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Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730.

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Von Jdyllen, Eclogen oder Schäfer-Gedichten.

Kein Schäfer kan durch zärtliche Geberden,
Durch Schmeicheln, durch Gefälligkeit,
Von ihrer Neigung Meister werden.

Wie ist ihr nicht vor kurtzer Zeit
Der junge Thyrsis nachgegangen?
Er drang sich fast in allen Täntzen,
Gantz mercklich nach Philindens Hand.
Er ehrte sie sehr offt mit schönen Blumen-Kräntzen,
Jn Hoffnung, ihren Wiederstand
Durch die Beständigkeit zu schwächen,
Und endlich gantz und gar zu brechen.
Allein, es war umsonst.
Noch neulich hoffte Polidor,
Durch den beliebten Thon der Seyten
Philinden zu bestreiten;
Allein, es war umsonst.
Menalcas wolte sie durch sein geübtes Rohr,
Und angenehme Lieder zwingen:
Er sang ihr ihren Ruhm, und seine Schmertzen vor,
Und dachte gantz gewiß es würd' ihm noch gelingen;
Allein, auch dieses war umsonst.
Jhr Hertz blieb frey von allen Trieben.
Philinde kan, Philinde mag nicht lieben.
Silvander hörte dieß mit stillem Lächeln an,
Gleich einem, der was weiß, und gleichwohl schweigen kan.
So meynst du, Damon, denn, so brach er endlich loß,
Philindens Kälte sey so groß?
Rein, lieber Damon, nein.
Das Wesen der Natur muß dir verborgen seyn,
Sonst würdest du auch in Philinden,
Die Wirckung ihrer Kräffte finden.
Was dünckt dich von der Post?
Menalcas hat mir zugeschworen,
Philanders Tochter hat die Härtigkeit verlohren.
Sie liebt bereits, sie brennt vor lauter Liebe,
Durch des Amintas heiße Triebe,
Jst ihre kalte Brust entbrannt.
Jch selber sah sie jüngst zusammen ausspatzieren,
Er führte sie, gantz zitternd, an der Hand,
Sie ließ sich frey und willig führen.
Sie schienen auch zu schertzen:
Philinde ließ sich gar gantz ungezwungen hertzen.
Nun, Damon, kanst du leichtlich spüren.
Daß

Von Jdyllen, Eclogen oder Schaͤfer-Gedichten.

Kein Schaͤfer kan durch zaͤrtliche Geberden,
Durch Schmeicheln, durch Gefaͤlligkeit,
Von ihrer Neigung Meiſter werden.

Wie iſt ihr nicht vor kurtzer Zeit
Der junge Thyrſis nachgegangen?
Er drang ſich faſt in allen Taͤntzen,
Gantz mercklich nach Philindens Hand.
Er ehrte ſie ſehr offt mit ſchoͤnen Blumen-Kraͤntzen,
Jn Hoffnung, ihren Wiederſtand
Durch die Beſtaͤndigkeit zu ſchwaͤchen,
Und endlich gantz und gar zu brechen.
Allein, es war umſonſt.
Noch neulich hoffte Polidor,
Durch den beliebten Thon der Seyten
Philinden zu beſtreiten;
Allein, es war umſonſt.
Menalcas wolte ſie durch ſein geuͤbtes Rohr,
Und angenehme Lieder zwingen:
Er ſang ihr ihren Ruhm, und ſeine Schmertzen vor,
Und dachte gantz gewiß es wuͤrd’ ihm noch gelingen;
Allein, auch dieſes war umſonſt.
Jhr Hertz blieb frey von allen Trieben.
Philinde kan, Philinde mag nicht lieben.
Silvander hoͤrte dieß mit ſtillem Laͤcheln an,
Gleich einem, der was weiß, und gleichwohl ſchweigen kan.
So meynſt du, Damon, denn, ſo brach er endlich loß,
Philindens Kaͤlte ſey ſo groß?
Rein, lieber Damon, nein.
Das Weſen der Natur muß dir verborgen ſeyn,
Sonſt wuͤrdeſt du auch in Philinden,
Die Wirckung ihrer Kraͤffte finden.
Was duͤnckt dich von der Poſt?
Menalcas hat mir zugeſchworen,
Philanders Tochter hat die Haͤrtigkeit verlohren.
Sie liebt bereits, ſie brennt vor lauter Liebe,
Durch des Amintas heiße Triebe,
Jſt ihre kalte Bruſt entbrannt.
Jch ſelber ſah ſie juͤngſt zuſammen ausſpatzieren,
Er fuͤhrte ſie, gantz zitternd, an der Hand,
Sie ließ ſich frey und willig fuͤhren.
Sie ſchienen auch zu ſchertzen:
Philinde ließ ſich gar gantz ungezwungen hertzen.
Nun, Damon, kanſt du leichtlich ſpuͤren.
Daß
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[397/0425] Von Jdyllen, Eclogen oder Schaͤfer-Gedichten. Kein Schaͤfer kan durch zaͤrtliche Geberden, Durch Schmeicheln, durch Gefaͤlligkeit, Von ihrer Neigung Meiſter werden. Wie iſt ihr nicht vor kurtzer Zeit Der junge Thyrſis nachgegangen? Er drang ſich faſt in allen Taͤntzen, Gantz mercklich nach Philindens Hand. Er ehrte ſie ſehr offt mit ſchoͤnen Blumen-Kraͤntzen, Jn Hoffnung, ihren Wiederſtand Durch die Beſtaͤndigkeit zu ſchwaͤchen, Und endlich gantz und gar zu brechen. Allein, es war umſonſt. Noch neulich hoffte Polidor, Durch den beliebten Thon der Seyten Philinden zu beſtreiten; Allein, es war umſonſt. Menalcas wolte ſie durch ſein geuͤbtes Rohr, Und angenehme Lieder zwingen: Er ſang ihr ihren Ruhm, und ſeine Schmertzen vor, Und dachte gantz gewiß es wuͤrd’ ihm noch gelingen; Allein, auch dieſes war umſonſt. Jhr Hertz blieb frey von allen Trieben. Philinde kan, Philinde mag nicht lieben. Silvander hoͤrte dieß mit ſtillem Laͤcheln an, Gleich einem, der was weiß, und gleichwohl ſchweigen kan. So meynſt du, Damon, denn, ſo brach er endlich loß, Philindens Kaͤlte ſey ſo groß? Rein, lieber Damon, nein. Das Weſen der Natur muß dir verborgen ſeyn, Sonſt wuͤrdeſt du auch in Philinden, Die Wirckung ihrer Kraͤffte finden. Was duͤnckt dich von der Poſt? Menalcas hat mir zugeſchworen, Philanders Tochter hat die Haͤrtigkeit verlohren. Sie liebt bereits, ſie brennt vor lauter Liebe, Durch des Amintas heiße Triebe, Jſt ihre kalte Bruſt entbrannt. Jch ſelber ſah ſie juͤngſt zuſammen ausſpatzieren, Er fuͤhrte ſie, gantz zitternd, an der Hand, Sie ließ ſich frey und willig fuͤhren. Sie ſchienen auch zu ſchertzen: Philinde ließ ſich gar gantz ungezwungen hertzen. Nun, Damon, kanſt du leichtlich ſpuͤren. Daß

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Zitationshilfe: Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730, S. 397. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/425>, abgerufen am 24.11.2024.