Sein unerschöpfter Muth ist weit genug erklungen, Seit dem ihm Noth und Recht die Waffen abgedrungen, Dem Franzen schüttert noch die kaum erlaufne Haut Wenn er auf Schwabens Feld betrübt zurücke schaut, Und an den Tag gedenckt, da Ludwigs große Thaten Mit Schrecken in die Nacht der Finsterniß gerathen, Und auf einmahl verlöscht. Was Preußen da gethan, Das zeigen, schweig ich gleich, viel andre besser an. Diesmahl betracht ich nicht, wie unser König blitzet, Wenn ihn der Feinde Trotz, der Freunde Schmach erhitzet, Nein, sondern wie er selbst halb todt darnieder liegt, Und dennoch über Tod und auch sich selber siegt. etc.
Eben einen so vernünftig-erhabenen Ausdruck kan man in Opitzens und Flemmings Lob-Gedichten, auf hohe Häup- ter, imgleichen in des letztern wie auch in Günthers Oden, darinn kein sonderlicher Affect steckt, antreffen.
Wie nun diese Schreibart grosse Schönheiten an sich hat, so ist es kein Wunder, daß sie viel Liebhaber gefun- den hat. Ein jeder Poet hat vor einiger Zeit recht sinnreich oder hoch, wie mans insgemein zu nennen pflegt, schreiben wollen: Allein da so wenigen von Natur die Federn dazu gewachsen gewesen, so ist es den meisten wie dem Jcarus gegangen, der so hoch fliegen wollte, daß er sich die Flügel schmeltzte, und also gar herunter fiel. Von der wahren Hoheit der Schreibart hat Longin ein eigen Buch geschrie- ben, und von der falschen Hoheit habe ich schon Werenfelßens Dissertation de Meteoris gelobt. Diese beyde Schrifften muß man mit grossem Fleiße lesen, wenn man sich auf ei- nem so glipfrichten Stege, als der nach dem Parnaß füh- ret, nicht versehen will. Es ist nirgends leichter Fehltritte zu thun, als hier; denn es kommt mehr auf den Geschmack als auf Regeln hier an. Bouhours selbst, der vernünf- tigste Criticus in Franckreich, wie er selbst von den gelehr- testen Engelländern genennet worden, hat zwar eine Men- ge fehlerhaffter Stellen in seiner Maniere de bien penser angemerckt und verworfen; aber selten die Ursachen und Regeln seiner Urtheile angeben können. Unter den alten Lateinischen Poeten ist dieser falschen Hoheit halber Luca-
nus
T 4
Von der poetiſchen Schreibart.
Sein unerſchoͤpfter Muth iſt weit genug erklungen, Seit dem ihm Noth und Recht die Waffen abgedrungen, Dem Franzen ſchuͤttert noch die kaum erlaufne Haut Wenn er auf Schwabens Feld betruͤbt zuruͤcke ſchaut, Und an den Tag gedenckt, da Ludwigs große Thaten Mit Schrecken in die Nacht der Finſterniß gerathen, Und auf einmahl verloͤſcht. Was Preußen da gethan, Das zeigen, ſchweig ich gleich, viel andre beſſer an. Diesmahl betracht ich nicht, wie unſer Koͤnig blitzet, Wenn ihn der Feinde Trotz, der Freunde Schmach erhitzet, Nein, ſondern wie er ſelbſt halb todt darnieder liegt, Und dennoch uͤber Tod und auch ſich ſelber ſiegt. ꝛc.
Eben einen ſo vernuͤnftig-erhabenen Ausdruck kan man in Opitzens und Flemmings Lob-Gedichten, auf hohe Haͤup- ter, imgleichen in des letztern wie auch in Guͤnthers Oden, darinn kein ſonderlicher Affect ſteckt, antreffen.
Wie nun dieſe Schreibart groſſe Schoͤnheiten an ſich hat, ſo iſt es kein Wunder, daß ſie viel Liebhaber gefun- den hat. Ein jeder Poet hat vor einiger Zeit recht ſinnreich oder hoch, wie mans insgemein zu nennen pflegt, ſchreiben wollen: Allein da ſo wenigen von Natur die Federn dazu gewachſen geweſen, ſo iſt es den meiſten wie dem Jcarus gegangen, der ſo hoch fliegen wollte, daß er ſich die Fluͤgel ſchmeltzte, und alſo gar herunter fiel. Von der wahren Hoheit der Schreibart hat Longin ein eigen Buch geſchrie- ben, und von der falſchen Hoheit habe ich ſchon Werenfelßens Diſſertation de Meteoris gelobt. Dieſe beyde Schrifften muß man mit groſſem Fleiße leſen, wenn man ſich auf ei- nem ſo glipfrichten Stege, als der nach dem Parnaß fuͤh- ret, nicht verſehen will. Es iſt nirgends leichter Fehltritte zu thun, als hier; denn es kommt mehr auf den Geſchmack als auf Regeln hier an. Bouhours ſelbſt, der vernuͤnf- tigſte Criticus in Franckreich, wie er ſelbſt von den gelehr- teſten Engellaͤndern genennet worden, hat zwar eine Men- ge fehlerhaffter Stellen in ſeiner Maniere de bien penſer angemerckt und verworfen; aber ſelten die Urſachen und Regeln ſeiner Urtheile angeben koͤnnen. Unter den alten Lateiniſchen Poeten iſt dieſer falſchen Hoheit halber Luca-
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Von der poetiſchen Schreibart.
Sein unerſchoͤpfter Muth iſt weit genug erklungen,
Seit dem ihm Noth und Recht die Waffen abgedrungen,
Dem Franzen ſchuͤttert noch die kaum erlaufne Haut
Wenn er auf Schwabens Feld betruͤbt zuruͤcke ſchaut,
Und an den Tag gedenckt, da Ludwigs große Thaten
Mit Schrecken in die Nacht der Finſterniß gerathen,
Und auf einmahl verloͤſcht. Was Preußen da gethan,
Das zeigen, ſchweig ich gleich, viel andre beſſer an.
Diesmahl betracht ich nicht, wie unſer Koͤnig blitzet,
Wenn ihn der Feinde Trotz, der Freunde Schmach erhitzet,
Nein, ſondern wie er ſelbſt halb todt darnieder liegt,
Und dennoch uͤber Tod und auch ſich ſelber ſiegt. ꝛc.
Eben einen ſo vernuͤnftig-erhabenen Ausdruck kan man in
Opitzens und Flemmings Lob-Gedichten, auf hohe Haͤup-
ter, imgleichen in des letztern wie auch in Guͤnthers Oden,
darinn kein ſonderlicher Affect ſteckt, antreffen.
Wie nun dieſe Schreibart groſſe Schoͤnheiten an ſich
hat, ſo iſt es kein Wunder, daß ſie viel Liebhaber gefun-
den hat. Ein jeder Poet hat vor einiger Zeit recht ſinnreich
oder hoch, wie mans insgemein zu nennen pflegt, ſchreiben
wollen: Allein da ſo wenigen von Natur die Federn dazu
gewachſen geweſen, ſo iſt es den meiſten wie dem Jcarus
gegangen, der ſo hoch fliegen wollte, daß er ſich die Fluͤgel
ſchmeltzte, und alſo gar herunter fiel. Von der wahren
Hoheit der Schreibart hat Longin ein eigen Buch geſchrie-
ben, und von der falſchen Hoheit habe ich ſchon Werenfelßens
Diſſertation de Meteoris gelobt. Dieſe beyde Schrifften
muß man mit groſſem Fleiße leſen, wenn man ſich auf ei-
nem ſo glipfrichten Stege, als der nach dem Parnaß fuͤh-
ret, nicht verſehen will. Es iſt nirgends leichter Fehltritte
zu thun, als hier; denn es kommt mehr auf den Geſchmack
als auf Regeln hier an. Bouhours ſelbſt, der vernuͤnf-
tigſte Criticus in Franckreich, wie er ſelbſt von den gelehr-
teſten Engellaͤndern genennet worden, hat zwar eine Men-
ge fehlerhaffter Stellen in ſeiner Maniere de bien penſer
angemerckt und verworfen; aber ſelten die Urſachen und
Regeln ſeiner Urtheile angeben koͤnnen. Unter den alten
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Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730, S. 295. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/323>, abgerufen am 24.11.2024.
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