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Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730.

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Das X. Capitel
Das kan ein Weibesbild, bald will sich der erträncken,
Vor unerhörter Brunst, und jener will sich hencken,
Die rothen Augen sind mit Thränen angefüllt,
Voll Seufzens ist die Brust: das kan ein Weibesbild.

Hieher gehören denn auch die Wiederholungen, da man in
gantzen Strophen die ersten Zeilen und Wörter am Ende
derselben noch einmahl brauchet, welches sonderlich in Mu-
sicalischen Stücken angenehm fällt. Jch will aus Bessern
p. 425. folgendes Exempel geben, wo wegen des Wohlklan-
ges noch viel andre Wiederholungen vorkommen.

Sey froh! sey froh! Eleonora,
Sey froh! du neue Flora,
Sey nunmehr glücklicher nach überstrebtem Leide
Der Himmel kröne dich mit steter Frühlingsfreude,
Die Blumen schütten sich zu allen Zeiten aus,
Auf dich und dein erlauchtes Haus.
Wir ehren dich, o neue Flora,
Wir ehren dich Eleonora,
Sey glücklich neuerwehlte Flora,
Eleonor' Eleonora.

Die IXte ist die Verstärckung (Paronomasia), wenn man
zwar ein Wort oder eine Redensart, so schon da gewesen,
wiederholt, aber mit einem Zusatze, der noch einen beson-
dern Nachdruck verursachet, z. E. wenn Canitz schreibt:

Ein Baum wars, nur ein Baum dran solche Früchte saßen,
Die dort der erste Mensch sollt unbetastet lassen.
Uns aber ist noch mehr zu halten auferlegt;
Weil hier ein gantzer Wald so viel Verbotnes trägt.

Hier ist das Wörtchen nur eigentlich dasjenige, so den gan-
tzen Nachdruck giebt, da sonst die Wiederholung hier sehr
kalt gewesen seyn würde. Jmgleichen wenn Opitz sagt:

Das Thier, das edle Thier,
Das alle Thiere zwingt,
der Erden Lob und Zier,
Kömmt bloß und arm hieher. II. B. der Trostg.

wo gewiß dieser Zusatz, das edle Thier dem gantzen Satze
ein weit grösseres Gewicht giebt.

Die Xte Figur ist der Uberfluß, (Pleonasmus) wenn man
viel mehr sagt, als nöthig ist. Sie entsteht wiederum aus

der
Das X. Capitel
Das kan ein Weibesbild, bald will ſich der ertraͤncken,
Vor unerhoͤrter Brunſt, und jener will ſich hencken,
Die rothen Augen ſind mit Thraͤnen angefuͤllt,
Voll Seufzens iſt die Bruſt: das kan ein Weibesbild.

Hieher gehoͤren denn auch die Wiederholungen, da man in
gantzen Strophen die erſten Zeilen und Woͤrter am Ende
derſelben noch einmahl brauchet, welches ſonderlich in Mu-
ſicaliſchen Stuͤcken angenehm faͤllt. Jch will aus Beſſern
p. 425. folgendes Exempel geben, wo wegen des Wohlklan-
ges noch viel andre Wiederholungen vorkommen.

Sey froh! ſey froh! Eleonora,
Sey froh! du neue Flora,
Sey nunmehr gluͤcklicher nach uͤberſtrebtem Leide
Der Himmel kroͤne dich mit ſteter Fruͤhlingsfreude,
Die Blumen ſchuͤtten ſich zu allen Zeiten aus,
Auf dich und dein erlauchtes Haus.
Wir ehren dich, o neue Flora,
Wir ehren dich Eleonora,
Sey gluͤcklich neuerwehlte Flora,
Eleonor’ Eleonora.

Die IXte iſt die Verſtaͤrckung (Paronomaſia), wenn man
zwar ein Wort oder eine Redensart, ſo ſchon da geweſen,
wiederholt, aber mit einem Zuſatze, der noch einen beſon-
dern Nachdruck verurſachet, z. E. wenn Canitz ſchreibt:

Ein Baum wars, nur ein Baum dran ſolche Fruͤchte ſaßen,
Die dort der erſte Menſch ſollt unbetaſtet laſſen.
Uns aber iſt noch mehr zu halten auferlegt;
Weil hier ein gantzer Wald ſo viel Verbotnes traͤgt.

Hier iſt das Woͤrtchen nur eigentlich dasjenige, ſo den gan-
tzen Nachdruck giebt, da ſonſt die Wiederholung hier ſehr
kalt geweſen ſeyn wuͤrde. Jmgleichen wenn Opitz ſagt:

Das Thier, das edle Thier,
Das alle Thiere zwingt,
der Erden Lob und Zier,
Koͤmmt bloß und arm hieher. II. B. der Troſtg.

wo gewiß dieſer Zuſatz, das edle Thier dem gantzen Satze
ein weit groͤſſeres Gewicht giebt.

Die Xte Figur iſt der Uberfluß, (Pleonaſmus) wenn man
viel mehr ſagt, als noͤthig iſt. Sie entſteht wiederum aus

der
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[266/0294] Das X. Capitel Das kan ein Weibesbild, bald will ſich der ertraͤncken, Vor unerhoͤrter Brunſt, und jener will ſich hencken, Die rothen Augen ſind mit Thraͤnen angefuͤllt, Voll Seufzens iſt die Bruſt: das kan ein Weibesbild. Hieher gehoͤren denn auch die Wiederholungen, da man in gantzen Strophen die erſten Zeilen und Woͤrter am Ende derſelben noch einmahl brauchet, welches ſonderlich in Mu- ſicaliſchen Stuͤcken angenehm faͤllt. Jch will aus Beſſern p. 425. folgendes Exempel geben, wo wegen des Wohlklan- ges noch viel andre Wiederholungen vorkommen. Sey froh! ſey froh! Eleonora, Sey froh! du neue Flora, Sey nunmehr gluͤcklicher nach uͤberſtrebtem Leide Der Himmel kroͤne dich mit ſteter Fruͤhlingsfreude, Die Blumen ſchuͤtten ſich zu allen Zeiten aus, Auf dich und dein erlauchtes Haus. Wir ehren dich, o neue Flora, Wir ehren dich Eleonora, Sey gluͤcklich neuerwehlte Flora, Eleonor’ Eleonora. Die IXte iſt die Verſtaͤrckung (Paronomaſia), wenn man zwar ein Wort oder eine Redensart, ſo ſchon da geweſen, wiederholt, aber mit einem Zuſatze, der noch einen beſon- dern Nachdruck verurſachet, z. E. wenn Canitz ſchreibt: Ein Baum wars, nur ein Baum dran ſolche Fruͤchte ſaßen, Die dort der erſte Menſch ſollt unbetaſtet laſſen. Uns aber iſt noch mehr zu halten auferlegt; Weil hier ein gantzer Wald ſo viel Verbotnes traͤgt. Hier iſt das Woͤrtchen nur eigentlich dasjenige, ſo den gan- tzen Nachdruck giebt, da ſonſt die Wiederholung hier ſehr kalt geweſen ſeyn wuͤrde. Jmgleichen wenn Opitz ſagt: Das Thier, das edle Thier, Das alle Thiere zwingt, der Erden Lob und Zier, Koͤmmt bloß und arm hieher. II. B. der Troſtg. wo gewiß dieſer Zuſatz, das edle Thier dem gantzen Satze ein weit groͤſſeres Gewicht giebt. Die Xte Figur iſt der Uberfluß, (Pleonaſmus) wenn man viel mehr ſagt, als noͤthig iſt. Sie entſteht wiederum aus der

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Zitationshilfe: Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730, S. 266. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/294>, abgerufen am 25.11.2024.