Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730.Von dem Wohlklange der poetischen Schreibart. dem Componisten dadurch zu einer desto lebhafftern MusicAnlaß gegeben. Wie ich es nun in solchen Fällen nicht ta- deln kan; also würde es in Gedichten so bloß zum lesen ge- macht werden, wenig Annehmlichkeit geben. Gantz ein an- ders wäre es, wenn man im Deutschen der Lateiner und Grie- chen heroische Verße einführen wollte, oder könnte. Dar- inn müsten die Spondeen mit Dactylis vermischet werden, um durch diese Abwechselung ein recht majestätisches Sylben- maaß zuwege zu bringen. Unmöglich ist solches unsrer Spra- che nicht. An dactylischen Wörtern fehlt es uns nicht, an spondeischen aber gewiß auch nicht, welche man in unsern Ar- ten zuweilen gar nicht anbringen kan; zuweilen aber unter den jambischen und trocheischen unvermerckt mit unterlaufen läßt, wie auch die Lateiner und Griechen offt gethan. Heräus hat es auch vor etlichen Jahren, und soviel ich weiß, zuerst ver- sucht, ob sichs thun ließe dergleichen in deutscher Sprache zu machen. Es steht dieselbe Probe in seinen Gedichten p. 68. und hebt folgendergestalt an: Mächtigster Herrscher der Welt, vom Himmel die Fürsten zu richten, Einig erwehleter Fürst, unüberwindlichster Held: Gönne der eifrigen Pflicht dies nimmer gesehene Dichten, Von nicht gesehenem Ruhm welchen dein Adler erhält. Zeuget der Friede den Krieg durch tapfre Beschützung der Rechte, etc. etc. Man sieht wohl vors erste, daß Heräus diesen neuen Versuch Rom und Athen war sonst gantz reich an Meistern und Künsten, Doch was half sie die Zahl philosophischer Lehrer und Schüler, Die man bey ihnen gesehn? O! was vor ein thörichtes Wesen, Was vor ein albernes Zeug ward täglich in Tempeln getrieben? Pal- U 4
Von dem Wohlklange der poetiſchen Schreibart. dem Componiſten dadurch zu einer deſto lebhafftern MuſicAnlaß gegeben. Wie ich es nun in ſolchen Faͤllen nicht ta- deln kan; alſo wuͤrde es in Gedichten ſo bloß zum leſen ge- macht werden, wenig Annehmlichkeit geben. Gantz ein an- ders waͤre es, wenn man im Deutſchen der Lateiner und Grie- chen heroiſche Verße einfuͤhren wollte, oder koͤnnte. Dar- inn muͤſten die Spondeen mit Dactylis vermiſchet werden, um durch dieſe Abwechſelung ein recht majeſtaͤtiſches Sylben- maaß zuwege zu bringen. Unmoͤglich iſt ſolches unſrer Spra- che nicht. An dactyliſchen Woͤrtern fehlt es uns nicht, an ſpondeiſchen aber gewiß auch nicht, welche man in unſern Ar- ten zuweilen gar nicht anbringen kan; zuweilen aber unter den jambiſchen und trocheiſchen unvermerckt mit unterlaufen laͤßt, wie auch die Lateiner und Griechen offt gethan. Heraͤus hat es auch vor etlichen Jahren, und ſoviel ich weiß, zuerſt ver- ſucht, ob ſichs thun ließe dergleichen in deutſcher Sprache zu machen. Es ſteht dieſelbe Probe in ſeinen Gedichten p. 68. und hebt folgendergeſtalt an: Maͤchtigſter Herrſcher der Welt, vom Himmel die Fuͤrſten zu richten, Einig erwehleter Fuͤrſt, unuͤberwindlichſter Held: Goͤnne der eifrigen Pflicht dies nimmer geſehene Dichten, Von nicht geſehenem Ruhm welchen dein Adler erhaͤlt. Zeuget der Friede den Krieg durch tapfre Beſchuͤtzung der Rechte, ꝛc. ꝛc. Man ſieht wohl vors erſte, daß Heraͤus dieſen neuen Verſuch Rom und Athen war ſonſt gantz reich an Meiſtern und Kuͤnſten, Doch was half ſie die Zahl philoſophiſcher Lehrer und Schuͤler, Die man bey ihnen geſehn? O! was vor ein thoͤrichtes Weſen, Was vor ein albernes Zeug ward taͤglich in Tempeln getrieben? Pal- U 4
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Von dem Wohlklange der poetiſchen Schreibart.
dem Componiſten dadurch zu einer deſto lebhafftern Muſic
Anlaß gegeben. Wie ich es nun in ſolchen Faͤllen nicht ta-
deln kan; alſo wuͤrde es in Gedichten ſo bloß zum leſen ge-
macht werden, wenig Annehmlichkeit geben. Gantz ein an-
ders waͤre es, wenn man im Deutſchen der Lateiner und Grie-
chen heroiſche Verße einfuͤhren wollte, oder koͤnnte. Dar-
inn muͤſten die Spondeen mit Dactylis vermiſchet werden, um
durch dieſe Abwechſelung ein recht majeſtaͤtiſches Sylben-
maaß zuwege zu bringen. Unmoͤglich iſt ſolches unſrer Spra-
che nicht. An dactyliſchen Woͤrtern fehlt es uns nicht, an
ſpondeiſchen aber gewiß auch nicht, welche man in unſern Ar-
ten zuweilen gar nicht anbringen kan; zuweilen aber unter den
jambiſchen und trocheiſchen unvermerckt mit unterlaufen laͤßt,
wie auch die Lateiner und Griechen offt gethan. Heraͤus hat
es auch vor etlichen Jahren, und ſoviel ich weiß, zuerſt ver-
ſucht, ob ſichs thun ließe dergleichen in deutſcher Sprache zu
machen. Es ſteht dieſelbe Probe in ſeinen Gedichten p. 68.
und hebt folgendergeſtalt an:
Maͤchtigſter Herrſcher der Welt, vom Himmel die Fuͤrſten zu richten,
Einig erwehleter Fuͤrſt, unuͤberwindlichſter Held:
Goͤnne der eifrigen Pflicht dies nimmer geſehene Dichten,
Von nicht geſehenem Ruhm welchen dein Adler erhaͤlt.
Zeuget der Friede den Krieg durch tapfre Beſchuͤtzung der Rechte, ꝛc. ꝛc.
Man ſieht wohl vors erſte, daß Heraͤus dieſen neuen Verſuch
beliebt zu machen, faſt lauter dactyliſche Fuͤſſe gebraucht und
ſogar den Reim der Deutſchen beybehalten. Allein meines
Erachtens wuͤrde man mit der Einfuͤhrung dieſer Gattung
des Sylbenmaaßes dergeſtallt nichts gewinnen. Dactyli-
ſche Verße hat man laͤngſt gemacht; aber ſie klingen zu weich:
die Spondeen muͤſſen ſie maͤnnlicher machen. Die Reime
haben uns in den andern Arten genug zu ſchaffen gemacht:
Jn dieſer neuen muͤſten wir das Hertz faſſen, endlich einmahl
ungereimte Verße zu machen. Wir wollen eine Probe ſehen.
Rom und Athen war ſonſt gantz reich an Meiſtern und Kuͤnſten,
Doch was half ſie die Zahl philoſophiſcher Lehrer und Schuͤler,
Die man bey ihnen geſehn? O! was vor ein thoͤrichtes Weſen,
Was vor ein albernes Zeug ward taͤglich in Tempeln getrieben?
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