Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730.
Jn was vor Verßen man der Fürsten Heldenmuth, Der Feldherrn Tapferkeit und wilder Krieger Wuth Geschickt besingen kan, das hat Homer gewiesen, Als er durch sein Gedicht Achillens Zorn gepriesen. Die Elegie war sonst ein Werck der Traurigkeit, 100Allein sie ward hernach zugleich der Lust geweyht. Wer sie zuerst erdacht, ist nicht so leicht zu sagen, Da die Gelehrten selbst, sich noch darum befragen. 98 99 Archi- nünftigsten Theile vom Adel- und Bürger-Stande im Schwange. Die andre herrscht bey dem Pöbel, den einfältigen Scribenten, dem ungelehrten Adel und den affectirten Hofleuten. Jene ist die Richtschnur der Poeten, nicht diese. Nach dieser Regel sollten sich die pöbelhafften Versmacher richten, denen die niederträchtigsten Redensarten edel genug sind. 98 Gedicht. Horatz meynt das Helden-Gedicht Jlias, welches in langen sechsfüßigten Verßen geschrieben ist. Nun könnte zwar auch in kurtzen oder ver- mischten Verßen ein Helden-Gedicht gemacht werden: weil das Wesen desselben in der innern Einrichtung, nicht aber in der Länge der Zeilen besteht. Allein Ari- stoteles hat schon erinnert, daß eine solche Art von Verßen lange nicht so majestä- tisch klingen würde, als ein Helden-Gedicht klingen soll. Jm Deutschen müssen wir lange jambische, mit ungetrennten Reimen dazu nehmen. 99 Elegie. Diejenige Art von Verßen, da man die Alexandrinischen mit kür-
zern fünffüßigen immer abwechselt. Zuerst hat man nichts als Klagen über die Verstorbenen darinn abgefasset: hernach hat man auch verliebte Briefe, Hochzeit- Verße und kleinere Sinngedichte damit gemacht. Callinous, Theocles oder Ter- pander soll sie erfunden haben. Jm Deutschen brauchen wir ahermahl die langen jambischen, mit wechselnden Reimen dazu.
Jn was vor Verßen man der Fuͤrſten Heldenmuth, Der Feldherrn Tapferkeit und wilder Krieger Wuth Geſchickt beſingen kan, das hat Homer gewieſen, Als er durch ſein Gedicht Achillens Zorn geprieſen. Die Elegie war ſonſt ein Werck der Traurigkeit, 100Allein ſie ward hernach zugleich der Luſt geweyht. Wer ſie zuerſt erdacht, iſt nicht ſo leicht zu ſagen, Da die Gelehrten ſelbſt, ſich noch darum befragen. 98 99 Archi- nuͤnftigſten Theile vom Adel- und Buͤrger-Stande im Schwange. Die andre herrſcht bey dem Poͤbel, den einfaͤltigen Scribenten, dem ungelehrten Adel und den affectirten Hofleuten. Jene iſt die Richtſchnur der Poeten, nicht dieſe. Nach dieſer Regel ſollten ſich die poͤbelhafften Versmacher richten, denen die niedertraͤchtigſten Redensarten edel genug ſind. 98 Gedicht. Horatz meynt das Helden-Gedicht Jlias, welches in langen ſechsfuͤßigten Verßen geſchrieben iſt. Nun koͤnnte zwar auch in kurtzen oder ver- miſchten Verßen ein Helden-Gedicht gemacht werden: weil das Weſen deſſelben in der innern Einrichtung, nicht aber in der Laͤnge der Zeilen beſteht. Allein Ari- ſtoteles hat ſchon erinnert, daß eine ſolche Art von Verßen lange nicht ſo majeſtaͤ- tiſch klingen wuͤrde, als ein Helden-Gedicht klingen ſoll. Jm Deutſchen muͤſſen wir lange jambiſche, mit ungetrennten Reimen dazu nehmen. 99 Elegie. Diejenige Art von Verßen, da man die Alexandriniſchen mit kuͤr-
zern fuͤnffuͤßigen immer abwechſelt. Zuerſt hat man nichts als Klagen uͤber die Verſtorbenen darinn abgefaſſet: hernach hat man auch verliebte Briefe, Hochzeit- Verße und kleinere Sinngedichte damit gemacht. Callinous, Theocles oder Ter- pander ſoll ſie erfunden haben. Jm Deutſchen brauchen wir ahermahl die langen jambiſchen, mit wechſelnden Reimen dazu. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <lg type="poem"> <lg n="3"> <l> <pb facs="#f0043" n="15"/> <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Horatius von der Dicht-Kunſt.</hi> </fw> </l><lb/> <l>Dem ſich bey Sturm und Fluth die Flotten anvertrauen.</l><lb/> <l>Ein Koͤnigliches Werck! Was kan Auguſtus thun?</l><lb/> <l>Er trocknet Seen aus, und kan nicht eher ruhn,<lb/><note place="left">85</note>Als bis wir, wo der Wind die Flaggen pflegt zu wehen,</l><lb/> <l>Ein fruchtbar Ackerland und fette Wieſen ſehen.</l><lb/> <l>Noch mehr, er aͤndert gar der Tyber alten Lauf,</l><lb/> <l>Und ſchrenckt die Fluthen ein. Das allzumahl hoͤrt auf:</l><lb/> <l>Der groͤſten Wercke Pracht, muß endlich untergehen,<lb/><note place="left">90</note>Wie koͤnnten denn der Zeit die Sprachen wiederſtehen?</l><lb/> <l>So manch verlegnes Wort, das laͤngſt vergeſſen war;</l><lb/> <l>Kommt wieder an das Licht, und ſtellt ſich ſchoͤner dar.</l><lb/> <l>Und was man itzo braucht, das wird man einſt vergeſſen;</l><lb/> <l>Die Sprachen muͤſſen ſich nach der Gewohnheit meſſen.</l> </lg><lb/> <note place="left">95</note> <lg n="4"> <l>Jn was vor Verßen man der Fuͤrſten Heldenmuth,</l><lb/> <l>Der Feldherrn Tapferkeit und wilder Krieger Wuth</l><lb/> <l>Geſchickt beſingen kan, das hat Homer gewieſen,</l><lb/> <l>Als er durch ſein Gedicht Achillens Zorn geprieſen.</l><lb/> <l>Die Elegie war ſonſt ein Werck der Traurigkeit,<lb/><note place="left">100</note>Allein ſie ward hernach zugleich der Luſt geweyht.</l><lb/> <l>Wer ſie zuerſt erdacht, iſt nicht ſo leicht zu ſagen,</l><lb/> <l>Da die Gelehrten ſelbſt, ſich noch darum befragen.<lb/> <fw place="bottom" type="catch">Archi-</fw><lb/><note xml:id="f04" prev="#f03" place="foot" n="94">nuͤnftigſten Theile vom Adel- und Buͤrger-Stande im Schwange. Die andre<lb/> herrſcht bey dem Poͤbel, den einfaͤltigen Scribenten, dem ungelehrten Adel und den<lb/> affectirten Hofleuten. Jene iſt die Richtſchnur der Poeten, nicht dieſe. Nach dieſer<lb/> Regel ſollten ſich die poͤbelhafften Versmacher richten, denen die niedertraͤchtigſten<lb/> Redensarten edel genug ſind.</note><lb/><note place="foot" n="98"><hi rendition="#fr">Gedicht.</hi> Horatz meynt das Helden-Gedicht Jlias, welches in langen<lb/> ſechsfuͤßigten Verßen geſchrieben iſt. Nun koͤnnte zwar auch in kurtzen oder ver-<lb/> miſchten Verßen ein Helden-Gedicht gemacht werden: weil das Weſen deſſelben<lb/> in der innern Einrichtung, nicht aber in der Laͤnge der Zeilen beſteht. Allein Ari-<lb/> ſtoteles hat ſchon erinnert, daß eine ſolche Art von Verßen lange nicht ſo majeſtaͤ-<lb/> tiſch klingen wuͤrde, als ein Helden-Gedicht klingen ſoll. Jm Deutſchen muͤſſen wir<lb/> lange jambiſche, mit ungetrennten Reimen dazu nehmen.</note><lb/><note place="foot" n="99"><hi rendition="#fr">Elegie.</hi> Diejenige Art von Verßen, da man die Alexandriniſchen mit kuͤr-<lb/> zern fuͤnffuͤßigen immer abwechſelt. Zuerſt hat man nichts als Klagen uͤber die<lb/> Verſtorbenen darinn abgefaſſet: hernach hat man auch verliebte Briefe, Hochzeit-<lb/> Verße und kleinere Sinngedichte damit gemacht. Callinous, Theocles oder Ter-<lb/> pander ſoll ſie erfunden haben. Jm Deutſchen brauchen wir ahermahl die langen<lb/> jambiſchen, mit wechſelnden Reimen dazu.</note><lb/></l> </lg> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [15/0043]
Horatius von der Dicht-Kunſt.
Dem ſich bey Sturm und Fluth die Flotten anvertrauen.
Ein Koͤnigliches Werck! Was kan Auguſtus thun?
Er trocknet Seen aus, und kan nicht eher ruhn,
Als bis wir, wo der Wind die Flaggen pflegt zu wehen,
Ein fruchtbar Ackerland und fette Wieſen ſehen.
Noch mehr, er aͤndert gar der Tyber alten Lauf,
Und ſchrenckt die Fluthen ein. Das allzumahl hoͤrt auf:
Der groͤſten Wercke Pracht, muß endlich untergehen,
Wie koͤnnten denn der Zeit die Sprachen wiederſtehen?
So manch verlegnes Wort, das laͤngſt vergeſſen war;
Kommt wieder an das Licht, und ſtellt ſich ſchoͤner dar.
Und was man itzo braucht, das wird man einſt vergeſſen;
Die Sprachen muͤſſen ſich nach der Gewohnheit meſſen.
Jn was vor Verßen man der Fuͤrſten Heldenmuth,
Der Feldherrn Tapferkeit und wilder Krieger Wuth
Geſchickt beſingen kan, das hat Homer gewieſen,
Als er durch ſein Gedicht Achillens Zorn geprieſen.
Die Elegie war ſonſt ein Werck der Traurigkeit,
Allein ſie ward hernach zugleich der Luſt geweyht.
Wer ſie zuerſt erdacht, iſt nicht ſo leicht zu ſagen,
Da die Gelehrten ſelbſt, ſich noch darum befragen.
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94 nuͤnftigſten Theile vom Adel- und Buͤrger-Stande im Schwange. Die andre
herrſcht bey dem Poͤbel, den einfaͤltigen Scribenten, dem ungelehrten Adel und den
affectirten Hofleuten. Jene iſt die Richtſchnur der Poeten, nicht dieſe. Nach dieſer
Regel ſollten ſich die poͤbelhafften Versmacher richten, denen die niedertraͤchtigſten
Redensarten edel genug ſind.
98 Gedicht. Horatz meynt das Helden-Gedicht Jlias, welches in langen
ſechsfuͤßigten Verßen geſchrieben iſt. Nun koͤnnte zwar auch in kurtzen oder ver-
miſchten Verßen ein Helden-Gedicht gemacht werden: weil das Weſen deſſelben
in der innern Einrichtung, nicht aber in der Laͤnge der Zeilen beſteht. Allein Ari-
ſtoteles hat ſchon erinnert, daß eine ſolche Art von Verßen lange nicht ſo majeſtaͤ-
tiſch klingen wuͤrde, als ein Helden-Gedicht klingen ſoll. Jm Deutſchen muͤſſen wir
lange jambiſche, mit ungetrennten Reimen dazu nehmen.
99 Elegie. Diejenige Art von Verßen, da man die Alexandriniſchen mit kuͤr-
zern fuͤnffuͤßigen immer abwechſelt. Zuerſt hat man nichts als Klagen uͤber die
Verſtorbenen darinn abgefaſſet: hernach hat man auch verliebte Briefe, Hochzeit-
Verße und kleinere Sinngedichte damit gemacht. Callinous, Theocles oder Ter-
pander ſoll ſie erfunden haben. Jm Deutſchen brauchen wir ahermahl die langen
jambiſchen, mit wechſelnden Reimen dazu.
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