hung des Zwanges dem er unterworfen ist, schon eine klei- ne Abweichung zu gute halten, wenn er nur diesen Man- gel durch eine angenehme und leichtfliessende Schreibart ersetzet.
Dieses ist mit eine von den vornehmsten Absichten ge- wesen, die ich mir in diesem Gedichte vorgesetzet habe. Jch wollte den Horatz gern so übersetzen, daß man ihn ohne Anstoß, und wo möglich mit Vergnügen in unsrer Spra- che lesen könnte. Diesen Zweck aber würde ich nicht er- halten haben, wenn ich kein Bedencken getragen hätte, die Richtigkeit unsrer deutschen Wortfügung, nebst der Reinigkeit im Sylbenmaaße und in den Reimen aus den Augen zu setzen. Das Gehör unsrer Landesleute ist im Absehen auf diese äusserliche Stücke schon überaus zärt- lich geworden. Kein Mensch liest itzo mehr Lohensteins Gedichte: das macht sie sind bey so viel herrlichen Ge- dancken zu hart und zu rauhe. Selbst Hoffmannswaldau ist nicht mehr so beliebt, als er sonst gewesen; das macht daß er von seinen Nachfolgern auch in der Reinigkeit der Verße weit übertroffen worden. Ja diese Zärtlichkeit geht zuweilen so weit, daß man deßwegen die allerelen- desten Reime, so nur etwas ungezwungen fliessen, bey aller ihrer Unvernunft und Niederträchtigkeit der Ge- dancken vor schön: und hingegen bey einer kleinen Härte des Ausdruckes, die schönsten Gedichte grosser Meister vor elend und mager ausruffet. Habe ich also nicht Ur- sache gehabt, mich auch vor dem Eckel der zärtlichsten Oh- ren zu hüten; sonderlich in einem Gedichte, daraus sie die innern Schönheiten der wahren Poesie sollen beurtheilen lernen?
Jst es mir nun darinn nach Wunsche gelungen, so tra-
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Vorbericht.
hung des Zwanges dem er unterworfen iſt, ſchon eine klei- ne Abweichung zu gute halten, wenn er nur dieſen Man- gel durch eine angenehme und leichtflieſſende Schreibart erſetzet.
Dieſes iſt mit eine von den vornehmſten Abſichten ge- weſen, die ich mir in dieſem Gedichte vorgeſetzet habe. Jch wollte den Horatz gern ſo uͤberſetzen, daß man ihn ohne Anſtoß, und wo moͤglich mit Vergnuͤgen in unſrer Spra- che leſen koͤnnte. Dieſen Zweck aber wuͤrde ich nicht er- halten haben, wenn ich kein Bedencken getragen haͤtte, die Richtigkeit unſrer deutſchen Wortfuͤgung, nebſt der Reinigkeit im Sylbenmaaße und in den Reimen aus den Augen zu ſetzen. Das Gehoͤr unſrer Landesleute iſt im Abſehen auf dieſe aͤuſſerliche Stuͤcke ſchon uͤberaus zaͤrt- lich geworden. Kein Menſch lieſt itzo mehr Lohenſteins Gedichte: das macht ſie ſind bey ſo viel herrlichen Ge- dancken zu hart und zu rauhe. Selbſt Hoffmannswaldau iſt nicht mehr ſo beliebt, als er ſonſt geweſen; das macht daß er von ſeinen Nachfolgern auch in der Reinigkeit der Verße weit uͤbertroffen worden. Ja dieſe Zaͤrtlichkeit geht zuweilen ſo weit, daß man deßwegen die allerelen- deſten Reime, ſo nur etwas ungezwungen flieſſen, bey aller ihrer Unvernunft und Niedertraͤchtigkeit der Ge- dancken vor ſchoͤn: und hingegen bey einer kleinen Haͤrte des Ausdruckes, die ſchoͤnſten Gedichte groſſer Meiſter vor elend und mager ausruffet. Habe ich alſo nicht Ur- ſache gehabt, mich auch vor dem Eckel der zaͤrtlichſten Oh- ren zu huͤten; ſonderlich in einem Gedichte, daraus ſie die innern Schoͤnheiten der wahren Poeſie ſollen beurtheilen lernen?
Jſt es mir nun darinn nach Wunſche gelungen, ſo tra-
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Vorbericht.
hung des Zwanges dem er unterworfen iſt, ſchon eine klei-
ne Abweichung zu gute halten, wenn er nur dieſen Man-
gel durch eine angenehme und leichtflieſſende Schreibart
erſetzet.
Dieſes iſt mit eine von den vornehmſten Abſichten ge-
weſen, die ich mir in dieſem Gedichte vorgeſetzet habe. Jch
wollte den Horatz gern ſo uͤberſetzen, daß man ihn ohne
Anſtoß, und wo moͤglich mit Vergnuͤgen in unſrer Spra-
che leſen koͤnnte. Dieſen Zweck aber wuͤrde ich nicht er-
halten haben, wenn ich kein Bedencken getragen haͤtte,
die Richtigkeit unſrer deutſchen Wortfuͤgung, nebſt der
Reinigkeit im Sylbenmaaße und in den Reimen aus den
Augen zu ſetzen. Das Gehoͤr unſrer Landesleute iſt im
Abſehen auf dieſe aͤuſſerliche Stuͤcke ſchon uͤberaus zaͤrt-
lich geworden. Kein Menſch lieſt itzo mehr Lohenſteins
Gedichte: das macht ſie ſind bey ſo viel herrlichen Ge-
dancken zu hart und zu rauhe. Selbſt Hoffmannswaldau
iſt nicht mehr ſo beliebt, als er ſonſt geweſen; das macht
daß er von ſeinen Nachfolgern auch in der Reinigkeit der
Verße weit uͤbertroffen worden. Ja dieſe Zaͤrtlichkeit
geht zuweilen ſo weit, daß man deßwegen die allerelen-
deſten Reime, ſo nur etwas ungezwungen flieſſen, bey
aller ihrer Unvernunft und Niedertraͤchtigkeit der Ge-
dancken vor ſchoͤn: und hingegen bey einer kleinen Haͤrte
des Ausdruckes, die ſchoͤnſten Gedichte groſſer Meiſter
vor elend und mager ausruffet. Habe ich alſo nicht Ur-
ſache gehabt, mich auch vor dem Eckel der zaͤrtlichſten Oh-
ren zu huͤten; ſonderlich in einem Gedichte, daraus ſie die
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Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730, S. 7. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/35>, abgerufen am 24.11.2024.
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