Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730.Von der poetischen Schreibart. teller ausstaffiret sind, und tausend andre bunte Einfälle ha-ben, die keinem Affecte natürlich sind. Jch will also die Zu- flucht zu Neukirchen nehmen, der in seinem Gedichte auf die Nachtigal eine recht bewegliche Elegie mit eingerücket. Jch will nur folgende Stelle hersetzen, die mich allezeit ge- rühret hat, worinn der Poet die Nachtigal um ihren Vor- spruch bittet. Es heißt: O Tochter Pandions, o süße Philomele, Erbarme, wo du kanst, dich deiner Traurigkeit, Und wirf nur einen Blick auf meine Dornenhöle, Wenn dein Verhängnis dich mit Rosen überstreut. Jch ärgre mich zwar nicht an deinen guten Tagen, Jch gönne dir sehr gern des Hofes Sonnenschein, Es mag dich Friederich auf seinen Händen tragen, Dein Trincken Nectarsafft, die Speise Zucker seyn etc. Denn etc. etc. - - - Bitt aber, Schönste, nur für mein betrübtes Leben, Und trag zu rechter Zeit mich deinem Churfürst an, Vielleicht will Gottes Hand durch einen Vogel geben, Was weder Witz noch Kunst, durch Müh erhalten kan. Du darfst nicht allererst nach meinem Kummer fragen, Doch frage wo du willst, nur Bäume, Gras und Stein, Die alle werden dir, die alle werden sagen, Daß meine Seufzer nichts als Ehr und Tugend seyn. Und daß ich darum mich in heißen Thränen bade, Weil meine Poesie mit Schimpfe betteln geht, Und jede Wissenschafft in deines Friedrichs Gnade, Sie aber noch allein in keinen Diensten steht. Mein Flehen ist gerecht! ach aber auch vergebens, Denn dein beglückter Stand kennt meine Seufzer nicht, Und der erinnert sich gar selten fremdes Lebens, Der täglich so wie du, bey Hofe Blumen bricht. Drittens hat die pathetische Schreibart in Helden-Ge- Vier-
Von der poetiſchen Schreibart. teller ausſtaffiret ſind, und tauſend andre bunte Einfaͤlle ha-ben, die keinem Affecte natuͤrlich ſind. Jch will alſo die Zu- flucht zu Neukirchen nehmen, der in ſeinem Gedichte auf die Nachtigal eine recht bewegliche Elegie mit eingeruͤcket. Jch will nur folgende Stelle herſetzen, die mich allezeit ge- ruͤhret hat, worinn der Poet die Nachtigal um ihren Vor- ſpruch bittet. Es heißt: O Tochter Pandions, o ſuͤße Philomele, Erbarme, wo du kanſt, dich deiner Traurigkeit, Und wirf nur einen Blick auf meine Dornenhoͤle, Wenn dein Verhaͤngnis dich mit Roſen uͤberſtreut. Jch aͤrgre mich zwar nicht an deinen guten Tagen, Jch goͤnne dir ſehr gern des Hofes Sonnenſchein, Es mag dich Friederich auf ſeinen Haͤnden tragen, Dein Trincken Nectarſafft, die Speiſe Zucker ſeyn ꝛc. Denn ꝛc. ꝛc. ‒ ‒ ‒ Bitt aber, Schoͤnſte, nur fuͤr mein betruͤbtes Leben, Und trag zu rechter Zeit mich deinem Churfuͤrſt an, Vielleicht will Gottes Hand durch einen Vogel geben, Was weder Witz noch Kunſt, durch Muͤh erhalten kan. Du darfſt nicht allererſt nach meinem Kummer fragen, Doch frage wo du willſt, nur Baͤume, Gras und Stein, Die alle werden dir, die alle werden ſagen, Daß meine Seufzer nichts als Ehr und Tugend ſeyn. Und daß ich darum mich in heißen Thraͤnen bade, Weil meine Poeſie mit Schimpfe betteln geht, Und jede Wiſſenſchafft in deines Friedrichs Gnade, Sie aber noch allein in keinen Dienſten ſteht. Mein Flehen iſt gerecht! ach aber auch vergebens, Denn dein begluͤckter Stand kennt meine Seufzer nicht, Und der erinnert ſich gar ſelten fremdes Lebens, Der taͤglich ſo wie du, bey Hofe Blumen bricht. Drittens hat die pathetiſche Schreibart in Helden-Ge- Vier-
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0329" n="301"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Von der poetiſchen Schreibart.</hi></fw><lb/> teller ausſtaffiret ſind, und tauſend andre bunte Einfaͤlle ha-<lb/> ben, die keinem Affecte natuͤrlich ſind. Jch will alſo die Zu-<lb/> flucht zu Neukirchen nehmen, der in ſeinem Gedichte auf<lb/> die Nachtigal eine recht bewegliche Elegie mit eingeruͤcket.<lb/> Jch will nur folgende Stelle herſetzen, die mich allezeit ge-<lb/> ruͤhret hat, worinn der Poet die Nachtigal um ihren Vor-<lb/> ſpruch bittet. Es heißt:</p><lb/> <lg type="poem"> <l>O Tochter Pandions, o ſuͤße Philomele,</l><lb/> <l>Erbarme, wo du kanſt, dich deiner Traurigkeit,</l><lb/> <l>Und wirf nur einen Blick auf meine Dornenhoͤle,</l><lb/> <l>Wenn dein Verhaͤngnis dich mit Roſen uͤberſtreut.</l><lb/> <l>Jch aͤrgre mich zwar nicht an deinen guten Tagen,</l><lb/> <l>Jch goͤnne dir ſehr gern des Hofes Sonnenſchein,</l><lb/> <l>Es mag dich Friederich auf ſeinen Haͤnden tragen,</l><lb/> <l>Dein Trincken Nectarſafft, die Speiſe Zucker ſeyn ꝛc.</l><lb/> <l>Denn ꝛc. ꝛc. ‒ ‒ ‒</l><lb/> <l>Bitt aber, Schoͤnſte, nur fuͤr mein betruͤbtes Leben,</l><lb/> <l>Und trag zu rechter Zeit mich deinem Churfuͤrſt an,</l><lb/> <l>Vielleicht will Gottes Hand durch einen Vogel geben,</l><lb/> <l>Was weder Witz noch Kunſt, durch Muͤh erhalten kan.</l><lb/> <l>Du darfſt nicht allererſt nach meinem Kummer fragen,</l><lb/> <l>Doch frage wo du willſt, nur Baͤume, Gras und Stein,</l><lb/> <l>Die alle werden dir, die alle werden ſagen,</l><lb/> <l>Daß meine Seufzer nichts als Ehr und Tugend ſeyn.</l><lb/> <l>Und daß ich darum mich in heißen Thraͤnen bade,</l><lb/> <l>Weil meine Poeſie mit Schimpfe betteln geht,</l><lb/> <l>Und jede Wiſſenſchafft in deines Friedrichs Gnade,</l><lb/> <l>Sie aber noch allein in keinen Dienſten ſteht.</l><lb/> <l>Mein Flehen iſt gerecht! ach aber auch vergebens,</l><lb/> <l>Denn dein begluͤckter Stand kennt meine Seufzer nicht,</l><lb/> <l>Und der erinnert ſich gar ſelten fremdes Lebens,</l><lb/> <l>Der taͤglich ſo wie du, bey Hofe Blumen bricht.</l> </lg><lb/> <p>Drittens hat die pathetiſche Schreibart in Helden-Ge-<lb/> dichten ſtatt, nicht zwar wenn der Poet ſelbſt erzehlet, denn<lb/> da muß die natuͤrliche herrſchen; wohl aber, wenn er andre<lb/> Perſonen, die im Affecte ſtehen, redend einfuͤhret. Exem-<lb/> pel kan man im Virgil nachſehen, wo ſie ſehr haͤufig vor-<lb/> kommen, wie denn auch im vorigen Capitel, nach Amthors<lb/> Uberſetzung, eins von den allerbeſten befindlich iſt, welches<lb/> man aufſchlagen mag.</p><lb/> <fw place="bottom" type="catch">Vier-</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [301/0329]
Von der poetiſchen Schreibart.
teller ausſtaffiret ſind, und tauſend andre bunte Einfaͤlle ha-
ben, die keinem Affecte natuͤrlich ſind. Jch will alſo die Zu-
flucht zu Neukirchen nehmen, der in ſeinem Gedichte auf
die Nachtigal eine recht bewegliche Elegie mit eingeruͤcket.
Jch will nur folgende Stelle herſetzen, die mich allezeit ge-
ruͤhret hat, worinn der Poet die Nachtigal um ihren Vor-
ſpruch bittet. Es heißt:
O Tochter Pandions, o ſuͤße Philomele,
Erbarme, wo du kanſt, dich deiner Traurigkeit,
Und wirf nur einen Blick auf meine Dornenhoͤle,
Wenn dein Verhaͤngnis dich mit Roſen uͤberſtreut.
Jch aͤrgre mich zwar nicht an deinen guten Tagen,
Jch goͤnne dir ſehr gern des Hofes Sonnenſchein,
Es mag dich Friederich auf ſeinen Haͤnden tragen,
Dein Trincken Nectarſafft, die Speiſe Zucker ſeyn ꝛc.
Denn ꝛc. ꝛc. ‒ ‒ ‒
Bitt aber, Schoͤnſte, nur fuͤr mein betruͤbtes Leben,
Und trag zu rechter Zeit mich deinem Churfuͤrſt an,
Vielleicht will Gottes Hand durch einen Vogel geben,
Was weder Witz noch Kunſt, durch Muͤh erhalten kan.
Du darfſt nicht allererſt nach meinem Kummer fragen,
Doch frage wo du willſt, nur Baͤume, Gras und Stein,
Die alle werden dir, die alle werden ſagen,
Daß meine Seufzer nichts als Ehr und Tugend ſeyn.
Und daß ich darum mich in heißen Thraͤnen bade,
Weil meine Poeſie mit Schimpfe betteln geht,
Und jede Wiſſenſchafft in deines Friedrichs Gnade,
Sie aber noch allein in keinen Dienſten ſteht.
Mein Flehen iſt gerecht! ach aber auch vergebens,
Denn dein begluͤckter Stand kennt meine Seufzer nicht,
Und der erinnert ſich gar ſelten fremdes Lebens,
Der taͤglich ſo wie du, bey Hofe Blumen bricht.
Drittens hat die pathetiſche Schreibart in Helden-Ge-
dichten ſtatt, nicht zwar wenn der Poet ſelbſt erzehlet, denn
da muß die natuͤrliche herrſchen; wohl aber, wenn er andre
Perſonen, die im Affecte ſtehen, redend einfuͤhret. Exem-
pel kan man im Virgil nachſehen, wo ſie ſehr haͤufig vor-
kommen, wie denn auch im vorigen Capitel, nach Amthors
Uberſetzung, eins von den allerbeſten befindlich iſt, welches
man aufſchlagen mag.
Vier-
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |