Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730.
Dem 65 Bescheiden thut. Z. E. wenn man une Courtisane eine Buhldirne ein Original ein Urbild, eine Jdee ein Denckbild nennet; so wird wohl die Beschei- denheit noch nicht verletzet: Wer aber den Spiegel einen Gleicher, die Nase einen Schnauber, den Fuß einen Trittling nennen wollte, würde gewißlich verstossen. 67 Griechenland. Was Horatz von Griechenlandsagt, das gilt bey uns von Franckreich. Es giebt einige Worte die wir von ihnen nehmen müssen; weil wir sie nicht ohne grosse Umschweife deutsch geben können. Z. E. Perücke. Compliment, Palatin u. d. gl. allein viele thuns ohne Noth. 81 Julius Cäsar hatte angefangen die Lucrinische See mit dem Meere zu ver- einigen: August brachte es vollends zu Stande, nennete aber diese Anfurt Portum Julium. 83 Augustus. Der Römische Bürger meister Cethegus hatte den Pomptini- schen Morast schon einmahl ausgetrucknet; er war aber wieder sumpfigt geworden. August ließ ihn zum andern mahl in brauchbar Land verwandeln. Es hat aber auch nicht lange gedauret. 94 Gewohnheit. Freylich muß man nichts schreiben als was üblich ist;
aber nicht alles was üblich ist darf man schreiben. Die Gewohnheit ist zweyerley; Die eine geht bey den geschicktesten Hofleuten, den guten Scribenten und dem ver- nünf-
Dem 65 Beſcheiden thut. Z. E. wenn man une Courtiſane eine Buhldirne ein Original ein Urbild, eine Jdee ein Denckbild nennet; ſo wird wohl die Beſchei- denheit noch nicht verletzet: Wer aber den Spiegel einen Gleicher, die Naſe einen Schnauber, den Fuß einen Trittling nennen wollte, wuͤrde gewißlich verſtoſſen. 67 Griechenland. Was Horatz von Griechenlandſagt, das gilt bey uns von Franckreich. Es giebt einige Worte die wir von ihnen nehmen muͤſſen; weil wir ſie nicht ohne groſſe Umſchweife deutſch geben koͤnnen. Z. E. Peruͤcke. Compliment, Palatin u. d. gl. allein viele thuns ohne Noth. 81 Julius Caͤſar hatte angefangen die Lucriniſche See mit dem Meere zu ver- einigen: Auguſt brachte es vollends zu Stande, nennete aber dieſe Anfurt Portum Julium. 83 Auguſtus. Der Roͤmiſche Buͤrger meiſter Cethegus hatte den Pomptini- ſchen Moraſt ſchon einmahl ausgetrucknet; er war aber wieder ſumpfigt geworden. Auguſt ließ ihn zum andern mahl in brauchbar Land verwandeln. Es hat aber auch nicht lange gedauret. 94 Gewohnheit. Freylich muß man nichts ſchreiben als was uͤblich iſt;
aber nicht alles was uͤblich iſt darf man ſchreiben. Die Gewohnheit iſt zweyerley; Die eine geht bey den geſchickteſten Hofleuten, den guten Scribenten und dem ver- nuͤnf- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <lg type="poem"> <lg n="3"> <l> <pb facs="#f0042" n="14"/> <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Horatius von der Dicht-Kunſt.</hi> </fw> </l><lb/> <l>Doch muß die Redens-Art des Schreibers Sinn erklaͤren.</l><lb/> <l>Doch ſollten Kunſt und Fleiß ein neues Ding gewaͤhren,</l><lb/> <l>So ſtellt mans ungeſcheut durch einen Ausdruck dar,</l><lb/> <l>Der unſern Vaͤtern noch was unerhoͤrtes war.<lb/><note place="left">65</note>Wer dieß beſcheiden thut, dem kan mans nicht verwehren.</l><lb/> <l>Zuweilen kan man auch der Woͤrter nicht entbehren,</l><lb/> <l>Die Griechenland uns leyht. Was Plautus und Lucil</l><lb/> <l>Vorzeiten Macht gehabt, das kan ja auch Virgil.</l><lb/> <l>Hat Ennius uns nicht manch neues Wort gelehret?<lb/><note place="left">70</note>Hat Cato das Latein nicht ebenfalls vermehret,</l><lb/> <l>Und manche Redens-Art zu Rom in Schwang gebracht?</l><lb/> <l>Wie kommts denn, daß man itzt ein ſolches Weſen macht,</l><lb/> <l>Wenn ichs zuweilen thu? Wer hat mich hier zu ſchelten?</l><lb/> <l>Ein neuer Ausdruck muß gleich neuen Thalern gelten.<lb/><note place="left">75</note>So wie es alle Jahr belaubten Waͤldern geht;</l><lb/> <l>Das welcke Laub faͤllt ab, das neue Blatt entſteht:</l><lb/> <l>So gehts den Sprachen auch. Ein altes Wort verſchwindet,</l><lb/> <l>Jndem ſich unvermerckt ein neuer Ausdruck findet.</l><lb/> <l>Dem Tode ſind nicht nur die Menſchen unterthan,<lb/><note place="left">80</note>Sein Arm greift alles das, was menſchlich heiſſet, an.</l><lb/> <l>Hier laͤßt ein Julius den neuen Hafen bauen,<lb/> <fw place="bottom" type="catch">Dem</fw><lb/><note place="foot" n="65"><hi rendition="#fr">Beſcheiden thut.</hi> Z. E. wenn man <hi rendition="#aq">une Courtiſane</hi> eine Buhldirne ein<lb/> Original ein Urbild, eine Jdee ein Denckbild nennet; ſo wird wohl die Beſchei-<lb/> denheit noch nicht verletzet<hi rendition="#i">:</hi> Wer aber den Spiegel einen Gleicher, die Naſe einen<lb/> Schnauber, den Fuß einen Trittling nennen wollte, wuͤrde gewißlich verſtoſſen.</note><lb/><note place="foot" n="67"><hi rendition="#fr">Griechenland.</hi> Was Horatz von Griechenlandſagt, das gilt bey uns von<lb/> Franckreich. Es giebt einige Worte die wir von ihnen nehmen muͤſſen; weil wir<lb/> ſie nicht ohne groſſe Umſchweife deutſch geben koͤnnen. Z. E. Peruͤcke. Compliment,<lb/> Palatin u. d. gl. allein viele thuns ohne Noth.</note><lb/><note place="foot" n="81"><hi rendition="#fr">Julius</hi> Caͤſar hatte angefangen die Lucriniſche See mit dem Meere zu ver-<lb/> einigen: Auguſt brachte es vollends zu Stande, nennete aber dieſe Anfurt <hi rendition="#aq">Portum<lb/> Julium.</hi></note><lb/><note place="foot" n="83"><hi rendition="#fr">Auguſtus.</hi> Der Roͤmiſche Buͤrger meiſter Cethegus hatte den Pomptini-<lb/> ſchen Moraſt ſchon einmahl ausgetrucknet; er war aber wieder ſumpfigt geworden.<lb/> Auguſt ließ ihn zum andern mahl in brauchbar Land verwandeln. Es hat aber<lb/> auch nicht lange gedauret.</note><lb/><note xml:id="f03" next="#f04" place="foot" n="94"><hi rendition="#fr">Gewohnheit.</hi> Freylich muß man nichts ſchreiben als was uͤblich iſt;<lb/> aber nicht alles was uͤblich iſt darf man ſchreiben. Die Gewohnheit iſt zweyerley;<lb/> Die eine geht bey den geſchickteſten Hofleuten, den guten Scribenten und dem ver-<lb/> <fw place="bottom" type="catch">nuͤnf-</fw></note><lb/></l> </lg> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [14/0042]
Horatius von der Dicht-Kunſt.
Doch muß die Redens-Art des Schreibers Sinn erklaͤren.
Doch ſollten Kunſt und Fleiß ein neues Ding gewaͤhren,
So ſtellt mans ungeſcheut durch einen Ausdruck dar,
Der unſern Vaͤtern noch was unerhoͤrtes war.
Wer dieß beſcheiden thut, dem kan mans nicht verwehren.
Zuweilen kan man auch der Woͤrter nicht entbehren,
Die Griechenland uns leyht. Was Plautus und Lucil
Vorzeiten Macht gehabt, das kan ja auch Virgil.
Hat Ennius uns nicht manch neues Wort gelehret?
Hat Cato das Latein nicht ebenfalls vermehret,
Und manche Redens-Art zu Rom in Schwang gebracht?
Wie kommts denn, daß man itzt ein ſolches Weſen macht,
Wenn ichs zuweilen thu? Wer hat mich hier zu ſchelten?
Ein neuer Ausdruck muß gleich neuen Thalern gelten.
So wie es alle Jahr belaubten Waͤldern geht;
Das welcke Laub faͤllt ab, das neue Blatt entſteht:
So gehts den Sprachen auch. Ein altes Wort verſchwindet,
Jndem ſich unvermerckt ein neuer Ausdruck findet.
Dem Tode ſind nicht nur die Menſchen unterthan,
Sein Arm greift alles das, was menſchlich heiſſet, an.
Hier laͤßt ein Julius den neuen Hafen bauen,
Dem
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65 Beſcheiden thut. Z. E. wenn man une Courtiſane eine Buhldirne ein
Original ein Urbild, eine Jdee ein Denckbild nennet; ſo wird wohl die Beſchei-
denheit noch nicht verletzet: Wer aber den Spiegel einen Gleicher, die Naſe einen
Schnauber, den Fuß einen Trittling nennen wollte, wuͤrde gewißlich verſtoſſen.
67 Griechenland. Was Horatz von Griechenlandſagt, das gilt bey uns von
Franckreich. Es giebt einige Worte die wir von ihnen nehmen muͤſſen; weil wir
ſie nicht ohne groſſe Umſchweife deutſch geben koͤnnen. Z. E. Peruͤcke. Compliment,
Palatin u. d. gl. allein viele thuns ohne Noth.
81 Julius Caͤſar hatte angefangen die Lucriniſche See mit dem Meere zu ver-
einigen: Auguſt brachte es vollends zu Stande, nennete aber dieſe Anfurt Portum
Julium.
83 Auguſtus. Der Roͤmiſche Buͤrger meiſter Cethegus hatte den Pomptini-
ſchen Moraſt ſchon einmahl ausgetrucknet; er war aber wieder ſumpfigt geworden.
Auguſt ließ ihn zum andern mahl in brauchbar Land verwandeln. Es hat aber
auch nicht lange gedauret.
94 Gewohnheit. Freylich muß man nichts ſchreiben als was uͤblich iſt;
aber nicht alles was uͤblich iſt darf man ſchreiben. Die Gewohnheit iſt zweyerley;
Die eine geht bey den geſchickteſten Hofleuten, den guten Scribenten und dem ver-
nuͤnf-
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