Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730.Horatius von der Dicht-Kunst. Horatius Von der Dicht-Kunst. Fürwar, ein artig Bild! Es steht ein Menschen-Kopf Auf eines Pferdes Hals. Den dicken Vogel-Kropf Bedeckt ein bunter Schmuck von farbigtem Gefieder, Hernach erblicket man verschiedner Thiere Glieder. 5Von oben zeigt ein Weib ihr schönes Angesicht, Von unten wirds ein Fisch. Jhr Freunde, lacht doch nicht, Wir wollen mit Gedult des Mahlers Thorheit schonen. Jndessen glaubet mir, ihr trefflichen Pisonen, Dafern mein Wort was gilt, daß eine tolle Schrifft, 10Wo weder Haupt noch Schwantz geschickt zusammen trifft, Und nicht mehr Ordnung zeigt, als was ein Krancker träumet, Sich unvergleichlich wohl zu solchem Bilde reimet. Jch weiß wohl was man glaubt. Man spricht u. bleibt dabey: 1 7 9 13 Ein 1 Fürwar ein artig Bild! Diese Worte hat der Grund-Text nicht. Horatz fängt gleich an, sein Gleichniß von einem seltsamen Gemählde vorzutragen. Allein da sichs im Deutschen nicht in einen einzigen Satz bringen ließ, und also zertrennet werden muste; so macht dieser Anfang den Leser aufmercksam, und sagt ihm kurtz was er zu gewarten habe. 7 Des Mahlers. Die alten Mahler pflegten ihre neuverfertigten Stücke zur öffentlichen Schau auszustellen, um die Urtheile der Vorbeygehenden darüber zu vernehmen. Die Historie vom Apelles und dem Schuster ist bekannt. Wer nun so was ungereimtes gemahlt hätte, der würde gewiß aller Welt zum Gelächter geworden seyn. 9 Schrifft. Eigentlich ein Buch, aber nach alter Art, da auch ein klein Ge- dichte auf eine eigene Rolle geschrieben, ein Buch heissen konnte. Dieses Gleichniß kan zwar auch von ungebundenen Schrifften gelten; darinn offtmahls eben so we- nig Zusammenhang, Ordnung und Geschicke, als in einem solchen Bilde zu finden ist. Allein Horatz redet hier hauptsächlich von Poesien, sonderlich vom Helden-Ge- dichte und der Tragödie, die mit einer besondern Kunst müssen angeordnet werden. 13 Manglaubt. Dieß ist die Meynung derer, die ihren Einfällen gern alles
erlauben, und sich einbilden, die Poetischen Sachen wären gantz willkührlich. Daher pflegen sich dieselben vergebens auf diese Stelle zu beruffen, wenn sie was ungereimtes entschuldigen wollen, Pictoribus atque &c. Dieß sind nicht Horatii, sondern eines Stümpers Worte. Horatius von der Dicht-Kunſt. Horatius Von der Dicht-Kunſt. Fuͤrwar, ein artig Bild! Es ſteht ein Menſchen-Kopf Auf eines Pferdes Hals. Den dicken Vogel-Kropf Bedeckt ein bunter Schmuck von farbigtem Gefieder, Hernach erblicket man verſchiedner Thiere Glieder. 5Von oben zeigt ein Weib ihr ſchoͤnes Angeſicht, Von unten wirds ein Fiſch. Jhr Freunde, lacht doch nicht, Wir wollen mit Gedult des Mahlers Thorheit ſchonen. Jndeſſen glaubet mir, ihr trefflichen Piſonen, Dafern mein Wort was gilt, daß eine tolle Schrifft, 10Wo weder Haupt noch Schwantz geſchickt zuſammen trifft, Und nicht mehr Ordnung zeigt, als was ein Krancker traͤumet, Sich unvergleichlich wohl zu ſolchem Bilde reimet. Jch weiß wohl was man glaubt. Man ſpricht u. bleibt dabey: 1 7 9 13 Ein 1 Fürwar ein artig Bild! Dieſe Worte hat der Grund-Text nicht. Horatz faͤngt gleich an, ſein Gleichniß von einem ſeltſamen Gemaͤhlde vorzutragen. Allein da ſichs im Deutſchen nicht in einen einzigen Satz bringen ließ, und alſo zertrennet werden muſte; ſo macht dieſer Anfang den Leſer aufmerckſam, und ſagt ihm kurtz was er zu gewarten habe. 7 Des Mahlers. Die alten Mahler pflegten ihre neuverfertigten Stuͤcke zur oͤffentlichen Schau auszuſtellen, um die Urtheile der Vorbeygehenden daruͤber zu vernehmen. Die Hiſtorie vom Apelles und dem Schuſter iſt bekannt. Wer nun ſo was ungereimtes gemahlt haͤtte, der wuͤrde gewiß aller Welt zum Gelaͤchter geworden ſeyn. 9 Schrifft. Eigentlich ein Buch, aber nach alter Art, da auch ein klein Ge- dichte auf eine eigene Rolle geſchrieben, ein Buch heiſſen konnte. Dieſes Gleichniß kan zwar auch von ungebundenen Schrifften gelten; darinn offtmahls eben ſo we- nig Zuſammenhang, Ordnung und Geſchicke, als in einem ſolchen Bilde zu finden iſt. Allein Horatz redet hier hauptſaͤchlich von Poeſien, ſonderlich vom Helden-Ge- dichte und der Tragoͤdie, die mit einer beſondern Kunſt muͤſſen angeordnet werden. 13 Manglaubt. Dieß iſt die Meynung derer, die ihren Einfaͤllen gern alles
erlauben, und ſich einbilden, die Poetiſchen Sachen waͤren gantz willkuͤhrlich. Daher pflegen ſich dieſelben vergebens auf dieſe Stelle zu beruffen, wenn ſie was ungereimtes entſchuldigen wollen, Pictoribus atque &c. Dieß ſind nicht Horatii, ſondern eines Stuͤmpers Worte. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0038" n="10"/> <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Horatius von der Dicht-Kunſt.</hi> </fw><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <div n="2"> <lg type="poem"> <head> <hi rendition="#b">Horatius<lb/> Von der Dicht-Kunſt.</hi> </head><lb/> <lg n="1"> <l><hi rendition="#in">F</hi>uͤrwar, ein artig Bild! Es ſteht ein Menſchen-Kopf</l><lb/> <l>Auf eines Pferdes Hals. Den dicken Vogel-Kropf</l><lb/> <l>Bedeckt ein bunter Schmuck von farbigtem Gefieder,</l><lb/> <l>Hernach erblicket man verſchiedner Thiere Glieder.<lb/><note place="left">5</note>Von oben zeigt ein Weib ihr ſchoͤnes Angeſicht,</l><lb/> <l>Von unten wirds ein Fiſch. Jhr Freunde, lacht doch nicht,</l><lb/> <l>Wir wollen mit Gedult des Mahlers Thorheit ſchonen.</l><lb/> <l>Jndeſſen glaubet mir, ihr trefflichen Piſonen,</l><lb/> <l>Dafern mein Wort was gilt, daß eine tolle Schrifft,<lb/><note place="left">10</note>Wo weder Haupt noch Schwantz geſchickt zuſammen trifft,</l><lb/> <l>Und nicht mehr Ordnung zeigt, als was ein Krancker traͤumet,</l><lb/> <l>Sich unvergleichlich wohl zu ſolchem Bilde reimet.</l><lb/> <l>Jch weiß wohl was man glaubt. Man ſpricht u. bleibt dabey:<lb/> <fw place="bottom" type="catch">Ein</fw><lb/><note place="foot" n="1"><hi rendition="#fr">Fürwar ein artig Bild!</hi> Dieſe Worte hat der Grund-Text nicht. Horatz<lb/> faͤngt gleich an, ſein Gleichniß von einem ſeltſamen Gemaͤhlde vorzutragen. Allein<lb/> da ſichs im Deutſchen nicht in einen einzigen Satz bringen ließ, und alſo zertrennet<lb/> werden muſte; ſo macht dieſer Anfang den Leſer aufmerckſam, und ſagt ihm kurtz<lb/> was er zu gewarten habe.</note><lb/><note place="foot" n="7"><hi rendition="#fr">Des Mahlers.</hi> Die alten Mahler pflegten ihre neuverfertigten Stuͤcke zur<lb/> oͤffentlichen Schau auszuſtellen, um die Urtheile der Vorbeygehenden daruͤber zu<lb/> vernehmen. Die Hiſtorie vom Apelles und dem Schuſter iſt bekannt. Wer nun<lb/> ſo was ungereimtes gemahlt haͤtte, der wuͤrde gewiß aller Welt zum Gelaͤchter<lb/> geworden ſeyn.</note><lb/><note place="foot" n="9"><hi rendition="#fr">Schrifft.</hi> Eigentlich ein Buch, aber nach alter Art, da auch ein klein Ge-<lb/> dichte auf eine eigene Rolle geſchrieben, ein Buch heiſſen konnte. Dieſes Gleichniß<lb/> kan zwar auch von ungebundenen Schrifften gelten; darinn offtmahls eben ſo we-<lb/> nig Zuſammenhang, Ordnung und Geſchicke, als in einem ſolchen Bilde zu finden<lb/> iſt. Allein Horatz redet hier hauptſaͤchlich von Poeſien, ſonderlich vom Helden-Ge-<lb/> dichte und der Tragoͤdie, die mit einer beſondern Kunſt muͤſſen angeordnet werden.</note><lb/><note place="foot" n="13"><hi rendition="#fr">Manglaubt.</hi> Dieß iſt die Meynung derer, die ihren Einfaͤllen gern alles<lb/> erlauben, und ſich einbilden, die Poetiſchen Sachen waͤren gantz willkuͤhrlich.<lb/> Daher pflegen ſich dieſelben vergebens auf dieſe Stelle zu beruffen, wenn ſie was<lb/> ungereimtes entſchuldigen wollen, <hi rendition="#aq">Pictoribus atque &c.</hi> Dieß ſind nicht Horatii,<lb/> ſondern eines Stuͤmpers Worte.</note><lb/></l> </lg> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [10/0038]
Horatius von der Dicht-Kunſt.
Horatius
Von der Dicht-Kunſt.
Fuͤrwar, ein artig Bild! Es ſteht ein Menſchen-Kopf
Auf eines Pferdes Hals. Den dicken Vogel-Kropf
Bedeckt ein bunter Schmuck von farbigtem Gefieder,
Hernach erblicket man verſchiedner Thiere Glieder.
Von oben zeigt ein Weib ihr ſchoͤnes Angeſicht,
Von unten wirds ein Fiſch. Jhr Freunde, lacht doch nicht,
Wir wollen mit Gedult des Mahlers Thorheit ſchonen.
Jndeſſen glaubet mir, ihr trefflichen Piſonen,
Dafern mein Wort was gilt, daß eine tolle Schrifft,
Wo weder Haupt noch Schwantz geſchickt zuſammen trifft,
Und nicht mehr Ordnung zeigt, als was ein Krancker traͤumet,
Sich unvergleichlich wohl zu ſolchem Bilde reimet.
Jch weiß wohl was man glaubt. Man ſpricht u. bleibt dabey:
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1 Fürwar ein artig Bild! Dieſe Worte hat der Grund-Text nicht. Horatz
faͤngt gleich an, ſein Gleichniß von einem ſeltſamen Gemaͤhlde vorzutragen. Allein
da ſichs im Deutſchen nicht in einen einzigen Satz bringen ließ, und alſo zertrennet
werden muſte; ſo macht dieſer Anfang den Leſer aufmerckſam, und ſagt ihm kurtz
was er zu gewarten habe.
7 Des Mahlers. Die alten Mahler pflegten ihre neuverfertigten Stuͤcke zur
oͤffentlichen Schau auszuſtellen, um die Urtheile der Vorbeygehenden daruͤber zu
vernehmen. Die Hiſtorie vom Apelles und dem Schuſter iſt bekannt. Wer nun
ſo was ungereimtes gemahlt haͤtte, der wuͤrde gewiß aller Welt zum Gelaͤchter
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9 Schrifft. Eigentlich ein Buch, aber nach alter Art, da auch ein klein Ge-
dichte auf eine eigene Rolle geſchrieben, ein Buch heiſſen konnte. Dieſes Gleichniß
kan zwar auch von ungebundenen Schrifften gelten; darinn offtmahls eben ſo we-
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iſt. Allein Horatz redet hier hauptſaͤchlich von Poeſien, ſonderlich vom Helden-Ge-
dichte und der Tragoͤdie, die mit einer beſondern Kunſt muͤſſen angeordnet werden.
13 Manglaubt. Dieß iſt die Meynung derer, die ihren Einfaͤllen gern alles
erlauben, und ſich einbilden, die Poetiſchen Sachen waͤren gantz willkuͤhrlich.
Daher pflegen ſich dieſelben vergebens auf dieſe Stelle zu beruffen, wenn ſie was
ungereimtes entſchuldigen wollen, Pictoribus atque &c. Dieß ſind nicht Horatii,
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