in eben dem Buche zu finden ist. Was könnte ich noch von Dachen und Tscherningen vor Exempel anführen, die eben- falls diesen Spuren gefolget, und den guten Geschmack der Alten beybehalten haben.
Zuerst ist meines Erachtens Hofmannswaldau davon abgewichen, nachdem er sich durch die neuern Jtaliener von dem wahren und natürlichen auf das gleissende und ge- künstelte verleiten lassen. Seine Heldenbriefe hat er frey- lich ihrer äusserlichen Gestalt nach, als Elegien eingerich- tet, und ist also darinn dem Ovidius gefolget: Allein die innere Art dieser Gedichte hat er fast niemahls erreichet. Anstatt der Zärtlichkeit, die in dieser Gattung herrschen soll, giebt er uns lauter spitzfündige Einfälle; Jn eine ängst- liche Klage mischet er eine unendliche Menge von Gleich- nissen. Statt herzrührender Figuren, speiset er uns mit hochtrabenden Metaphoren. Seine verliebte Seufzer sind voller Belesenheit, und wenn ich poetisch reden darf; so sind die Trauer-Kleider seiner Elegien allezeit mit Gold und Silber verbrämet, ihre Schleyer mit Edelsteinen gezieret, und zwischen ihren Thränen müssen lauter Perlen fliessen. Wir wollen nur einige Stellen zum Beweise dessen anse- hen. Die Briefe Eginhards und Emmä sind ihm unter allen andern noch am besten gerathen; Doch aber sind sie von seinem Flittergolde nicht gantz und gar befreyet. Bald anfangs streicht seine steife Zuversicht allen Kummer hin, und darum meynte er, er sey schon der Sonnen gleich. Bald darauf gesteht er, daß sein Kieselstein zu Diaman- ten wolle, und dieses zu rechtfertigen, sagt er von der Liebe:
Sie bindet Gold an Stahl und Garn zu weisser Seide, Macht, daß ein Nesselstrauch die edle Rose sucht, Zu Perlen legt sie Gras, zu Kohlen legt sie Kreide, Und propft auf wilden Baum offt eine süsse Frucht.
Und wie künstlich und sinnreich ist nicht seine Liebe in dem Schlusse des Schreibens? Er will zwar seinen Brief, doch nicht die Hoffnung schliessen; er beneidet ihn fast, weil er glücklicher ist als er selbst: Er küßt endlich so wohl den Brief als die Prinzessin; zwar jenen mit den Lippen, und
Sie
Des II Theils IV Capitel
in eben dem Buche zu finden iſt. Was koͤnnte ich noch von Dachen und Tſcherningen vor Exempel anfuͤhren, die eben- falls dieſen Spuren gefolget, und den guten Geſchmack der Alten beybehalten haben.
Zuerſt iſt meines Erachtens Hofmannswaldau davon abgewichen, nachdem er ſich durch die neuern Jtaliener von dem wahren und natuͤrlichen auf das gleiſſende und ge- kuͤnſtelte verleiten laſſen. Seine Heldenbriefe hat er frey- lich ihrer aͤuſſerlichen Geſtalt nach, als Elegien eingerich- tet, und iſt alſo darinn dem Ovidius gefolget: Allein die innere Art dieſer Gedichte hat er faſt niemahls erreichet. Anſtatt der Zaͤrtlichkeit, die in dieſer Gattung herrſchen ſoll, giebt er uns lauter ſpitzfuͤndige Einfaͤlle; Jn eine aͤngſt- liche Klage miſchet er eine unendliche Menge von Gleich- niſſen. Statt herzruͤhrender Figuren, ſpeiſet er uns mit hochtrabenden Metaphoren. Seine verliebte Seufzer ſind voller Beleſenheit, und wenn ich poetiſch reden darf; ſo ſind die Trauer-Kleider ſeiner Elegien allezeit mit Gold und Silber verbraͤmet, ihre Schleyer mit Edelſteinen gezieret, und zwiſchen ihren Thraͤnen muͤſſen lauter Perlen flieſſen. Wir wollen nur einige Stellen zum Beweiſe deſſen anſe- hen. Die Briefe Eginhards und Emmaͤ ſind ihm unter allen andern noch am beſten gerathen; Doch aber ſind ſie von ſeinem Flittergolde nicht gantz und gar befreyet. Bald anfangs ſtreicht ſeine ſteife Zuverſicht allen Kummer hin, und darum meynte er, er ſey ſchon der Sonnen gleich. Bald darauf geſteht er, daß ſein Kieſelſtein zu Diaman- ten wolle, und dieſes zu rechtfertigen, ſagt er von der Liebe:
Sie bindet Gold an Stahl und Garn zu weiſſer Seide, Macht, daß ein Neſſelſtrauch die edle Roſe ſucht, Zu Perlen legt ſie Gras, zu Kohlen legt ſie Kreide, Und propft auf wilden Baum offt eine ſuͤſſe Frucht.
Und wie kuͤnſtlich und ſinnreich iſt nicht ſeine Liebe in dem Schluſſe des Schreibens? Er will zwar ſeinen Brief, doch nicht die Hoffnung ſchlieſſen; er beneidet ihn faſt, weil er gluͤcklicher iſt als er ſelbſt: Er kuͤßt endlich ſo wohl den Brief als die Prinzeſſin; zwar jenen mit den Lippen, und
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Des II Theils IV Capitel
in eben dem Buche zu finden iſt. Was koͤnnte ich noch von
Dachen und Tſcherningen vor Exempel anfuͤhren, die eben-
falls dieſen Spuren gefolget, und den guten Geſchmack
der Alten beybehalten haben.
Zuerſt iſt meines Erachtens Hofmannswaldau davon
abgewichen, nachdem er ſich durch die neuern Jtaliener
von dem wahren und natuͤrlichen auf das gleiſſende und ge-
kuͤnſtelte verleiten laſſen. Seine Heldenbriefe hat er frey-
lich ihrer aͤuſſerlichen Geſtalt nach, als Elegien eingerich-
tet, und iſt alſo darinn dem Ovidius gefolget: Allein die
innere Art dieſer Gedichte hat er faſt niemahls erreichet.
Anſtatt der Zaͤrtlichkeit, die in dieſer Gattung herrſchen
ſoll, giebt er uns lauter ſpitzfuͤndige Einfaͤlle; Jn eine aͤngſt-
liche Klage miſchet er eine unendliche Menge von Gleich-
niſſen. Statt herzruͤhrender Figuren, ſpeiſet er uns mit
hochtrabenden Metaphoren. Seine verliebte Seufzer ſind
voller Beleſenheit, und wenn ich poetiſch reden darf; ſo
ſind die Trauer-Kleider ſeiner Elegien allezeit mit Gold und
Silber verbraͤmet, ihre Schleyer mit Edelſteinen gezieret,
und zwiſchen ihren Thraͤnen muͤſſen lauter Perlen flieſſen.
Wir wollen nur einige Stellen zum Beweiſe deſſen anſe-
hen. Die Briefe Eginhards und Emmaͤ ſind ihm unter
allen andern noch am beſten gerathen; Doch aber ſind ſie
von ſeinem Flittergolde nicht gantz und gar befreyet. Bald
anfangs ſtreicht ſeine ſteife Zuverſicht allen Kummer hin,
und darum meynte er, er ſey ſchon der Sonnen gleich.
Bald darauf geſteht er, daß ſein Kieſelſtein zu Diaman-
ten wolle, und dieſes zu rechtfertigen, ſagt er von der Liebe:
Sie bindet Gold an Stahl und Garn zu weiſſer Seide,
Macht, daß ein Neſſelſtrauch die edle Roſe ſucht,
Zu Perlen legt ſie Gras, zu Kohlen legt ſie Kreide,
Und propft auf wilden Baum offt eine ſuͤſſe Frucht.
Und wie kuͤnſtlich und ſinnreich iſt nicht ſeine Liebe in dem
Schluſſe des Schreibens? Er will zwar ſeinen Brief, doch
nicht die Hoffnung ſchlieſſen; er beneidet ihn faſt, weil er
gluͤcklicher iſt als er ſelbſt: Er kuͤßt endlich ſo wohl den
Brief als die Prinzeſſin; zwar jenen mit den Lippen, und
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Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730, S. 414. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/442>, abgerufen am 24.11.2024.
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