Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730.

Bild:
<< vorherige Seite

Von Jdyllen, Eclogen oder Schäfer-Gedichten.
Traum, darinn es ihm vorgekommen als ob er einen goldenen
Fisch gefangen hätte. Allein die Fischer-Arbeit ist viel zu be-
schwerlich gegen das ruhige und glückseelige Leben, so wir uns
im Schäferstande vorstellen. Die See ist bey weitem so
angenehm nicht, als eine schöne Aue, und die Schnecken oder
Austern geben solche beliebte Geschencke nicht ab, als Blu-
men und Früchte.

Unter den Jtalienern hat Tasso, Guarini, Bonarelli
und Marino sich mit Schäfer-Gedichten hervorgethan; aber
alle mit einander haben ihre Hirten viel zu scharfsinnig ge-
macht. Tasso, der noch am leidlichsten ist, hat dennoch in
seinem Amyntas die Sylvia gar zu künstlich dencken lassen.
Sie hat sich mit Blumen geschmücket, und da sie sich in einem
Brunn spiegelt, sagt sie zu ihnen; sie trage dieselben nicht so-
wohl sich selbst dadurch zu putzen, sondern sie vielmehr durch
ihre eigene Schönheit zu beschämen. Bouhours hat diese
Stelle mit gutem Rechte verworfen; aber gegen andre italie-
nische Künsteleyen und Spitzfündigkeiten ihrer Schäfer, ist
das noch nichts zu rechnen. Guarini läst z. E. in seinem treuen
Schäfer, eine Schäferin, mitten in der Hefftigkeit ihrer Liebe,
auf eine sehr philosophische Art, die Götter zur Rede setzen,
warum sie uns doch durch so scharfe Gesetze eingeschräncket,
zu gleicher Zeit aber solche unüberwindliche Begierden gege-
ben? Wer hätte dergleichen tiefes Nachsinnen bey einer
Schäferin gesuchet?

Unter Franzosen hat Marot, Ronsard, Segrais und
Fontenelle sich mit Schäfer-Gedichten bekannt gemacht. Der
erste ist abgeschmackt; der andre hat gemeiniglich hohe Ma-
terien in seine Eclogen gebracht, indem er Fürstlichen Perso-
nen nur Schäfer-Nahmen giebt. Henrich I. heißt Henriot,
Carl der IX Carlin, und Catharine von Medicis Catin.
Ja er läßt einmahl die Schäferin Margot das Lob des Tur-
nebus, Budeus und Vatablus anstimmen, die grösten Grie-
chen und Hebräer ihrer Zeiten, von welchen seine Schäferin
billig nichts hätte wissen sollen. Das beste ist daß er selbst
gesteht, er habe seine Eclogen nicht nach den Regeln gemacht.
Segrais hat eben das im Absehen auf seine Schreibart ge-

standen,
B b 2

Von Jdyllen, Eclogen oder Schaͤfer-Gedichten.
Traum, darinn es ihm vorgekommen als ob er einen goldenen
Fiſch gefangen haͤtte. Allein die Fiſcher-Arbeit iſt viel zu be-
ſchwerlich gegen das ruhige und gluͤckſeelige Leben, ſo wir uns
im Schaͤferſtande vorſtellen. Die See iſt bey weitem ſo
angenehm nicht, als eine ſchoͤne Aue, und die Schnecken oder
Auſtern geben ſolche beliebte Geſchencke nicht ab, als Blu-
men und Fruͤchte.

Unter den Jtalienern hat Taſſo, Guarini, Bonarelli
und Marino ſich mit Schaͤfer-Gedichten hervorgethan; aber
alle mit einander haben ihre Hirten viel zu ſcharfſinnig ge-
macht. Taſſo, der noch am leidlichſten iſt, hat dennoch in
ſeinem Amyntas die Sylvia gar zu kuͤnſtlich dencken laſſen.
Sie hat ſich mit Blumen geſchmuͤcket, und da ſie ſich in einem
Brunn ſpiegelt, ſagt ſie zu ihnen; ſie trage dieſelben nicht ſo-
wohl ſich ſelbſt dadurch zu putzen, ſondern ſie vielmehr durch
ihre eigene Schoͤnheit zu beſchaͤmen. Bouhours hat dieſe
Stelle mit gutem Rechte verworfen; aber gegen andre italie-
niſche Kuͤnſteleyen und Spitzfuͤndigkeiten ihrer Schaͤfer, iſt
das noch nichts zu rechnen. Guarini laͤſt z. E. in ſeinem treuen
Schaͤfer, eine Schaͤferin, mitten in der Hefftigkeit ihrer Liebe,
auf eine ſehr philoſophiſche Art, die Goͤtter zur Rede ſetzen,
warum ſie uns doch durch ſo ſcharfe Geſetze eingeſchraͤncket,
zu gleicher Zeit aber ſolche unuͤberwindliche Begierden gege-
ben? Wer haͤtte dergleichen tiefes Nachſinnen bey einer
Schaͤferin geſuchet?

Unter Franzoſen hat Marot, Ronſard, Segrais und
Fontenelle ſich mit Schaͤfer-Gedichten bekannt gemacht. Der
erſte iſt abgeſchmackt; der andre hat gemeiniglich hohe Ma-
terien in ſeine Eclogen gebracht, indem er Fuͤrſtlichen Perſo-
nen nur Schaͤfer-Nahmen giebt. Henrich I. heißt Henriot,
Carl der IX Carlin, und Catharine von Medicis Catin.
Ja er laͤßt einmahl die Schaͤferin Margot das Lob des Tur-
nebus, Budeus und Vatablus anſtimmen, die groͤſten Grie-
chen und Hebraͤer ihrer Zeiten, von welchen ſeine Schaͤferin
billig nichts haͤtte wiſſen ſollen. Das beſte iſt daß er ſelbſt
geſteht, er habe ſeine Eclogen nicht nach den Regeln gemacht.
Segrais hat eben das im Abſehen auf ſeine Schreibart ge-

ſtanden,
B b 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0415" n="387"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Von Jdyllen, Eclogen oder Scha&#x0364;fer-Gedichten.</hi></fw><lb/>
Traum, darinn es ihm vorgekommen als ob er einen goldenen<lb/>
Fi&#x017F;ch gefangen ha&#x0364;tte. Allein die Fi&#x017F;cher-Arbeit i&#x017F;t viel zu be-<lb/>
&#x017F;chwerlich gegen das ruhige und glu&#x0364;ck&#x017F;eelige Leben, &#x017F;o wir uns<lb/>
im Scha&#x0364;fer&#x017F;tande vor&#x017F;tellen. Die See i&#x017F;t bey weitem &#x017F;o<lb/>
angenehm nicht, als eine &#x017F;cho&#x0364;ne Aue, und die Schnecken oder<lb/>
Au&#x017F;tern geben &#x017F;olche beliebte Ge&#x017F;chencke nicht ab, als Blu-<lb/>
men und Fru&#x0364;chte.</p><lb/>
          <p>Unter den Jtalienern hat Ta&#x017F;&#x017F;o, Guarini, Bonarelli<lb/>
und Marino &#x017F;ich mit Scha&#x0364;fer-Gedichten hervorgethan; aber<lb/>
alle mit einander haben ihre Hirten viel zu &#x017F;charf&#x017F;innig ge-<lb/>
macht. Ta&#x017F;&#x017F;o, der noch am leidlich&#x017F;ten i&#x017F;t, hat dennoch in<lb/>
&#x017F;einem Amyntas die Sylvia gar zu ku&#x0364;n&#x017F;tlich dencken la&#x017F;&#x017F;en.<lb/>
Sie hat &#x017F;ich mit Blumen ge&#x017F;chmu&#x0364;cket, und da &#x017F;ie &#x017F;ich in einem<lb/>
Brunn &#x017F;piegelt, &#x017F;agt &#x017F;ie zu ihnen; &#x017F;ie trage die&#x017F;elben nicht &#x017F;o-<lb/>
wohl &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t dadurch zu putzen, &#x017F;ondern &#x017F;ie vielmehr durch<lb/>
ihre eigene Scho&#x0364;nheit zu be&#x017F;cha&#x0364;men. Bouhours hat die&#x017F;e<lb/>
Stelle mit gutem Rechte verworfen; aber gegen andre italie-<lb/>
ni&#x017F;che Ku&#x0364;n&#x017F;teleyen und Spitzfu&#x0364;ndigkeiten ihrer Scha&#x0364;fer, i&#x017F;t<lb/>
das noch nichts zu rechnen. Guarini la&#x0364;&#x017F;t z. E. in &#x017F;einem treuen<lb/>
Scha&#x0364;fer, eine Scha&#x0364;ferin, mitten in der Hefftigkeit ihrer Liebe,<lb/>
auf eine &#x017F;ehr philo&#x017F;ophi&#x017F;che Art, die Go&#x0364;tter zur Rede &#x017F;etzen,<lb/>
warum &#x017F;ie uns doch durch &#x017F;o &#x017F;charfe Ge&#x017F;etze einge&#x017F;chra&#x0364;ncket,<lb/>
zu gleicher Zeit aber &#x017F;olche unu&#x0364;berwindliche Begierden gege-<lb/>
ben? Wer ha&#x0364;tte dergleichen tiefes Nach&#x017F;innen bey einer<lb/>
Scha&#x0364;ferin ge&#x017F;uchet?</p><lb/>
          <p>Unter Franzo&#x017F;en hat Marot, Ron&#x017F;ard, Segrais und<lb/>
Fontenelle &#x017F;ich mit Scha&#x0364;fer-Gedichten bekannt gemacht. Der<lb/>
er&#x017F;te i&#x017F;t abge&#x017F;chmackt; der andre hat gemeiniglich hohe Ma-<lb/>
terien in &#x017F;eine Eclogen gebracht, indem er Fu&#x0364;r&#x017F;tlichen Per&#x017F;o-<lb/>
nen nur Scha&#x0364;fer-Nahmen giebt. Henrich <hi rendition="#aq">I.</hi> heißt Henriot,<lb/>
Carl der <hi rendition="#aq">IX</hi> Carlin, und Catharine von Medicis Catin.<lb/>
Ja er la&#x0364;ßt einmahl die Scha&#x0364;ferin Margot das Lob des Tur-<lb/>
nebus, Budeus und Vatablus an&#x017F;timmen, die gro&#x0364;&#x017F;ten Grie-<lb/>
chen und Hebra&#x0364;er ihrer Zeiten, von welchen &#x017F;eine Scha&#x0364;ferin<lb/>
billig nichts ha&#x0364;tte wi&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ollen. Das be&#x017F;te i&#x017F;t daß er &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
ge&#x017F;teht, er habe &#x017F;eine Eclogen nicht nach den Regeln gemacht.<lb/>
Segrais hat eben das im Ab&#x017F;ehen auf &#x017F;eine Schreibart ge-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">B b 2</fw><fw place="bottom" type="catch">&#x017F;tanden,</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[387/0415] Von Jdyllen, Eclogen oder Schaͤfer-Gedichten. Traum, darinn es ihm vorgekommen als ob er einen goldenen Fiſch gefangen haͤtte. Allein die Fiſcher-Arbeit iſt viel zu be- ſchwerlich gegen das ruhige und gluͤckſeelige Leben, ſo wir uns im Schaͤferſtande vorſtellen. Die See iſt bey weitem ſo angenehm nicht, als eine ſchoͤne Aue, und die Schnecken oder Auſtern geben ſolche beliebte Geſchencke nicht ab, als Blu- men und Fruͤchte. Unter den Jtalienern hat Taſſo, Guarini, Bonarelli und Marino ſich mit Schaͤfer-Gedichten hervorgethan; aber alle mit einander haben ihre Hirten viel zu ſcharfſinnig ge- macht. Taſſo, der noch am leidlichſten iſt, hat dennoch in ſeinem Amyntas die Sylvia gar zu kuͤnſtlich dencken laſſen. Sie hat ſich mit Blumen geſchmuͤcket, und da ſie ſich in einem Brunn ſpiegelt, ſagt ſie zu ihnen; ſie trage dieſelben nicht ſo- wohl ſich ſelbſt dadurch zu putzen, ſondern ſie vielmehr durch ihre eigene Schoͤnheit zu beſchaͤmen. Bouhours hat dieſe Stelle mit gutem Rechte verworfen; aber gegen andre italie- niſche Kuͤnſteleyen und Spitzfuͤndigkeiten ihrer Schaͤfer, iſt das noch nichts zu rechnen. Guarini laͤſt z. E. in ſeinem treuen Schaͤfer, eine Schaͤferin, mitten in der Hefftigkeit ihrer Liebe, auf eine ſehr philoſophiſche Art, die Goͤtter zur Rede ſetzen, warum ſie uns doch durch ſo ſcharfe Geſetze eingeſchraͤncket, zu gleicher Zeit aber ſolche unuͤberwindliche Begierden gege- ben? Wer haͤtte dergleichen tiefes Nachſinnen bey einer Schaͤferin geſuchet? Unter Franzoſen hat Marot, Ronſard, Segrais und Fontenelle ſich mit Schaͤfer-Gedichten bekannt gemacht. Der erſte iſt abgeſchmackt; der andre hat gemeiniglich hohe Ma- terien in ſeine Eclogen gebracht, indem er Fuͤrſtlichen Perſo- nen nur Schaͤfer-Nahmen giebt. Henrich I. heißt Henriot, Carl der IX Carlin, und Catharine von Medicis Catin. Ja er laͤßt einmahl die Schaͤferin Margot das Lob des Tur- nebus, Budeus und Vatablus anſtimmen, die groͤſten Grie- chen und Hebraͤer ihrer Zeiten, von welchen ſeine Schaͤferin billig nichts haͤtte wiſſen ſollen. Das beſte iſt daß er ſelbſt geſteht, er habe ſeine Eclogen nicht nach den Regeln gemacht. Segrais hat eben das im Abſehen auf ſeine Schreibart ge- ſtanden, B b 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/415
Zitationshilfe: Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730, S. 387. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/415>, abgerufen am 28.11.2024.