fall erwerben wollte, könnte es auch in seiner besondern Mund- art versuchen. Wer gantz Deutschland gefallen will, muß bey der Hochdeutschen bleiben; doch so daß allezeit etwas dorf- ähnliches mit unterlaufe.
Die Schreibart der Eclogen muß niedrig und zärtlich seyn. Jhre Zierrathe müssen nicht weit gesucht seyn, sondern sehr natürlich herauskommen. Die Gleichnisse müssen nicht gar zu offt vorkommen, obwohl Virgil sie sehr zu häufen pflegt. Sprichwörter stehen den Schäfern besser an. Man bedient sich darinn der sechsfüßigen Jambischen Verße mit unge- schrenckten Reimen wie Neukirch gethan: Wiewohl ich mich durch das Exempel einiger neuern auch verleiten lassen, ein Paar in der Poesie der Faulen zu verfertigen, ich meyne in Madrigalischen oder Recitativ-Verßen. Das erste ist allezeit besser; Doch wollte ich eben nicht wehren daß nicht ein Schä- fer zuweilen eine kleine Arie oder Ode von etlichen Strophen darzwischen singen; oder wohl gar eine Elegie anstimmen könnte, um seine Betrübniß worüber auszudrücken. Ein Exempel von einem schönen Schäferliede giebt Bessers Eleo- nora die Betrübte etc. ab, ja ich habe auch dergleichen eins sin- gen hören: Ob ich gleich ein Schäfer bin etc. welches mir sehr wohl gefallen hat. Nun will ich etliche Proben von meiner Arbeit hersetzen, zuvor aber des Boileau Regeln davon, wie oben bey der Ode, mittheilen.
Telle qu'une Bergere, au plus beau jour de fete, De superbes Rubis ne charge point sa tete, Et sans meler a l'or l'eclat des Diamans, Cueille en un champ voisin ses plus beaux ornements. Telle, aimable en son air, mais humble dans son stile, Doit eclater sans pompe une elegante Idylle. Son tour simple & naeif n'a rien de fastueux, Et n'aime point l'orgueil d'un Vers presomptueux. Il faut que sa douceur flate, chatouille, eveille, Et jamais de grands mots n'epouvante l'oreille. Mais souvent dans ce stile un Rimeur aux abois, Jette la de depit, la Flaute & le Hautbois, Et follement pompeux, dans sa verve indiscrete, Au milieu d'une Egloge entonne la Trompette. De peur de l'ecouter Pan fuit dans les Roseaux,
Et
Des II Theils III Capitel
fall erwerben wollte, koͤnnte es auch in ſeiner beſondern Mund- art verſuchen. Wer gantz Deutſchland gefallen will, muß bey der Hochdeutſchen bleiben; doch ſo daß allezeit etwas dorf- aͤhnliches mit unterlaufe.
Die Schreibart der Eclogen muß niedrig und zaͤrtlich ſeyn. Jhre Zierrathe muͤſſen nicht weit geſucht ſeyn, ſondern ſehr natuͤrlich herauskommen. Die Gleichniſſe muͤſſen nicht gar zu offt vorkommen, obwohl Virgil ſie ſehr zu haͤufen pflegt. Sprichwoͤrter ſtehen den Schaͤfern beſſer an. Man bedient ſich darinn der ſechsfuͤßigen Jambiſchen Verße mit unge- ſchrenckten Reimen wie Neukirch gethan: Wiewohl ich mich durch das Exempel einiger neuern auch verleiten laſſen, ein Paar in der Poeſie der Faulen zu verfertigen, ich meyne in Madrigaliſchen oder Recitativ-Verßen. Das erſte iſt allezeit beſſer; Doch wollte ich eben nicht wehren daß nicht ein Schaͤ- fer zuweilen eine kleine Arie oder Ode von etlichen Strophen darzwiſchen ſingen; oder wohl gar eine Elegie anſtimmen koͤnnte, um ſeine Betruͤbniß woruͤber auszudruͤcken. Ein Exempel von einem ſchoͤnen Schaͤferliede giebt Beſſers Eleo- nora die Betruͤbte ꝛc. ab, ja ich habe auch dergleichen eins ſin- gen hoͤren: Ob ich gleich ein Schaͤfer bin ꝛc. welches mir ſehr wohl gefallen hat. Nun will ich etliche Proben von meiner Arbeit herſetzen, zuvor aber des Boileau Regeln davon, wie oben bey der Ode, mittheilen.
Telle qu’une Bergere, au plus beau jour de féte, De ſuperbes Rubis ne charge point ſa tête, Et ſans mêler à l’or l’eclat des Diamans, Cueille en un champ voiſin ſes plus beaux ornements. Telle, aimable en ſon air, mais humble dans ſon ſtile, Doit éclater ſans pompe une elegante Idylle. Son tour ſimple & naîf n’a rien de faſtueux, Et n’aime point l’orgueil d’un Vers preſomptueux. Il faut que ſa douceur flate, chatouille, eveille, Et jamais de grands mots n’epouvante l’oreille. Mais ſouvent dans ce ſtile un Rimeur aux abois, Jette là de depit, la Flûte & le Hautbois, Et follement pompeux, dans ſa verve indiſcrete, Au milieu d’une Egloge entonne la Trompette. De peur de l’ecouter Pan fuit dans les Roſeaux,
Et
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0422"n="394"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">Des <hirendition="#aq">II</hi> Theils <hirendition="#aq">III</hi> Capitel</hi></fw><lb/>
fall erwerben wollte, koͤnnte es auch in ſeiner beſondern Mund-<lb/>
art verſuchen. Wer gantz Deutſchland gefallen will, muß<lb/>
bey der Hochdeutſchen bleiben; doch ſo daß allezeit etwas dorf-<lb/>
aͤhnliches mit unterlaufe.</p><lb/><p>Die Schreibart der Eclogen muß niedrig und zaͤrtlich<lb/>ſeyn. Jhre Zierrathe muͤſſen nicht weit geſucht ſeyn, ſondern<lb/>ſehr natuͤrlich herauskommen. Die Gleichniſſe muͤſſen nicht<lb/>
gar zu offt vorkommen, obwohl Virgil ſie ſehr zu haͤufen pflegt.<lb/>
Sprichwoͤrter ſtehen den Schaͤfern beſſer an. Man bedient<lb/>ſich darinn der ſechsfuͤßigen Jambiſchen Verße mit unge-<lb/>ſchrenckten Reimen wie Neukirch gethan: Wiewohl ich mich<lb/>
durch das Exempel einiger neuern auch verleiten laſſen, ein<lb/>
Paar in der Poeſie der Faulen zu verfertigen, ich meyne in<lb/>
Madrigaliſchen oder Recitativ-Verßen. Das erſte iſt allezeit<lb/>
beſſer; Doch wollte ich eben nicht wehren daß nicht ein Schaͤ-<lb/>
fer zuweilen eine kleine Arie oder Ode von etlichen Strophen<lb/>
darzwiſchen ſingen; oder wohl gar eine Elegie anſtimmen<lb/>
koͤnnte, um ſeine Betruͤbniß woruͤber auszudruͤcken. Ein<lb/>
Exempel von einem ſchoͤnen Schaͤferliede giebt Beſſers Eleo-<lb/>
nora die Betruͤbte ꝛc. ab, ja ich habe auch dergleichen eins ſin-<lb/>
gen hoͤren: Ob ich gleich ein Schaͤfer bin ꝛc. welches mir ſehr<lb/>
wohl gefallen hat. Nun will ich etliche Proben von meiner<lb/>
Arbeit herſetzen, zuvor aber des Boileau Regeln davon, wie<lb/>
oben bey der Ode, mittheilen.</p><lb/><cit><quote><hirendition="#aq">Telle qu’une Bergere, au plus beau jour de féte,<lb/>
De ſuperbes Rubis ne charge point ſa tête,<lb/>
Et ſans mêler à l’or l’eclat des Diamans,<lb/>
Cueille en un champ voiſin ſes plus beaux ornements.<lb/>
Telle, aimable en ſon air, mais humble dans ſon ſtile,<lb/>
Doit éclater ſans pompe une elegante Idylle.<lb/>
Son tour ſimple & naîf n’a rien de faſtueux,<lb/>
Et n’aime point l’orgueil d’un Vers preſomptueux.<lb/>
Il faut que ſa douceur flate, chatouille, eveille,<lb/>
Et jamais de grands mots n’epouvante l’oreille.<lb/>
Mais ſouvent dans ce ſtile un Rimeur aux abois,<lb/>
Jette là de depit, la Flûte & le Hautbois,<lb/>
Et follement pompeux, dans ſa verve indiſcrete,<lb/>
Au milieu d’une Egloge entonne la Trompette.<lb/>
De peur de l’ecouter Pan fuit dans les Roſeaux,</hi><lb/><fwplace="bottom"type="catch"><hirendition="#aq">Et</hi></fw><lb/></quote></cit></div></div></body></text></TEI>
[394/0422]
Des II Theils III Capitel
fall erwerben wollte, koͤnnte es auch in ſeiner beſondern Mund-
art verſuchen. Wer gantz Deutſchland gefallen will, muß
bey der Hochdeutſchen bleiben; doch ſo daß allezeit etwas dorf-
aͤhnliches mit unterlaufe.
Die Schreibart der Eclogen muß niedrig und zaͤrtlich
ſeyn. Jhre Zierrathe muͤſſen nicht weit geſucht ſeyn, ſondern
ſehr natuͤrlich herauskommen. Die Gleichniſſe muͤſſen nicht
gar zu offt vorkommen, obwohl Virgil ſie ſehr zu haͤufen pflegt.
Sprichwoͤrter ſtehen den Schaͤfern beſſer an. Man bedient
ſich darinn der ſechsfuͤßigen Jambiſchen Verße mit unge-
ſchrenckten Reimen wie Neukirch gethan: Wiewohl ich mich
durch das Exempel einiger neuern auch verleiten laſſen, ein
Paar in der Poeſie der Faulen zu verfertigen, ich meyne in
Madrigaliſchen oder Recitativ-Verßen. Das erſte iſt allezeit
beſſer; Doch wollte ich eben nicht wehren daß nicht ein Schaͤ-
fer zuweilen eine kleine Arie oder Ode von etlichen Strophen
darzwiſchen ſingen; oder wohl gar eine Elegie anſtimmen
koͤnnte, um ſeine Betruͤbniß woruͤber auszudruͤcken. Ein
Exempel von einem ſchoͤnen Schaͤferliede giebt Beſſers Eleo-
nora die Betruͤbte ꝛc. ab, ja ich habe auch dergleichen eins ſin-
gen hoͤren: Ob ich gleich ein Schaͤfer bin ꝛc. welches mir ſehr
wohl gefallen hat. Nun will ich etliche Proben von meiner
Arbeit herſetzen, zuvor aber des Boileau Regeln davon, wie
oben bey der Ode, mittheilen.
Telle qu’une Bergere, au plus beau jour de féte,
De ſuperbes Rubis ne charge point ſa tête,
Et ſans mêler à l’or l’eclat des Diamans,
Cueille en un champ voiſin ſes plus beaux ornements.
Telle, aimable en ſon air, mais humble dans ſon ſtile,
Doit éclater ſans pompe une elegante Idylle.
Son tour ſimple & naîf n’a rien de faſtueux,
Et n’aime point l’orgueil d’un Vers preſomptueux.
Il faut que ſa douceur flate, chatouille, eveille,
Et jamais de grands mots n’epouvante l’oreille.
Mais ſouvent dans ce ſtile un Rimeur aux abois,
Jette là de depit, la Flûte & le Hautbois,
Et follement pompeux, dans ſa verve indiſcrete,
Au milieu d’une Egloge entonne la Trompette.
De peur de l’ecouter Pan fuit dans les Roſeaux,
Et
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730, S. 394. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/422>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.