Sey gegrüßt du Fürst der Zeiten, Du des Jahrs Apell, o May! etc.
Jn einer andern Ode, wendet er sich an den Mond und A- bendstern:
Sieh sie an, die Weberin, Fromme Cynthie, und höre, Du auch züchtige Cythere, Unsrer Nächte Heroldin!
Anderwerts redet er die bunten Matten, die Thäler, Ger- manien, die Liebe, die Musen u. s. w. an. Und was ist ge- wöhnlicher, als daß die Poeten gar sich selbst, oder wie sie reden, ihren Geist und Sinn anzureden pflegen. Z. E. Ca- nitz in dem obgedachten Gedichte von der Poesie.
Auf, säume nicht, mein Sinn! ein gutes Werck zu wagen.
Und abermahl:
Verdammte Poesie! mein Sinn, laß dich bedeuten, Eh ich dir Niesewurtz darf lassen zubereiten. etc.
Und weil die Musen in der That nichts anders als den poe- tischen Trieb des Dichters bedeuten, so gehört auch folgende Art der Anreden hieher, wenn z. E. Heräus schreibt:
Still, Musen! still, wohin? Jhr fanget an zu rasen. Jhr wißt, daß ich ein Blatt und nicht ein Buch bestellt.
Zum XXIVsten kommt die Wiederkehr(Epistrophe), da man die Schluß-Worte des einen Satzes etlichemahl am Ende andrer Sätze wiederholet. Dahin gehören die Oden, wo die letzten Zeilen allezeit bey jeder Strophe wie- der vorkommen, doch so, daß sie sich auch dazu schicken. Z. E. Flemming hat p. 371. im IIIten Buch seiner Oden die 8te so gemacht, daß jede Strophe sich schliesset:
Eben so hat Opitz die IIIte von seinen Oden bey jeder Stro- phe folgendermaßen beschlossen:
Eine jeder lobe seinen Sinn, Jch lobe meine Schäferin.
Es
Das X. Capitel
Sey gegruͤßt du Fuͤrſt der Zeiten, Du des Jahrs Apell, o May! ꝛc.
Jn einer andern Ode, wendet er ſich an den Mond und A- bendſtern:
Sieh ſie an, die Weberin, Fromme Cynthie, und hoͤre, Du auch zuͤchtige Cythere, Unſrer Naͤchte Heroldin!
Anderwerts redet er die bunten Matten, die Thaͤler, Ger- manien, die Liebe, die Muſen u. ſ. w. an. Und was iſt ge- woͤhnlicher, als daß die Poeten gar ſich ſelbſt, oder wie ſie reden, ihren Geiſt und Sinn anzureden pflegen. Z. E. Ca- nitz in dem obgedachten Gedichte von der Poeſie.
Auf, ſaͤume nicht, mein Sinn! ein gutes Werck zu wagen.
Und abermahl:
Verdammte Poeſie! mein Sinn, laß dich bedeuten, Eh ich dir Nieſewurtz darf laſſen zubereiten. ꝛc.
Und weil die Muſen in der That nichts anders als den poe- tiſchen Trieb des Dichters bedeuten, ſo gehoͤrt auch folgende Art der Anreden hieher, wenn z. E. Heraͤus ſchreibt:
Still, Muſen! ſtill, wohin? Jhr fanget an zu raſen. Jhr wißt, daß ich ein Blatt und nicht ein Buch beſtellt.
Zum XXIVſten kommt die Wiederkehr(Epiſtrophe), da man die Schluß-Worte des einen Satzes etlichemahl am Ende andrer Saͤtze wiederholet. Dahin gehoͤren die Oden, wo die letzten Zeilen allezeit bey jeder Strophe wie- der vorkommen, doch ſo, daß ſie ſich auch dazu ſchicken. Z. E. Flemming hat p. 371. im IIIten Buch ſeiner Oden die 8te ſo gemacht, daß jede Strophe ſich ſchlieſſet:
Eben ſo hat Opitz die IIIte von ſeinen Oden bey jeder Stro- phe folgendermaßen beſchloſſen:
Eine jeder lobe ſeinen Sinn, Jch lobe meine Schaͤferin.
Es
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[278/0306]
Das X. Capitel
Sey gegruͤßt du Fuͤrſt der Zeiten,
Du des Jahrs Apell, o May! ꝛc.
Jn einer andern Ode, wendet er ſich an den Mond und A-
bendſtern:
Sieh ſie an, die Weberin,
Fromme Cynthie, und hoͤre,
Du auch zuͤchtige Cythere,
Unſrer Naͤchte Heroldin!
Anderwerts redet er die bunten Matten, die Thaͤler, Ger-
manien, die Liebe, die Muſen u. ſ. w. an. Und was iſt ge-
woͤhnlicher, als daß die Poeten gar ſich ſelbſt, oder wie ſie
reden, ihren Geiſt und Sinn anzureden pflegen. Z. E. Ca-
nitz in dem obgedachten Gedichte von der Poeſie.
Auf, ſaͤume nicht, mein Sinn! ein gutes Werck zu wagen.
Und abermahl:
Verdammte Poeſie! mein Sinn, laß dich bedeuten,
Eh ich dir Nieſewurtz darf laſſen zubereiten. ꝛc.
Und weil die Muſen in der That nichts anders als den poe-
tiſchen Trieb des Dichters bedeuten, ſo gehoͤrt auch folgende
Art der Anreden hieher, wenn z. E. Heraͤus ſchreibt:
Still, Muſen! ſtill, wohin? Jhr fanget an zu raſen.
Jhr wißt, daß ich ein Blatt und nicht ein Buch beſtellt.
Zum XXIVſten kommt die Wiederkehr (Epiſtrophe),
da man die Schluß-Worte des einen Satzes etlichemahl
am Ende andrer Saͤtze wiederholet. Dahin gehoͤren die
Oden, wo die letzten Zeilen allezeit bey jeder Strophe wie-
der vorkommen, doch ſo, daß ſie ſich auch dazu ſchicken. Z. E.
Flemming hat p. 371. im IIIten Buch ſeiner Oden die 8te
ſo gemacht, daß jede Strophe ſich ſchlieſſet:
Pfluͤcket Blumen, windet Kraͤntze,
Fuͤhret liebe Lobe-Taͤntze.
Eben ſo hat Opitz die IIIte von ſeinen Oden bey jeder Stro-
phe folgendermaßen beſchloſſen:
Eine jeder lobe ſeinen Sinn,
Jch lobe meine Schaͤferin.
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Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730, S. 278. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/306>, abgerufen am 24.11.2024.
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