Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730.

Bild:
<< vorherige Seite

Von Elegien.
in diese Art von Verßen Deutsch übersetzen müsse, wenn
er uns die XVIIIte aus dem ersten Buche Propertii, an
Cynthien zur Probe gegeben. Sie hebt lateinisch so an:

Haec certe deserta loca, & taciturna querenti,
Et vacuum Zephyri possidet aura nemus.
Hic licet occultos proferre impune dolores,
Si modo sola queant saxa tenere fidem. &c.

Und er hat sie so Deutsch gegeben:

Auf dieser wüsten Stätt', in dieser stillen Heyde,
Da niemand innen wohnt, als nur der Westenwind;
Da kan ich ungescheut genug thun meinem Leide,
Wo auch die Steine nur still und verschwiegen sind.

Diesem Vorgänger sind seine ersten und besten Schüler
getreulich gefolget. So hat z. E. Flemming p. 99. des II
B. s. Poet. Wälder eine Elegie an sein Vaterland geschrie-
ben, und theils den innern Character, theils die äussere Ge-
stalt derselben sehr wohl beobachtet. Jch will nur etwas
aus dem Schlusse zur Probe anführen, daraus man sich
ein Muster seines zärtlichen aber schamhafften Ausdruckes
in Liebes-Sachen nehmen kan:

Zwar es verstattet mir das Caspische Gestade,
Daß ich um seinen Strand mag ungehindert gehn,
Auch bittet mich zur Zeit zu ihrem schönen Bade,
Auf Urlaub des Hyrcans, manch Asische Siren.
Jch bin den Nymphen lieb, den weichen Zircassinnen,
Dieweil ich ihnen fremd und nicht so heßlich bin;
Und ob einander wir schon nicht verstehen können,
So kan ihr Auge doch mich günstig nach sich ziehn.
Was aber soll ich so und auf der Flucht nur lieben?
Cupido wird durch nichts als Stetigkeit vergnügt;
Was den zu loben scheint, das macht ihm nur Betrüben,
Der allezeit was hat, und dennoch nie was kriegt.
Ja stürbe mirs denn ab, so hoff ichs zu erleben,
Daß wenn ich diesen Lauf zu Ende hab gebracht,
Jch dir den ersten Kuß, o Landsmannin! will gehen;
Was ferner kan geschehn, das laß ich ungedacht.

Auf eben die Art hat er auch das Klagschreiben im Nah-
men Germaniens an ihre Söhne, das ist, die Churfürsten
und Stände von Deutschland abgefasset, welches p. 113.

in

Von Elegien.
in dieſe Art von Verßen Deutſch uͤberſetzen muͤſſe, wenn
er uns die XVIIIte aus dem erſten Buche Propertii, an
Cynthien zur Probe gegeben. Sie hebt lateiniſch ſo an:

Haec certe deſerta loca, & taciturna querenti,
Et vacuum Zephyri poſſidet aura nemus.
Hic licet occultos proferre impune dolores,
Si modo ſola queant ſaxa tenere fidem. &c.

Und er hat ſie ſo Deutſch gegeben:

Auf dieſer wuͤſten Staͤtt’, in dieſer ſtillen Heyde,
Da niemand innen wohnt, als nur der Weſtenwind;
Da kan ich ungeſcheut genug thun meinem Leide,
Wo auch die Steine nur ſtill und verſchwiegen ſind.

Dieſem Vorgaͤnger ſind ſeine erſten und beſten Schuͤler
getreulich gefolget. So hat z. E. Flemming p. 99. des II
B. ſ. Poet. Waͤlder eine Elegie an ſein Vaterland geſchrie-
ben, und theils den innern Character, theils die aͤuſſere Ge-
ſtalt derſelben ſehr wohl beobachtet. Jch will nur etwas
aus dem Schluſſe zur Probe anfuͤhren, daraus man ſich
ein Muſter ſeines zaͤrtlichen aber ſchamhafften Ausdruckes
in Liebes-Sachen nehmen kan:

Zwar es verſtattet mir das Caſpiſche Geſtade,
Daß ich um ſeinen Strand mag ungehindert gehn,
Auch bittet mich zur Zeit zu ihrem ſchoͤnen Bade,
Auf Urlaub des Hyrcans, manch Aſiſche Siren.
Jch bin den Nymphen lieb, den weichen Zircaſſinnen,
Dieweil ich ihnen fremd und nicht ſo heßlich bin;
Und ob einander wir ſchon nicht verſtehen koͤnnen,
So kan ihr Auge doch mich guͤnſtig nach ſich ziehn.
Was aber ſoll ich ſo und auf der Flucht nur lieben?
Cupido wird durch nichts als Stetigkeit vergnuͤgt;
Was den zu loben ſcheint, das macht ihm nur Betruͤben,
Der allezeit was hat, und dennoch nie was kriegt.
Ja ſtuͤrbe mirs denn ab, ſo hoff ichs zu erleben,
Daß wenn ich dieſen Lauf zu Ende hab gebracht,
Jch dir den erſten Kuß, o Landsmannin! will gehen;
Was ferner kan geſchehn, das laß ich ungedacht.

Auf eben die Art hat er auch das Klagſchreiben im Nah-
men Germaniens an ihre Soͤhne, das iſt, die Churfuͤrſten
und Staͤnde von Deutſchland abgefaſſet, welches p. 113.

in
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0441" n="413"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Von Elegien.</hi></fw><lb/>
in die&#x017F;e Art von Verßen Deut&#x017F;ch u&#x0364;ber&#x017F;etzen mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e, wenn<lb/>
er uns die <hi rendition="#aq">XVIII</hi>te aus dem er&#x017F;ten Buche Propertii, an<lb/>
Cynthien zur Probe gegeben. Sie hebt lateini&#x017F;ch &#x017F;o an:</p><lb/>
          <cit>
            <quote> <hi rendition="#aq">Haec certe de&#x017F;erta loca, &amp; taciturna querenti,<lb/>
Et vacuum Zephyri po&#x017F;&#x017F;idet aura nemus.<lb/>
Hic licet occultos proferre impune dolores,<lb/>
Si modo &#x017F;ola queant &#x017F;axa tenere fidem. &amp;c.</hi> </quote>
          </cit><lb/>
          <p>Und er hat &#x017F;ie &#x017F;o Deut&#x017F;ch gegeben:</p><lb/>
          <cit>
            <quote>Auf die&#x017F;er wu&#x0364;&#x017F;ten Sta&#x0364;tt&#x2019;, in die&#x017F;er &#x017F;tillen Heyde,<lb/>
Da niemand innen wohnt, als nur der We&#x017F;tenwind;<lb/>
Da kan ich unge&#x017F;cheut genug thun meinem Leide,<lb/>
Wo auch die Steine nur &#x017F;till und ver&#x017F;chwiegen &#x017F;ind.</quote>
          </cit><lb/>
          <p>Die&#x017F;em Vorga&#x0364;nger &#x017F;ind &#x017F;eine er&#x017F;ten und be&#x017F;ten Schu&#x0364;ler<lb/>
getreulich gefolget. So hat z. E. Flemming <hi rendition="#aq">p.</hi> 99. des <hi rendition="#aq">II</hi><lb/>
B. &#x017F;. Poet. Wa&#x0364;lder eine Elegie an &#x017F;ein Vaterland ge&#x017F;chrie-<lb/>
ben, und theils den innern Character, theils die a&#x0364;u&#x017F;&#x017F;ere Ge-<lb/>
&#x017F;talt der&#x017F;elben &#x017F;ehr wohl beobachtet. Jch will nur etwas<lb/>
aus dem Schlu&#x017F;&#x017F;e zur Probe anfu&#x0364;hren, daraus man &#x017F;ich<lb/>
ein Mu&#x017F;ter &#x017F;eines za&#x0364;rtlichen aber &#x017F;chamhafften Ausdruckes<lb/>
in Liebes-Sachen nehmen kan:</p><lb/>
          <lg type="poem">
            <l>Zwar es ver&#x017F;tattet mir das Ca&#x017F;pi&#x017F;che Ge&#x017F;tade,</l><lb/>
            <l>Daß ich um &#x017F;einen Strand mag ungehindert gehn,</l><lb/>
            <l>Auch bittet mich zur Zeit zu ihrem &#x017F;cho&#x0364;nen Bade,</l><lb/>
            <l>Auf Urlaub des Hyrcans, manch A&#x017F;i&#x017F;che Siren.</l><lb/>
            <l>Jch bin den Nymphen lieb, den weichen Zirca&#x017F;&#x017F;innen,</l><lb/>
            <l>Dieweil ich ihnen fremd und nicht &#x017F;o heßlich bin;</l><lb/>
            <l>Und ob einander wir &#x017F;chon nicht ver&#x017F;tehen ko&#x0364;nnen,</l><lb/>
            <l>So kan ihr Auge doch mich gu&#x0364;n&#x017F;tig nach &#x017F;ich ziehn.</l><lb/>
            <l>Was aber &#x017F;oll ich &#x017F;o und auf der Flucht nur lieben?</l><lb/>
            <l>Cupido wird durch nichts als Stetigkeit vergnu&#x0364;gt;</l><lb/>
            <l>Was den zu loben &#x017F;cheint, das macht ihm nur Betru&#x0364;ben,</l><lb/>
            <l>Der allezeit was hat, und dennoch nie was kriegt.</l><lb/>
            <l>Ja &#x017F;tu&#x0364;rbe mirs denn ab, &#x017F;o hoff ichs zu erleben,</l><lb/>
            <l>Daß wenn ich die&#x017F;en Lauf zu Ende hab gebracht,</l><lb/>
            <l>Jch dir den er&#x017F;ten Kuß, o Landsmannin! will gehen;</l><lb/>
            <l>Was ferner kan ge&#x017F;chehn, das laß ich ungedacht.</l>
          </lg><lb/>
          <p>Auf eben die Art hat er auch das Klag&#x017F;chreiben im Nah-<lb/>
men Germaniens an ihre So&#x0364;hne, das i&#x017F;t, die Churfu&#x0364;r&#x017F;ten<lb/>
und Sta&#x0364;nde von Deut&#x017F;chland abgefa&#x017F;&#x017F;et, welches <hi rendition="#aq">p.</hi> 113.<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">in</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[413/0441] Von Elegien. in dieſe Art von Verßen Deutſch uͤberſetzen muͤſſe, wenn er uns die XVIIIte aus dem erſten Buche Propertii, an Cynthien zur Probe gegeben. Sie hebt lateiniſch ſo an: Haec certe deſerta loca, & taciturna querenti, Et vacuum Zephyri poſſidet aura nemus. Hic licet occultos proferre impune dolores, Si modo ſola queant ſaxa tenere fidem. &c. Und er hat ſie ſo Deutſch gegeben: Auf dieſer wuͤſten Staͤtt’, in dieſer ſtillen Heyde, Da niemand innen wohnt, als nur der Weſtenwind; Da kan ich ungeſcheut genug thun meinem Leide, Wo auch die Steine nur ſtill und verſchwiegen ſind. Dieſem Vorgaͤnger ſind ſeine erſten und beſten Schuͤler getreulich gefolget. So hat z. E. Flemming p. 99. des II B. ſ. Poet. Waͤlder eine Elegie an ſein Vaterland geſchrie- ben, und theils den innern Character, theils die aͤuſſere Ge- ſtalt derſelben ſehr wohl beobachtet. Jch will nur etwas aus dem Schluſſe zur Probe anfuͤhren, daraus man ſich ein Muſter ſeines zaͤrtlichen aber ſchamhafften Ausdruckes in Liebes-Sachen nehmen kan: Zwar es verſtattet mir das Caſpiſche Geſtade, Daß ich um ſeinen Strand mag ungehindert gehn, Auch bittet mich zur Zeit zu ihrem ſchoͤnen Bade, Auf Urlaub des Hyrcans, manch Aſiſche Siren. Jch bin den Nymphen lieb, den weichen Zircaſſinnen, Dieweil ich ihnen fremd und nicht ſo heßlich bin; Und ob einander wir ſchon nicht verſtehen koͤnnen, So kan ihr Auge doch mich guͤnſtig nach ſich ziehn. Was aber ſoll ich ſo und auf der Flucht nur lieben? Cupido wird durch nichts als Stetigkeit vergnuͤgt; Was den zu loben ſcheint, das macht ihm nur Betruͤben, Der allezeit was hat, und dennoch nie was kriegt. Ja ſtuͤrbe mirs denn ab, ſo hoff ichs zu erleben, Daß wenn ich dieſen Lauf zu Ende hab gebracht, Jch dir den erſten Kuß, o Landsmannin! will gehen; Was ferner kan geſchehn, das laß ich ungedacht. Auf eben die Art hat er auch das Klagſchreiben im Nah- men Germaniens an ihre Soͤhne, das iſt, die Churfuͤrſten und Staͤnde von Deutſchland abgefaſſet, welches p. 113. in

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/441
Zitationshilfe: Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730, S. 413. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/441>, abgerufen am 24.11.2024.