Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730.
So schienen sie versöhnt; allein der Schäferin Lag Eifersucht und Furcht und Argwohn in dem Sinn. Der Oberhirt allda, ein Mann von vielen Gaben, Desgleichen wenige von sich zu rühmen haben, Begab sich dazumahl mit seiner Galathee, Jn den erwünschten Standt der angenehmsten Eh. Die Braut war angenehm, ja jung und schön zu heissen, Jhr fernes Vaterland war das beglückte Meissen, Kaum sah der Bräutigam dies Bild der Artigkeit, So hat er es geliebt und gar darnach gefreyt. Sie stammte zwar gleich ihm aus frommem Schäfer-Stande, Doch war ihr Aufenthalt fast gar nicht auf dem Lande; Sie lebte mehrentheils in jener Linden-Stadt, Wo Geist und Artigkeit den rechten Wohnplatz hat. Doch hatte noch die Pest der höchstverderbten Sitten, So sonst in Städten herrscht, ihr Wesen nicht bestritten. Denn Eitelkeit und Stoltz, die Spiel- und Mode-Sucht, Die schnöde Klätscherey, des Müßigganges Frucht, Und das gemeine Gifft, die Frechheit in dem Lieben, Galanterie genannt, war ihr verhaßt geblieben. Drum fiel es ihr nicht schwer den wackern Galatin, Und seinen Schäfer-Stand den Städten vorzuziehn, Und ihrem Bräutigam, dem sie schon kennen lernen, Zu Liebe, sich vergnügt aus Leipzig zu entfernen. Die C c
So ſchienen ſie verſoͤhnt; allein der Schaͤferin Lag Eiferſucht und Furcht und Argwohn in dem Sinn. Der Oberhirt allda, ein Mann von vielen Gaben, Desgleichen wenige von ſich zu ruͤhmen haben, Begab ſich dazumahl mit ſeiner Galathee, Jn den erwuͤnſchten Standt der angenehmſten Eh. Die Braut war angenehm, ja jung und ſchoͤn zu heiſſen, Jhr fernes Vaterland war das begluͤckte Meiſſen, Kaum ſah der Braͤutigam dies Bild der Artigkeit, So hat er es geliebt und gar darnach gefreyt. Sie ſtammte zwar gleich ihm aus frommem Schaͤfer-Stande, Doch war ihr Aufenthalt faſt gar nicht auf dem Lande; Sie lebte mehrentheils in jener Linden-Stadt, Wo Geiſt und Artigkeit den rechten Wohnplatz hat. Doch hatte noch die Peſt der hoͤchſtverderbten Sitten, So ſonſt in Staͤdten herrſcht, ihr Weſen nicht beſtritten. Denn Eitelkeit und Stoltz, die Spiel- und Mode-Sucht, Die ſchnoͤde Klaͤtſcherey, des Muͤßigganges Frucht, Und das gemeine Gifft, die Frechheit in dem Lieben, Galanterie genannt, war ihr verhaßt geblieben. Drum fiel es ihr nicht ſchwer den wackern Galatin, Und ſeinen Schaͤfer-Stand den Staͤdten vorzuziehn, Und ihrem Braͤutigam, dem ſie ſchon kennen lernen, Zu Liebe, ſich vergnuͤgt aus Leipzig zu entfernen. Die C c
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <lg type="poem"> <lg n="22"> <l> <pb facs="#f0429" n="401"/> <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Von Jdyllen, Eclogen oder Schaͤfer-Gedichten.</hi> </fw> </l><lb/> <l>Es ſatzte ſich ſogleich ins halbverwelckte Gras,</l><lb/> <l>Und Amaryllis ſprach: Sieh doch, o Corylas,</l><lb/> <l>Sieh doch, wie eifrig dort die wilde Wachtel eilet,</l><lb/> <l>Wenn ſie das Weiblein lockt, ſo, daß ſie nichts verweilet.</l><lb/> <l>Biſt du mir wohl ſo hold? Als ich dich geſtern rief,</l><lb/> <l>Und dir zu Liebe faſt das halbe Dorf durchlief,</l><lb/> <l>Da wareſt du nicht da, da warſt du nicht zu ſehen,</l><lb/> <l>Und ich, ich wuſte kaum, wie mir dabey geſchehen.</l><lb/> <l>Hier ſchwieg ſie ſtill und zog die halb erzuͤrnte Hand,</l><lb/> <l>Von ſeinem Schooße weg, und ſah ihn halb verwandt</l><lb/> <l>Von einer Seiten an, in Hoffnung, durch die Klagen,</l><lb/> <l>Dem guten Corylas was ſuſſes abzujagen.</l><lb/> <l>Jhr Wunſch verfehlte nicht; denn als er Raum gewann,</l><lb/> <l>Hub ſein getreuer Mund die Schmeichel-Reden an,</l><lb/> <l>Und wuſte ſie gar leicht durch ſanftes Haͤnde-druͤcken,</l><lb/> <l>Durch Laͤcheln, durch den Strahl von angenehmen Blicken,</l><lb/> <l>Durch manchen klugen Schluß, der Hertz und Geiſt beſiegt,</l><lb/> <l>Zur Lindigkeit zu ziehn. Und kurtz, ſie war vergnuͤgt,</l><lb/> <l>Und ließ den Corylas, um ſeine Schuld zu buͤſſen,</l><lb/> <l>Den hingeſtreckten Mund zu tauſendmahlen kuͤſſen.</l> </lg><lb/> <lg n="23"> <l>So ſchienen ſie verſoͤhnt; allein der Schaͤferin</l><lb/> <l>Lag Eiferſucht und Furcht und Argwohn in dem Sinn.</l><lb/> <l>Der Oberhirt allda, ein Mann von vielen Gaben,</l><lb/> <l>Desgleichen wenige von ſich zu ruͤhmen haben,</l><lb/> <l>Begab ſich dazumahl mit ſeiner Galathee,</l><lb/> <l>Jn den erwuͤnſchten Standt der angenehmſten Eh.</l><lb/> <l>Die Braut war angenehm, ja jung und ſchoͤn zu heiſſen,</l><lb/> <l>Jhr fernes Vaterland war das begluͤckte Meiſſen,</l><lb/> <l>Kaum ſah der Braͤutigam dies Bild der Artigkeit,</l><lb/> <l>So hat er es geliebt und gar darnach gefreyt.</l><lb/> <l>Sie ſtammte zwar gleich ihm aus frommem Schaͤfer-Stande,</l><lb/> <l>Doch war ihr Aufenthalt faſt gar nicht auf dem Lande;</l><lb/> <l>Sie lebte mehrentheils in jener Linden-Stadt,</l><lb/> <l>Wo Geiſt und Artigkeit den rechten Wohnplatz hat.</l><lb/> <l>Doch hatte noch die Peſt der hoͤchſtverderbten Sitten,</l><lb/> <l>So ſonſt in Staͤdten herrſcht, ihr Weſen nicht beſtritten.</l><lb/> <l>Denn Eitelkeit und Stoltz, die Spiel- und Mode-Sucht,</l><lb/> <l>Die ſchnoͤde Klaͤtſcherey, des Muͤßigganges Frucht,</l><lb/> <l>Und das gemeine Gifft, die Frechheit in dem Lieben,</l><lb/> <l>Galanterie genannt, war ihr verhaßt geblieben.</l><lb/> <l>Drum fiel es ihr nicht ſchwer den wackern Galatin,</l><lb/> <l>Und ſeinen Schaͤfer-Stand den Staͤdten vorzuziehn,</l><lb/> <l>Und ihrem Braͤutigam, dem ſie ſchon kennen lernen,</l><lb/> <l>Zu Liebe, ſich vergnuͤgt aus Leipzig zu entfernen.<lb/> <fw place="bottom" type="sig">C c</fw><fw place="bottom" type="catch">Die</fw><lb/></l> </lg> </lg> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [401/0429]
Von Jdyllen, Eclogen oder Schaͤfer-Gedichten.
Es ſatzte ſich ſogleich ins halbverwelckte Gras,
Und Amaryllis ſprach: Sieh doch, o Corylas,
Sieh doch, wie eifrig dort die wilde Wachtel eilet,
Wenn ſie das Weiblein lockt, ſo, daß ſie nichts verweilet.
Biſt du mir wohl ſo hold? Als ich dich geſtern rief,
Und dir zu Liebe faſt das halbe Dorf durchlief,
Da wareſt du nicht da, da warſt du nicht zu ſehen,
Und ich, ich wuſte kaum, wie mir dabey geſchehen.
Hier ſchwieg ſie ſtill und zog die halb erzuͤrnte Hand,
Von ſeinem Schooße weg, und ſah ihn halb verwandt
Von einer Seiten an, in Hoffnung, durch die Klagen,
Dem guten Corylas was ſuſſes abzujagen.
Jhr Wunſch verfehlte nicht; denn als er Raum gewann,
Hub ſein getreuer Mund die Schmeichel-Reden an,
Und wuſte ſie gar leicht durch ſanftes Haͤnde-druͤcken,
Durch Laͤcheln, durch den Strahl von angenehmen Blicken,
Durch manchen klugen Schluß, der Hertz und Geiſt beſiegt,
Zur Lindigkeit zu ziehn. Und kurtz, ſie war vergnuͤgt,
Und ließ den Corylas, um ſeine Schuld zu buͤſſen,
Den hingeſtreckten Mund zu tauſendmahlen kuͤſſen.
So ſchienen ſie verſoͤhnt; allein der Schaͤferin
Lag Eiferſucht und Furcht und Argwohn in dem Sinn.
Der Oberhirt allda, ein Mann von vielen Gaben,
Desgleichen wenige von ſich zu ruͤhmen haben,
Begab ſich dazumahl mit ſeiner Galathee,
Jn den erwuͤnſchten Standt der angenehmſten Eh.
Die Braut war angenehm, ja jung und ſchoͤn zu heiſſen,
Jhr fernes Vaterland war das begluͤckte Meiſſen,
Kaum ſah der Braͤutigam dies Bild der Artigkeit,
So hat er es geliebt und gar darnach gefreyt.
Sie ſtammte zwar gleich ihm aus frommem Schaͤfer-Stande,
Doch war ihr Aufenthalt faſt gar nicht auf dem Lande;
Sie lebte mehrentheils in jener Linden-Stadt,
Wo Geiſt und Artigkeit den rechten Wohnplatz hat.
Doch hatte noch die Peſt der hoͤchſtverderbten Sitten,
So ſonſt in Staͤdten herrſcht, ihr Weſen nicht beſtritten.
Denn Eitelkeit und Stoltz, die Spiel- und Mode-Sucht,
Die ſchnoͤde Klaͤtſcherey, des Muͤßigganges Frucht,
Und das gemeine Gifft, die Frechheit in dem Lieben,
Galanterie genannt, war ihr verhaßt geblieben.
Drum fiel es ihr nicht ſchwer den wackern Galatin,
Und ſeinen Schaͤfer-Stand den Staͤdten vorzuziehn,
Und ihrem Braͤutigam, dem ſie ſchon kennen lernen,
Zu Liebe, ſich vergnuͤgt aus Leipzig zu entfernen.
Die
C c
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |