Auf Bildern, Rinden, Bley, Stein, Leder und Papier, Und wird der blinden Nacht der Barbarey entzogen.
Jch wollte aber deßwegen dieser und andern dergleichen Stellen lieber den letztern Nahmen geben, als den ersten, und also eine besondre Figur daraus machen, weil in der That alle die angebrachte Wörter ihre eigene gantz besondre Begriffe erwecken, und nur obenhin angesehen, gleichviel zu bedeuten scheinen. Ein solcher Kunstgriff aber ist von grossem Nachdrucke, andern eine Sache sehr lebhafft vor die Augen zu mahlen.
Die XIIte Figur kan auf Deutsch eine Schilderung (Hypotyposis s. Icon) heißen, weil sie einen so lebhafften Ab- riß einer Sache macht, als ob sie wircklich verhanden wäre. Das macht die starcke Einbildungs-Krafft, welche sich im Affecte die deutlichsten Bilder von sinnlichen Sachen her- vorbringet, die offt den wircklichen Empfindungen an Klar- heit nichts nachgeben, und also abwesende oder vergange- ne Sachen als gegenwärtige vorstellet. Die Zunge folgt den Gedancken, und beschreibt, was im Gehirne vorgeht, eben so munter, als ob es wircklich ausser ihr zugegen wäre. Z. E. Günther in seiner Ode auf Eugenium, macht unter vielen andern sehr deutlichen Bildern auch diese prophetische Schilderung:
Was zieht sich vor ein Vorhang weg? Jch seh den Schauplatz später Zeiten. Dort hör ich einen Scanderbeg, Dort seh ich einen Gottfried streiten. Die Palmen ziehn sich um sein Haupt, Man heult, man schlägt, man jauchzt, man raubt. Kein Creutz-Zug macht ein solches Lermen. Der Erden gröst- und dritter Theil, Zerreißt der Saracenen Heil, Und würgt den Hund mit seinen Därmen. Der Nil erschrickt, Damascus brennt, Es raucht auf Ascalons Gefilden, Und durch den gantzen Orient Herrscht Unruh, Hunger, Pest und Würgen. Der Jordan steht wie Mauren da, Als käm ein andrer Josua,
Er
Das X. Capitel
Auf Bildern, Rinden, Bley, Stein, Leder und Papier, Und wird der blinden Nacht der Barbarey entzogen.
Jch wollte aber deßwegen dieſer und andern dergleichen Stellen lieber den letztern Nahmen geben, als den erſten, und alſo eine beſondre Figur daraus machen, weil in der That alle die angebrachte Woͤrter ihre eigene gantz beſondre Begriffe erwecken, und nur obenhin angeſehen, gleichviel zu bedeuten ſcheinen. Ein ſolcher Kunſtgriff aber iſt von groſſem Nachdrucke, andern eine Sache ſehr lebhafft vor die Augen zu mahlen.
Die XIIte Figur kan auf Deutſch eine Schilderung (Hypotypoſis ſ. Icon) heißen, weil ſie einen ſo lebhafften Ab- riß einer Sache macht, als ob ſie wircklich verhanden waͤre. Das macht die ſtarcke Einbildungs-Krafft, welche ſich im Affecte die deutlichſten Bilder von ſinnlichen Sachen her- vorbringet, die offt den wircklichen Empfindungen an Klar- heit nichts nachgeben, und alſo abweſende oder vergange- ne Sachen als gegenwaͤrtige vorſtellet. Die Zunge folgt den Gedancken, und beſchreibt, was im Gehirne vorgeht, eben ſo munter, als ob es wircklich auſſer ihr zugegen waͤre. Z. E. Guͤnther in ſeiner Ode auf Eugenium, macht unter vielen andern ſehr deutlichen Bildern auch dieſe prophetiſche Schilderung:
Was zieht ſich vor ein Vorhang weg? Jch ſeh den Schauplatz ſpaͤter Zeiten. Dort hoͤr ich einen Scanderbeg, Dort ſeh ich einen Gottfried ſtreiten. Die Palmen ziehn ſich um ſein Haupt, Man heult, man ſchlaͤgt, man jauchzt, man raubt. Kein Creutz-Zug macht ein ſolches Lermen. Der Erden groͤſt- und dritter Theil, Zerreißt der Saracenen Heil, Und wuͤrgt den Hund mit ſeinen Daͤrmen. Der Nil erſchrickt, Damaſcus brennt, Es raucht auf Aſcalons Gefilden, Und durch den gantzen Orient Herrſcht Unruh, Hunger, Peſt und Wuͤrgen. Der Jordan ſteht wie Mauren da, Als kaͤm ein andrer Joſua,
Er
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Das X. Capitel
Auf Bildern, Rinden, Bley, Stein, Leder und Papier,
Und wird der blinden Nacht der Barbarey entzogen.
Jch wollte aber deßwegen dieſer und andern dergleichen
Stellen lieber den letztern Nahmen geben, als den erſten,
und alſo eine beſondre Figur daraus machen, weil in der
That alle die angebrachte Woͤrter ihre eigene gantz beſondre
Begriffe erwecken, und nur obenhin angeſehen, gleichviel
zu bedeuten ſcheinen. Ein ſolcher Kunſtgriff aber iſt von
groſſem Nachdrucke, andern eine Sache ſehr lebhafft vor
die Augen zu mahlen.
Die XIIte Figur kan auf Deutſch eine Schilderung
(Hypotypoſis ſ. Icon) heißen, weil ſie einen ſo lebhafften Ab-
riß einer Sache macht, als ob ſie wircklich verhanden waͤre.
Das macht die ſtarcke Einbildungs-Krafft, welche ſich im
Affecte die deutlichſten Bilder von ſinnlichen Sachen her-
vorbringet, die offt den wircklichen Empfindungen an Klar-
heit nichts nachgeben, und alſo abweſende oder vergange-
ne Sachen als gegenwaͤrtige vorſtellet. Die Zunge folgt
den Gedancken, und beſchreibt, was im Gehirne vorgeht,
eben ſo munter, als ob es wircklich auſſer ihr zugegen waͤre.
Z. E. Guͤnther in ſeiner Ode auf Eugenium, macht unter
vielen andern ſehr deutlichen Bildern auch dieſe prophetiſche
Schilderung:
Was zieht ſich vor ein Vorhang weg?
Jch ſeh den Schauplatz ſpaͤter Zeiten.
Dort hoͤr ich einen Scanderbeg,
Dort ſeh ich einen Gottfried ſtreiten.
Die Palmen ziehn ſich um ſein Haupt,
Man heult, man ſchlaͤgt, man jauchzt, man raubt.
Kein Creutz-Zug macht ein ſolches Lermen.
Der Erden groͤſt- und dritter Theil,
Zerreißt der Saracenen Heil,
Und wuͤrgt den Hund mit ſeinen Daͤrmen.
Der Nil erſchrickt, Damaſcus brennt,
Es raucht auf Aſcalons Gefilden,
Und durch den gantzen Orient
Herrſcht Unruh, Hunger, Peſt und Wuͤrgen.
Der Jordan ſteht wie Mauren da,
Als kaͤm ein andrer Joſua,
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Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730, S. 268. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/296>, abgerufen am 25.11.2024.
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