zieglers Bibliſche Helden-Lie-
be nachſchlagen, ſo wird man ſehen, daß dieſer ſeinen Mei-
ſter nicht nur erreichet, ſondern offt uͤbertroffen habe. Am-
thor iſt auch in dieſer Art ſo gluͤcklich nicht, als in andern
Gedichten. Die praͤchtige Schreibart klebte ihm gar zu
ſehr an, ſo daß er ſich nicht herunter laſſen und einen zaͤrt-
lichen Affect in einem niedrigen Ausdrucke vorſtellen konn-
te. Wir doͤrfen nur die Elegie anſehen, ſo er auf den Tod
ſeiner erſten Ehgattin geſchrieben, die gewiß das unnatuͤr-
lichſte Klag-Gedichte iſt, ſo ich geleſen habe:
Jch Spiel! ich Ball des Gluͤcks! was muß ich nicht erfahren?
Was giebt der Himmel nicht zu meinem Ungluͤck an?
Jch lerne ſchon ſo viel bey vier und zwantzig Jahren,
Als ein Ungluͤcklicher bey funfzig wiſſen kan.
Die Tugend heißt mich noch auf friſchen Roſen gehen,
Da mir der Himmel ſchon Cypreſſen-Blaͤtter ſtreut.
Und mein verſcheuchter Geiſt darf kaum gen Himmel ſehen.
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Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730, S. 416. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/444>, abgerufen am 24.11.2024.
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