Eben dergleichen ist jener Einwurf, den sich Canitz in seiner Satire vom Hofleben macht; wenn er dem jungen Dan- ckelmann räth, sich durch die Heyrath einer schlechten Per- son in die Gunst eines Grossen zu setzen.
Verachte mit Vernunft den Wahn der eiteln Welt, Wird doch der Uberfluß im Horne vorgestellt. Ja, sprichst du, ihr Geschlecht! Ach laß den Jrrthum fahren, Sieh unsern Nachbar an etc.
Es folgt zum XXVII. das Einräumen(Epitrophe), wenn man jemanden mehr zugesteht, als er fordern kan, ja mehr als man selbst glaubt; nur um desto schärfer wieder ihn zu streiten. Ein Exempel nehme ich aus Canitzens Ubersetzung der Satire vom Adel.
Sein tapferes Geschlecht mag durch berühmte Sachen, Die ältsten Chronicken zu dicken Büchern machen; Gesetzt, daß jenen Schild, der sein Geschlechte ziert, Vorlängst schon ein Capet mit Lilien ausgeziert. Wozu will er uns doch den leeren Vorrath weisen? Wenn er von seinem Stamm, den die Gedichte preisen, Der Welt nichts zeigen kan, als ein verlegnes Blat, Daran das Pergament der Wurm geschonet hat.
Den Beschluß macht Lami zum XXVIII. mit der Um- schreibung(Periphrasis), wodurch man unanständige Sa- chen, oder Dinge, die man nicht so gleich heraus sagen will, zu lindern oder höflicher zu sagen pflegt. Ein Exempel giebt uns Opitz, wenn er sagen will, wohin die Poesien der Stüm- perkommen.
Nicht zwar wie jene thun, die heute etwas schreiben, Das morgen kommt dahin, wo es zu kommen werth, Da, wo man an die Wand den blossen Rücken kehrt.
Ob wohl nun der offtgedachte Scribent, es bey diesen Fi- guren bewenden läßt; so erinnert er doch, daß es freylich noch verschiedene andre gebe, so diesen an Schönheit und Nachdruck nichts nachgeben. Die Wahrheit dessen zu er- weisen, will ich noch ein paar hersetzen, um das halbe Schock vollends voll zu machen. Man mercke also zum XIX.das Aufsteigen(Gradatio), wenn man gleichsam stuffenweise von einer geringern Sache zu etwas höherm fortschreitet, und
also
Das X. Capitel
Eben dergleichen iſt jener Einwurf, den ſich Canitz in ſeiner Satire vom Hofleben macht; wenn er dem jungen Dan- ckelmann raͤth, ſich durch die Heyrath einer ſchlechten Per- ſon in die Gunſt eines Groſſen zu ſetzen.
Verachte mit Vernunft den Wahn der eiteln Welt, Wird doch der Uberfluß im Horne vorgeſtellt. Ja, ſprichſt du, ihr Geſchlecht! Ach laß den Jrrthum fahren, Sieh unſern Nachbar an ꝛc.
Es folgt zum XXVII. das Einraͤumen(Epitrophe), wenn man jemanden mehr zugeſteht, als er fordern kan, ja mehr als man ſelbſt glaubt; nur um deſto ſchaͤrfer wieder ihn zu ſtreiten. Ein Exempel nehme ich aus Canitzens Uberſetzung der Satire vom Adel.
Sein tapferes Geſchlecht mag durch beruͤhmte Sachen, Die aͤltſten Chronicken zu dicken Buͤchern machen; Geſetzt, daß jenen Schild, der ſein Geſchlechte ziert, Vorlaͤngſt ſchon ein Capet mit Lilien ausgeziert. Wozu will er uns doch den leeren Vorrath weiſen? Wenn er von ſeinem Stamm, den die Gedichte preiſen, Der Welt nichts zeigen kan, als ein verlegnes Blat, Daran das Pergament der Wurm geſchonet hat.
Den Beſchluß macht Lami zum XXVIII. mit der Um- ſchreibung(Periphraſis), wodurch man unanſtaͤndige Sa- chen, oder Dinge, die man nicht ſo gleich heraus ſagen will, zu lindern oder hoͤflicher zu ſagen pflegt. Ein Exempel giebt uns Opitz, wenn er ſagen will, wohin die Poeſien der Stuͤm- perkommen.
Nicht zwar wie jene thun, die heute etwas ſchreiben, Das morgen kommt dahin, wo es zu kommen werth, Da, wo man an die Wand den bloſſen Ruͤcken kehrt.
Ob wohl nun der offtgedachte Scribent, es bey dieſen Fi- guren bewenden laͤßt; ſo erinnert er doch, daß es freylich noch verſchiedene andre gebe, ſo dieſen an Schoͤnheit und Nachdruck nichts nachgeben. Die Wahrheit deſſen zu er- weiſen, will ich noch ein paar herſetzen, um das halbe Schock vollends voll zu machen. Man mercke alſo zum XIX.das Aufſteigen(Gradatio), wenn man gleichſam ſtuffenweiſe von einer geringern Sache zu etwas hoͤherm fortſchreitet, und
alſo
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0308"n="280"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">Das <hirendition="#aq">X.</hi> Capitel</hi></fw><lb/><p>Eben dergleichen iſt jener Einwurf, den ſich Canitz in ſeiner<lb/>
Satire vom Hofleben macht; wenn er dem jungen Dan-<lb/>
ckelmann raͤth, ſich durch die Heyrath einer ſchlechten Per-<lb/>ſon in die Gunſt eines Groſſen zu ſetzen.</p><lb/><cit><quote>Verachte mit Vernunft den Wahn der eiteln Welt,<lb/>
Wird doch der Uberfluß im Horne vorgeſtellt.<lb/>
Ja, ſprichſt du, ihr Geſchlecht! Ach laß den Jrrthum fahren,<lb/>
Sieh unſern Nachbar an ꝛc.</quote></cit><lb/><p>Es folgt zum <hirendition="#aq">XXVII.</hi> das <hirendition="#fr">Einraͤumen</hi><hirendition="#aq">(Epitrophe)</hi>, wenn<lb/>
man jemanden mehr zugeſteht, als er fordern kan, ja mehr<lb/>
als man ſelbſt glaubt; nur um deſto ſchaͤrfer wieder ihn zu<lb/>ſtreiten. Ein Exempel nehme ich aus Canitzens Uberſetzung<lb/>
der Satire vom Adel.</p><lb/><cit><quote>Sein tapferes Geſchlecht mag durch beruͤhmte Sachen,<lb/>
Die aͤltſten Chronicken zu dicken Buͤchern machen;<lb/>
Geſetzt, daß jenen Schild, der ſein Geſchlechte ziert,<lb/>
Vorlaͤngſt ſchon ein Capet mit Lilien ausgeziert.<lb/>
Wozu will er uns doch den leeren Vorrath weiſen?<lb/>
Wenn er von ſeinem Stamm, den die Gedichte preiſen,<lb/>
Der Welt nichts zeigen kan, als ein verlegnes Blat,<lb/>
Daran das Pergament der Wurm geſchonet hat.</quote></cit><lb/><p>Den Beſchluß macht Lami zum <hirendition="#aq">XXVIII.</hi> mit der <hirendition="#fr">Um-<lb/>ſchreibung</hi><hirendition="#aq">(Periphraſis)</hi>, wodurch man unanſtaͤndige Sa-<lb/>
chen, oder Dinge, die man nicht ſo gleich heraus ſagen will,<lb/>
zu lindern oder hoͤflicher zu ſagen pflegt. Ein Exempel giebt<lb/>
uns Opitz, wenn er ſagen will, wohin die Poeſien der Stuͤm-<lb/>
perkommen.</p><lb/><cit><quote>Nicht zwar wie jene thun, die heute etwas ſchreiben,<lb/>
Das morgen kommt dahin, wo es zu kommen werth,<lb/>
Da, wo man an die Wand den bloſſen Ruͤcken kehrt.</quote></cit><lb/><p>Ob wohl nun der offtgedachte Scribent, es bey dieſen Fi-<lb/>
guren bewenden laͤßt; ſo erinnert er doch, daß es freylich<lb/>
noch verſchiedene andre gebe, ſo dieſen an Schoͤnheit und<lb/>
Nachdruck nichts nachgeben. Die Wahrheit deſſen zu er-<lb/>
weiſen, will ich noch ein paar herſetzen, um das halbe Schock<lb/>
vollends voll zu machen. Man mercke alſo zum <hirendition="#aq">XIX.</hi><hirendition="#fr">das<lb/>
Aufſteigen</hi><hirendition="#aq">(Gradatio)</hi>, wenn man gleichſam ſtuffenweiſe<lb/>
von einer geringern Sache zu etwas hoͤherm fortſchreitet, und<lb/><fwplace="bottom"type="catch">alſo</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[280/0308]
Das X. Capitel
Eben dergleichen iſt jener Einwurf, den ſich Canitz in ſeiner
Satire vom Hofleben macht; wenn er dem jungen Dan-
ckelmann raͤth, ſich durch die Heyrath einer ſchlechten Per-
ſon in die Gunſt eines Groſſen zu ſetzen.
Verachte mit Vernunft den Wahn der eiteln Welt,
Wird doch der Uberfluß im Horne vorgeſtellt.
Ja, ſprichſt du, ihr Geſchlecht! Ach laß den Jrrthum fahren,
Sieh unſern Nachbar an ꝛc.
Es folgt zum XXVII. das Einraͤumen (Epitrophe), wenn
man jemanden mehr zugeſteht, als er fordern kan, ja mehr
als man ſelbſt glaubt; nur um deſto ſchaͤrfer wieder ihn zu
ſtreiten. Ein Exempel nehme ich aus Canitzens Uberſetzung
der Satire vom Adel.
Sein tapferes Geſchlecht mag durch beruͤhmte Sachen,
Die aͤltſten Chronicken zu dicken Buͤchern machen;
Geſetzt, daß jenen Schild, der ſein Geſchlechte ziert,
Vorlaͤngſt ſchon ein Capet mit Lilien ausgeziert.
Wozu will er uns doch den leeren Vorrath weiſen?
Wenn er von ſeinem Stamm, den die Gedichte preiſen,
Der Welt nichts zeigen kan, als ein verlegnes Blat,
Daran das Pergament der Wurm geſchonet hat.
Den Beſchluß macht Lami zum XXVIII. mit der Um-
ſchreibung (Periphraſis), wodurch man unanſtaͤndige Sa-
chen, oder Dinge, die man nicht ſo gleich heraus ſagen will,
zu lindern oder hoͤflicher zu ſagen pflegt. Ein Exempel giebt
uns Opitz, wenn er ſagen will, wohin die Poeſien der Stuͤm-
perkommen.
Nicht zwar wie jene thun, die heute etwas ſchreiben,
Das morgen kommt dahin, wo es zu kommen werth,
Da, wo man an die Wand den bloſſen Ruͤcken kehrt.
Ob wohl nun der offtgedachte Scribent, es bey dieſen Fi-
guren bewenden laͤßt; ſo erinnert er doch, daß es freylich
noch verſchiedene andre gebe, ſo dieſen an Schoͤnheit und
Nachdruck nichts nachgeben. Die Wahrheit deſſen zu er-
weiſen, will ich noch ein paar herſetzen, um das halbe Schock
vollends voll zu machen. Man mercke alſo zum XIX. das
Aufſteigen (Gradatio), wenn man gleichſam ſtuffenweiſe
von einer geringern Sache zu etwas hoͤherm fortſchreitet, und
alſo
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730, S. 280. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/308>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.