Jch will noch ein anders aus Opitzen hersetzen, darinn er sich selbst als einen Verliebten beschreibet. Es steht im IV. B. der Poet. W. p. 179.
Jch weiß nicht, was ich dencke, So seltsam ist ihr Sinn. Wenn ich mich zu ihr lencke, So wird sie stoltz davon. Wenn ich mich halten kan, Und komme nicht zu ihr, so lockt sie selbst mich an. - - - - - Die Bücher stincken mir. Jch fieng schon an zu melden, Aus Fürstlichem Befehl, des unverzagten Helden Von Prommnitz hohes Lob. Das schläft nun gantz und gar. - - - - - Die Laute meine Lust, Die Unmuth-Trösterin, weiß ietzund nichts zu singen Als nur von Flavien. - - - - - - - - Hier ist mein Aufenthalt, hier irr ich hin und wieder, Und rede mit mir selbst. Dann setz ich bald mich nieder, Bald steh ich wieder auf, und wenn ich müde bin Vom Klagen und vom Gehn, so streck ich mich dahin Bey einem dicken Baum. - - - - - - - - Jch eil, ich wart, ich zürn, ich weiß nicht, was ich treibe, Was mein Begehren ist. Zugleich in einem Leibe Haß ich die Härtigkeit und liebe die Gestalt. - - - - - Die Leute sehn mir nach, daß ich, indem ich gehe, Jetzt eile wie der Wind, jetzt wieder stille stehe, Und daß die Röthe mir bald unter Augen steigt, Und meine blasse Farb an ihrer statt sich zeigt. Der Leib geht nur allhier. Man soll mich viermahl fragen, Jch werde kaum ein Wort, und doch nichts rechtes sagen. Jm Wachen träumet mir. Tobt das Gewissen sehr, Bey welchen es sich regt; die Liebe plagt mich mehr. Jch kan nicht seyn ohn sie, und wenn ich zu ihr komme, Mit Reden wohl gefaßt, so stock ich und verstumme: Die Zunge steht gehemmt, das Hertze gantz verzagt. Beb wie der Espenlaub, und wenn es hoch sich wagt, Wie sein Bedüncken ist, so stiehlt es aus der Pforten Des Mundes einen Kuß, den sie mit solchen Worten, (Jch weiß nicht, sind sie falsch?) hernach zu bessern pflegt. Daß sich das Blut dadurch in allen Adern regt.
Die
Das X. Capitel
Jch will noch ein anders aus Opitzen herſetzen, darinn er ſich ſelbſt als einen Verliebten beſchreibet. Es ſteht im IV. B. der Poet. W. p. 179.
Jch weiß nicht, was ich dencke, So ſeltſam iſt ihr Sinn. Wenn ich mich zu ihr lencke, So wird ſie ſtoltz davon. Wenn ich mich halten kan, Und komme nicht zu ihr, ſo lockt ſie ſelbſt mich an. ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ Die Buͤcher ſtincken mir. Jch fieng ſchon an zu melden, Aus Fuͤrſtlichem Befehl, des unverzagten Helden Von Prommnitz hohes Lob. Das ſchlaͤft nun gantz und gar. ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ Die Laute meine Luſt, Die Unmuth-Troͤſterin, weiß ietzund nichts zu ſingen Als nur von Flavien. ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ Hier iſt mein Aufenthalt, hier irr ich hin und wieder, Und rede mit mir ſelbſt. Dann ſetz ich bald mich nieder, Bald ſteh ich wieder auf, und wenn ich muͤde bin Vom Klagen und vom Gehn, ſo ſtreck ich mich dahin Bey einem dicken Baum. ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ Jch eil, ich wart, ich zuͤrn, ich weiß nicht, was ich treibe, Was mein Begehren iſt. Zugleich in einem Leibe Haß ich die Haͤrtigkeit und liebe die Geſtalt. ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ Die Leute ſehn mir nach, daß ich, indem ich gehe, Jetzt eile wie der Wind, jetzt wieder ſtille ſtehe, Und daß die Roͤthe mir bald unter Augen ſteigt, Und meine blaſſe Farb an ihrer ſtatt ſich zeigt. Der Leib geht nur allhier. Man ſoll mich viermahl fragen, Jch werde kaum ein Wort, und doch nichts rechtes ſagen. Jm Wachen traͤumet mir. Tobt das Gewiſſen ſehr, Bey welchen es ſich regt; die Liebe plagt mich mehr. Jch kan nicht ſeyn ohn ſie, und wenn ich zu ihr komme, Mit Reden wohl gefaßt, ſo ſtock ich und verſtumme: Die Zunge ſteht gehemmt, das Hertze gantz verzagt. Beb wie der Eſpenlaub, und wenn es hoch ſich wagt, Wie ſein Beduͤncken iſt, ſo ſtiehlt es aus der Pforten Des Mundes einen Kuß, den ſie mit ſolchen Worten, (Jch weiß nicht, ſind ſie falſch?) hernach zu beſſern pflegt. Daß ſich das Blut dadurch in allen Adern regt.
Die
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Das X. Capitel
Jch will noch ein anders aus Opitzen herſetzen, darinn er
ſich ſelbſt als einen Verliebten beſchreibet. Es ſteht im
IV. B. der Poet. W. p. 179.
Jch weiß nicht, was ich dencke,
So ſeltſam iſt ihr Sinn. Wenn ich mich zu ihr lencke,
So wird ſie ſtoltz davon. Wenn ich mich halten kan,
Und komme nicht zu ihr, ſo lockt ſie ſelbſt mich an.
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Die Buͤcher ſtincken mir. Jch fieng ſchon an zu melden,
Aus Fuͤrſtlichem Befehl, des unverzagten Helden
Von Prommnitz hohes Lob. Das ſchlaͤft nun gantz und gar.
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Die Laute meine Luſt,
Die Unmuth-Troͤſterin, weiß ietzund nichts zu ſingen
Als nur von Flavien. ‒ ‒ ‒
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Hier iſt mein Aufenthalt, hier irr ich hin und wieder,
Und rede mit mir ſelbſt. Dann ſetz ich bald mich nieder,
Bald ſteh ich wieder auf, und wenn ich muͤde bin
Vom Klagen und vom Gehn, ſo ſtreck ich mich dahin
Bey einem dicken Baum. ‒ ‒ ‒
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Jch eil, ich wart, ich zuͤrn, ich weiß nicht, was ich treibe,
Was mein Begehren iſt. Zugleich in einem Leibe
Haß ich die Haͤrtigkeit und liebe die Geſtalt.
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Die Leute ſehn mir nach, daß ich, indem ich gehe,
Jetzt eile wie der Wind, jetzt wieder ſtille ſtehe,
Und daß die Roͤthe mir bald unter Augen ſteigt,
Und meine blaſſe Farb an ihrer ſtatt ſich zeigt.
Der Leib geht nur allhier. Man ſoll mich viermahl fragen,
Jch werde kaum ein Wort, und doch nichts rechtes ſagen.
Jm Wachen traͤumet mir. Tobt das Gewiſſen ſehr,
Bey welchen es ſich regt; die Liebe plagt mich mehr.
Jch kan nicht ſeyn ohn ſie, und wenn ich zu ihr komme,
Mit Reden wohl gefaßt, ſo ſtock ich und verſtumme:
Die Zunge ſteht gehemmt, das Hertze gantz verzagt.
Beb wie der Eſpenlaub, und wenn es hoch ſich wagt,
Wie ſein Beduͤncken iſt, ſo ſtiehlt es aus der Pforten
Des Mundes einen Kuß, den ſie mit ſolchen Worten,
(Jch weiß nicht, ſind ſie falſch?) hernach zu beſſern pflegt.
Daß ſich das Blut dadurch in allen Adern regt.
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Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730, S. 270. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/298>, abgerufen am 24.11.2024.
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