Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730.

Bild:
<< vorherige Seite
Des II Theils I Capitel
Auf eine vorgegebene Melodie, einem bekümmerten Ge-
müthe zu Gefallen verfertiget.
HArter Himmel! dein Geschicke
Macht mir täglich neuen Schmertz,
Deiner Fügung rauhe Blicke,
Foltern mein gequältes Hertz.
Jch empfinde tausend Plagen,
Tausend Martern und Verdruß;
Die ich aber keinem sagen,
Keiner Seele klagen muß.
Mir allein bekannte Sorgen
Schläfern mich des Abends ein;
Und der angebrochne Morgen
Läst mich nicht vergnügter seyn.
Denn nach dem verschwundnen Schlummer,
Wird die alte Marter neu;
Ja mein stiller Seelen-Kummer
Läßt mir keine Stunde frey.
Scheint mein Antlitz gleich vergnüget,
So ist doch der Geist betrübt,
Mein verstelltes Auge trüget;
Wenn es frohe Blicke giebt.
Hertz und Seele schwimmt in Zähren,
Wenn der falsche Mund schon lacht.
Ach! wenn wird das Leid sich kehren,
Das mich so verkehrt gemacht!
Ach wenn wird das Licht erscheinen,
Das die Finsterniß zerstreut!
Wenn verwandelt sich das Weinen,
Jn erwünschte Frölichkeit?
Oeffne, taubes Glück, die Ohren,
Zeige mir den hellen Tag,
Der mich aus den schwarzen Thoren
Dieses Jammers führen mag.
Wohl mir! mein versöhntes Glücke
Spottet meiner Seufzer nicht.
Es verkehrt die finstern Blicke,
Jn ein heitres Sonnenlicht.
Ach! ein Anblick süßer Freuden,
Strahlt mich schon von weitem an,
Glücklich ist, wer nur im Leiden,
Lust und Glück erwarten kan!
Gleich-
Des II Theils I Capitel
Auf eine vorgegebene Melodie, einem bekuͤmmerten Ge-
muͤthe zu Gefallen verfertiget.
HArter Himmel! dein Geſchicke
Macht mir taͤglich neuen Schmertz,
Deiner Fuͤgung rauhe Blicke,
Foltern mein gequaͤltes Hertz.
Jch empfinde tauſend Plagen,
Tauſend Martern und Verdruß;
Die ich aber keinem ſagen,
Keiner Seele klagen muß.
Mir allein bekannte Sorgen
Schlaͤfern mich des Abends ein;
Und der angebrochne Morgen
Laͤſt mich nicht vergnuͤgter ſeyn.
Denn nach dem verſchwundnen Schlummer,
Wird die alte Marter neu;
Ja mein ſtiller Seelen-Kummer
Laͤßt mir keine Stunde frey.
Scheint mein Antlitz gleich vergnuͤget,
So iſt doch der Geiſt betruͤbt,
Mein verſtelltes Auge truͤget;
Wenn es frohe Blicke giebt.
Hertz und Seele ſchwimmt in Zaͤhren,
Wenn der falſche Mund ſchon lacht.
Ach! wenn wird das Leid ſich kehren,
Das mich ſo verkehrt gemacht!
Ach wenn wird das Licht erſcheinen,
Das die Finſterniß zerſtreut!
Wenn verwandelt ſich das Weinen,
Jn erwuͤnſchte Froͤlichkeit?
Oeffne, taubes Gluͤck, die Ohren,
Zeige mir den hellen Tag,
Der mich aus den ſchwarzen Thoren
Dieſes Jammers fuͤhren mag.
Wohl mir! mein verſoͤhntes Gluͤcke
Spottet meiner Seufzer nicht.
Es verkehrt die finſtern Blicke,
Jn ein heitres Sonnenlicht.
Ach! ein Anblick ſuͤßer Freuden,
Strahlt mich ſchon von weitem an,
Gluͤcklich iſt, wer nur im Leiden,
Luſt und Gluͤck erwarten kan!
Gleich-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0384" n="356"/>
          <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Des <hi rendition="#aq">II</hi> Theils <hi rendition="#aq">I</hi> Capitel</hi> </fw><lb/>
          <div n="3">
            <head> <hi rendition="#b">Auf eine vorgegebene Melodie, einem beku&#x0364;mmerten Ge-<lb/>
mu&#x0364;the zu Gefallen verfertiget.</hi> </head><lb/>
            <lg type="poem">
              <lg n="92">
                <l><hi rendition="#in">H</hi>Arter Himmel! dein Ge&#x017F;chicke</l><lb/>
                <l>Macht mir ta&#x0364;glich neuen Schmertz,</l><lb/>
                <l>Deiner Fu&#x0364;gung rauhe Blicke,</l><lb/>
                <l>Foltern mein gequa&#x0364;ltes Hertz.</l><lb/>
                <l>Jch empfinde tau&#x017F;end Plagen,</l><lb/>
                <l>Tau&#x017F;end Martern und Verdruß;</l><lb/>
                <l>Die ich aber keinem &#x017F;agen,</l><lb/>
                <l>Keiner Seele klagen muß.</l>
              </lg><lb/>
              <lg n="93">
                <l>Mir allein bekannte Sorgen</l><lb/>
                <l>Schla&#x0364;fern mich des Abends ein;</l><lb/>
                <l>Und der angebrochne Morgen</l><lb/>
                <l>La&#x0364;&#x017F;t mich nicht vergnu&#x0364;gter &#x017F;eyn.</l><lb/>
                <l>Denn nach dem ver&#x017F;chwundnen Schlummer,</l><lb/>
                <l>Wird die alte Marter neu;</l><lb/>
                <l>Ja mein &#x017F;tiller Seelen-Kummer</l><lb/>
                <l>La&#x0364;ßt mir keine Stunde frey.</l>
              </lg><lb/>
              <lg n="94">
                <l>Scheint mein Antlitz gleich vergnu&#x0364;get,</l><lb/>
                <l>So i&#x017F;t doch der Gei&#x017F;t betru&#x0364;bt,</l><lb/>
                <l>Mein ver&#x017F;telltes Auge tru&#x0364;get;</l><lb/>
                <l>Wenn es frohe Blicke giebt.</l><lb/>
                <l>Hertz und Seele &#x017F;chwimmt in Za&#x0364;hren,</l><lb/>
                <l>Wenn der fal&#x017F;che Mund &#x017F;chon lacht.</l><lb/>
                <l>Ach! wenn wird das Leid &#x017F;ich kehren,</l><lb/>
                <l>Das mich &#x017F;o verkehrt gemacht!</l>
              </lg><lb/>
              <lg n="95">
                <l>Ach wenn wird das Licht er&#x017F;cheinen,</l><lb/>
                <l>Das die Fin&#x017F;terniß zer&#x017F;treut!</l><lb/>
                <l>Wenn verwandelt &#x017F;ich das Weinen,</l><lb/>
                <l>Jn erwu&#x0364;n&#x017F;chte Fro&#x0364;lichkeit?</l><lb/>
                <l>Oeffne, taubes Glu&#x0364;ck, die Ohren,</l><lb/>
                <l>Zeige mir den hellen Tag,</l><lb/>
                <l>Der mich aus den &#x017F;chwarzen Thoren</l><lb/>
                <l>Die&#x017F;es Jammers fu&#x0364;hren mag.</l>
              </lg><lb/>
              <lg n="96">
                <l>Wohl mir! mein ver&#x017F;o&#x0364;hntes Glu&#x0364;cke</l><lb/>
                <l>Spottet meiner Seufzer nicht.</l><lb/>
                <l>Es verkehrt die fin&#x017F;tern Blicke,</l><lb/>
                <l>Jn ein heitres Sonnenlicht.</l><lb/>
                <l>Ach! ein Anblick &#x017F;u&#x0364;ßer Freuden,</l><lb/>
                <l>Strahlt mich &#x017F;chon von weitem an,</l><lb/>
                <l>Glu&#x0364;cklich i&#x017F;t, wer nur im Leiden,</l><lb/>
                <l>Lu&#x017F;t und Glu&#x0364;ck erwarten kan!</l>
              </lg>
            </lg>
          </div><lb/>
          <fw place="bottom" type="catch"> <hi rendition="#b">Gleich-</hi> </fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[356/0384] Des II Theils I Capitel Auf eine vorgegebene Melodie, einem bekuͤmmerten Ge- muͤthe zu Gefallen verfertiget. HArter Himmel! dein Geſchicke Macht mir taͤglich neuen Schmertz, Deiner Fuͤgung rauhe Blicke, Foltern mein gequaͤltes Hertz. Jch empfinde tauſend Plagen, Tauſend Martern und Verdruß; Die ich aber keinem ſagen, Keiner Seele klagen muß. Mir allein bekannte Sorgen Schlaͤfern mich des Abends ein; Und der angebrochne Morgen Laͤſt mich nicht vergnuͤgter ſeyn. Denn nach dem verſchwundnen Schlummer, Wird die alte Marter neu; Ja mein ſtiller Seelen-Kummer Laͤßt mir keine Stunde frey. Scheint mein Antlitz gleich vergnuͤget, So iſt doch der Geiſt betruͤbt, Mein verſtelltes Auge truͤget; Wenn es frohe Blicke giebt. Hertz und Seele ſchwimmt in Zaͤhren, Wenn der falſche Mund ſchon lacht. Ach! wenn wird das Leid ſich kehren, Das mich ſo verkehrt gemacht! Ach wenn wird das Licht erſcheinen, Das die Finſterniß zerſtreut! Wenn verwandelt ſich das Weinen, Jn erwuͤnſchte Froͤlichkeit? Oeffne, taubes Gluͤck, die Ohren, Zeige mir den hellen Tag, Der mich aus den ſchwarzen Thoren Dieſes Jammers fuͤhren mag. Wohl mir! mein verſoͤhntes Gluͤcke Spottet meiner Seufzer nicht. Es verkehrt die finſtern Blicke, Jn ein heitres Sonnenlicht. Ach! ein Anblick ſuͤßer Freuden, Strahlt mich ſchon von weitem an, Gluͤcklich iſt, wer nur im Leiden, Luſt und Gluͤck erwarten kan! Gleich-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/384
Zitationshilfe: Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730, S. 356. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/384>, abgerufen am 22.12.2024.