Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730.

Bild:
<< vorherige Seite

Vorbericht.
ge ich keinen Zweifel, daß meine Arbeit ihren Nutzen
haben werde. Es ist nicht eines jeden Werck, sich mit
dem Lateine der alten Poeten so bekannt zu machen, daß
er seinen Horatium ohne Mühe verstehen, geschweige denn
mit Lust lesen könnte. Jn deutscher Sprache wird er also
viel verständlicher seyn, und auch Anfänger auf einen gu-
ten Weg weisen, die sich vielleicht sonst durch üble Anfüh-
rer hätten verderben lassen. Daß es bereits vielen so ge-
gangen, ist wohl kein Zweifel, daß aber auch viele durch
Horatium von ihren Jrrwegen wieder zurecht gebracht
worden, könnte ich durch mein eigen Exempel erweisen,
wenn es wichtig genug wäre. Doch Herr Hoffrath Neu-
kirch wird vermuthlich Ansehen genug haben, uns zu zei-
gen, daß auch Leute, die bereits in gantz Deutschland vor
Poeten gehalten werden, in unsrer Horatianischen Dicht-
kunst noch genug zu lernen finden. Er hat solches in einem
Hochzeit-Gedichte von sich selbst öffentlich gestanden, so
er, allem Ansehen nach, aus Berlin nach Breßlau abge-
schicket. Es steht Hofm. W. Ged. VI. Th. 101. Bl.

Er ruffet gleich anfangs die Musen um Hülfe an, weil
er abermahl ein Gedichte nach Schlesien zu verfertigen
vorhabe; dabey er denn besorgen müste, daß es nicht mehr
so wohl, als die vorigen würde aufgenommen werden.
Die Ursache, sagt er, sey die Aenderung, so mit seiner Poe-
sie vorgegangen. Er habe aufgehört seinen Vers mit
Muscateller-Safft und Amberkuchen zu nähren. Es sey
kein Zibeth noch Bisam, kein Plautus, Tacitus, Seneca
oder Plato mehr darinn zu spüren; Ja er habe auch so-
gar die Sinnbilder gäntzlich ausgemustert. Darauf sagt
er, daß ihm alle diese Lapalien itzo gantz lächerlich vorkä-
men, ungeachtet sie sonst viel hundert Leser verblendet,

und

Vorbericht.
ge ich keinen Zweifel, daß meine Arbeit ihren Nutzen
haben werde. Es iſt nicht eines jeden Werck, ſich mit
dem Lateine der alten Poeten ſo bekannt zu machen, daß
er ſeinen Horatium ohne Muͤhe verſtehen, geſchweige denn
mit Luſt leſen koͤnnte. Jn deutſcher Sprache wird er alſo
viel verſtaͤndlicher ſeyn, und auch Anfaͤnger auf einen gu-
ten Weg weiſen, die ſich vielleicht ſonſt durch uͤble Anfuͤh-
rer haͤtten verderben laſſen. Daß es bereits vielen ſo ge-
gangen, iſt wohl kein Zweifel, daß aber auch viele durch
Horatium von ihren Jrrwegen wieder zurecht gebracht
worden, koͤnnte ich durch mein eigen Exempel erweiſen,
wenn es wichtig genug waͤre. Doch Herr Hoffrath Neu-
kirch wird vermuthlich Anſehen genug haben, uns zu zei-
gen, daß auch Leute, die bereits in gantz Deutſchland vor
Poeten gehalten werden, in unſrer Horatianiſchen Dicht-
kunſt noch genug zu lernen finden. Er hat ſolches in einem
Hochzeit-Gedichte von ſich ſelbſt oͤffentlich geſtanden, ſo
er, allem Anſehen nach, aus Berlin nach Breßlau abge-
ſchicket. Es ſteht Hofm. W. Ged. VI. Th. 101. Bl.

Er ruffet gleich anfangs die Muſen um Huͤlfe an, weil
er abermahl ein Gedichte nach Schleſien zu verfertigen
vorhabe; dabey er denn beſorgen muͤſte, daß es nicht mehr
ſo wohl, als die vorigen wuͤrde aufgenommen werden.
Die Urſache, ſagt er, ſey die Aenderung, ſo mit ſeiner Poe-
ſie vorgegangen. Er habe aufgehoͤrt ſeinen Vers mit
Muſcateller-Safft und Amberkuchen zu naͤhren. Es ſey
kein Zibeth noch Biſam, kein Plautus, Tacitus, Seneca
oder Plato mehr darinn zu ſpuͤren; Ja er habe auch ſo-
gar die Sinnbilder gaͤntzlich ausgemuſtert. Darauf ſagt
er, daß ihm alle dieſe Lapalien itzo gantz laͤcherlich vorkaͤ-
men, ungeachtet ſie ſonſt viel hundert Leſer verblendet,

und
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0036" n="8"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Vorbericht.</hi></fw><lb/>
ge ich keinen Zweifel, daß meine Arbeit ihren Nutzen<lb/>
haben werde. Es i&#x017F;t nicht eines jeden Werck, &#x017F;ich mit<lb/>
dem Lateine der alten Poeten &#x017F;o bekannt zu machen, daß<lb/>
er &#x017F;einen Horatium ohne Mu&#x0364;he ver&#x017F;tehen, ge&#x017F;chweige denn<lb/>
mit Lu&#x017F;t le&#x017F;en ko&#x0364;nnte. Jn deut&#x017F;cher Sprache wird er al&#x017F;o<lb/>
viel ver&#x017F;ta&#x0364;ndlicher &#x017F;eyn, und auch Anfa&#x0364;nger auf einen gu-<lb/>
ten Weg wei&#x017F;en, die &#x017F;ich vielleicht &#x017F;on&#x017F;t durch u&#x0364;ble Anfu&#x0364;h-<lb/>
rer ha&#x0364;tten verderben la&#x017F;&#x017F;en. Daß es bereits vielen &#x017F;o ge-<lb/>
gangen, i&#x017F;t wohl kein Zweifel, daß aber auch viele durch<lb/>
Horatium von ihren Jrrwegen wieder zurecht gebracht<lb/>
worden, ko&#x0364;nnte ich durch mein eigen Exempel erwei&#x017F;en,<lb/>
wenn es wichtig genug wa&#x0364;re. Doch Herr Hoffrath Neu-<lb/>
kirch wird vermuthlich An&#x017F;ehen genug haben, uns zu zei-<lb/>
gen, daß auch Leute, die bereits in gantz Deut&#x017F;chland vor<lb/>
Poeten gehalten werden, in un&#x017F;rer Horatiani&#x017F;chen Dicht-<lb/>
kun&#x017F;t noch genug zu lernen finden. Er hat &#x017F;olches in einem<lb/>
Hochzeit-Gedichte von &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t o&#x0364;ffentlich ge&#x017F;tanden, &#x017F;o<lb/>
er, allem An&#x017F;ehen nach, aus Berlin nach Breßlau abge-<lb/>
&#x017F;chicket. Es &#x017F;teht Hofm. W. Ged. <hi rendition="#aq">VI.</hi> Th. 101. Bl.</p><lb/>
          <p>Er ruffet gleich anfangs die Mu&#x017F;en um Hu&#x0364;lfe an, weil<lb/>
er abermahl ein Gedichte nach Schle&#x017F;ien zu verfertigen<lb/>
vorhabe; dabey er denn be&#x017F;orgen mu&#x0364;&#x017F;te, daß es nicht mehr<lb/>
&#x017F;o wohl, als die vorigen wu&#x0364;rde aufgenommen werden.<lb/>
Die Ur&#x017F;ache, &#x017F;agt er, &#x017F;ey die Aenderung, &#x017F;o mit &#x017F;einer Poe-<lb/>
&#x017F;ie vorgegangen. Er habe aufgeho&#x0364;rt &#x017F;einen Vers mit<lb/>
Mu&#x017F;cateller-Safft und Amberkuchen zu na&#x0364;hren. Es &#x017F;ey<lb/>
kein Zibeth noch Bi&#x017F;am, kein Plautus, Tacitus, Seneca<lb/>
oder Plato mehr darinn zu &#x017F;pu&#x0364;ren; Ja er habe auch &#x017F;o-<lb/>
gar die Sinnbilder ga&#x0364;ntzlich ausgemu&#x017F;tert. Darauf &#x017F;agt<lb/>
er, daß ihm alle die&#x017F;e Lapalien itzo gantz la&#x0364;cherlich vorka&#x0364;-<lb/>
men, ungeachtet &#x017F;ie &#x017F;on&#x017F;t viel hundert Le&#x017F;er verblendet,<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">und</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[8/0036] Vorbericht. ge ich keinen Zweifel, daß meine Arbeit ihren Nutzen haben werde. Es iſt nicht eines jeden Werck, ſich mit dem Lateine der alten Poeten ſo bekannt zu machen, daß er ſeinen Horatium ohne Muͤhe verſtehen, geſchweige denn mit Luſt leſen koͤnnte. Jn deutſcher Sprache wird er alſo viel verſtaͤndlicher ſeyn, und auch Anfaͤnger auf einen gu- ten Weg weiſen, die ſich vielleicht ſonſt durch uͤble Anfuͤh- rer haͤtten verderben laſſen. Daß es bereits vielen ſo ge- gangen, iſt wohl kein Zweifel, daß aber auch viele durch Horatium von ihren Jrrwegen wieder zurecht gebracht worden, koͤnnte ich durch mein eigen Exempel erweiſen, wenn es wichtig genug waͤre. Doch Herr Hoffrath Neu- kirch wird vermuthlich Anſehen genug haben, uns zu zei- gen, daß auch Leute, die bereits in gantz Deutſchland vor Poeten gehalten werden, in unſrer Horatianiſchen Dicht- kunſt noch genug zu lernen finden. Er hat ſolches in einem Hochzeit-Gedichte von ſich ſelbſt oͤffentlich geſtanden, ſo er, allem Anſehen nach, aus Berlin nach Breßlau abge- ſchicket. Es ſteht Hofm. W. Ged. VI. Th. 101. Bl. Er ruffet gleich anfangs die Muſen um Huͤlfe an, weil er abermahl ein Gedichte nach Schleſien zu verfertigen vorhabe; dabey er denn beſorgen muͤſte, daß es nicht mehr ſo wohl, als die vorigen wuͤrde aufgenommen werden. Die Urſache, ſagt er, ſey die Aenderung, ſo mit ſeiner Poe- ſie vorgegangen. Er habe aufgehoͤrt ſeinen Vers mit Muſcateller-Safft und Amberkuchen zu naͤhren. Es ſey kein Zibeth noch Biſam, kein Plautus, Tacitus, Seneca oder Plato mehr darinn zu ſpuͤren; Ja er habe auch ſo- gar die Sinnbilder gaͤntzlich ausgemuſtert. Darauf ſagt er, daß ihm alle dieſe Lapalien itzo gantz laͤcherlich vorkaͤ- men, ungeachtet ſie ſonſt viel hundert Leſer verblendet, und

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/36
Zitationshilfe: Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/36>, abgerufen am 28.11.2024.