stein die Sonne den Almosenmeister Gottes, den Menschen eine Mappe dieses grossen Alles nennet, und hernach bald der göttlichen Vorsehung in die Speichen tritt, bald die Deichsel dem Vaterlande zukehret; So sind dieses lauter unverständliche Rätzel, welche man nicht errathen würde, wenn nicht theils ausdrücklich darbey stünde, was sie bedeu- ten sollten, theils aber der Zusammenhang solches zeigte. S. dessen Rede auf den Herrn v. Hofmannsw. Dieses alles zeiget meines Erachtens, wie nöthig es sey, bey dem verblümten Ausdrucke seiner Gedancken vor allen Dingen auf die Deutlichkeit zu sehen, und sich ja nicht durch den Schein einer falschen Hoheit in das Phöbus oder Galima- tias stürtzen zu lassen.
Nichts ist übrig, als daß ich versprochenermaßen noch zeige, was vor Versetzungen der Wörter in unsrer Spra- che, der Deutlichkeit unbeschadet, noch möglich sind; und was vor eine Zierde die poetische Schreibart davon bekom- me. Man bildet sich insgemein ein, die guten Poeten folgten der ungebundnen Wortfügung aufs allergenaueste: allein ich habe das Gegentheil bemercket und wahrgenom- men, daß sie viele neue und offt recht verwegene Verse- tzungen machen, die zwar ungewöhnlich aber doch nicht un- richtig klingen, und also überaus anmuthig zu lesen sind. Sonderlich habe ich diese Kühnheit an den Meistern in O- den wahrgenommen, darunter ich Opitzen, Dachen, Flem- mingen, Tscherningen, Kaldenbachen, Francken, Amthorn und Günthern nennen kan. Die Exempel, so ich aus ihnen anführen will, werden sattsam zeigen, wie edel der poetische Ausdruck dadurch werde: weit gefehlt, daß er entweder unrichtig oder dunckel davon werden sollte. Wenn Opitz sagen will: Grüne wohl, du starcke Raute, dieses Gifft der Zeiten weiche deinen süßen Bitterkeiten, welche nichts bezwingen soll; so kehrt ers um, und singt II. B. P. W. viel munterer also:
Starcke Raute, grüne wohl! Deinen süssen Bitterkeiten, Welche nichts bezwingen soll, Weiche dieses Gifft der Zeiten,
Dieses
Von poetiſchen Perioden und ihren Zierrathen.
ſtein die Sonne den Almoſenmeiſter Gottes, den Menſchen eine Mappe dieſes groſſen Alles nennet, und hernach bald der goͤttlichen Vorſehung in die Speichen tritt, bald die Deichſel dem Vaterlande zukehret; So ſind dieſes lauter unverſtaͤndliche Raͤtzel, welche man nicht errathen wuͤrde, wenn nicht theils ausdruͤcklich darbey ſtuͤnde, was ſie bedeu- ten ſollten, theils aber der Zuſammenhang ſolches zeigte. S. deſſen Rede auf den Herrn v. Hofmannsw. Dieſes alles zeiget meines Erachtens, wie noͤthig es ſey, bey dem verbluͤmten Ausdrucke ſeiner Gedancken vor allen Dingen auf die Deutlichkeit zu ſehen, und ſich ja nicht durch den Schein einer falſchen Hoheit in das Phoͤbus oder Galima- tias ſtuͤrtzen zu laſſen.
Nichts iſt uͤbrig, als daß ich verſprochenermaßen noch zeige, was vor Verſetzungen der Woͤrter in unſrer Spra- che, der Deutlichkeit unbeſchadet, noch moͤglich ſind; und was vor eine Zierde die poetiſche Schreibart davon bekom- me. Man bildet ſich insgemein ein, die guten Poeten folgten der ungebundnen Wortfuͤgung aufs allergenaueſte: allein ich habe das Gegentheil bemercket und wahrgenom- men, daß ſie viele neue und offt recht verwegene Verſe- tzungen machen, die zwar ungewoͤhnlich aber doch nicht un- richtig klingen, und alſo uͤberaus anmuthig zu leſen ſind. Sonderlich habe ich dieſe Kuͤhnheit an den Meiſtern in O- den wahrgenommen, darunter ich Opitzen, Dachen, Flem- mingen, Tſcherningen, Kaldenbachen, Francken, Amthorn und Guͤnthern nennen kan. Die Exempel, ſo ich aus ihnen anfuͤhren will, werden ſattſam zeigen, wie edel der poetiſche Ausdruck dadurch werde: weit gefehlt, daß er entweder unrichtig oder dunckel davon werden ſollte. Wenn Opitz ſagen will: Gruͤne wohl, du ſtarcke Raute, dieſes Gifft der Zeiten weiche deinen ſuͤßen Bitterkeiten, welche nichts bezwingen ſoll; ſo kehrt ers um, und ſingt II. B. P. W. viel munterer alſo:
Starcke Raute, gruͤne wohl! Deinen ſuͤſſen Bitterkeiten, Welche nichts bezwingen ſoll, Weiche dieſes Gifft der Zeiten,
Dieſes
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Von poetiſchen Perioden und ihren Zierrathen.
ſtein die Sonne den Almoſenmeiſter Gottes, den Menſchen
eine Mappe dieſes groſſen Alles nennet, und hernach bald
der goͤttlichen Vorſehung in die Speichen tritt, bald die
Deichſel dem Vaterlande zukehret; So ſind dieſes lauter
unverſtaͤndliche Raͤtzel, welche man nicht errathen wuͤrde,
wenn nicht theils ausdruͤcklich darbey ſtuͤnde, was ſie bedeu-
ten ſollten, theils aber der Zuſammenhang ſolches zeigte.
S. deſſen Rede auf den Herrn v. Hofmannsw. Dieſes
alles zeiget meines Erachtens, wie noͤthig es ſey, bey dem
verbluͤmten Ausdrucke ſeiner Gedancken vor allen Dingen
auf die Deutlichkeit zu ſehen, und ſich ja nicht durch den
Schein einer falſchen Hoheit in das Phoͤbus oder Galima-
tias ſtuͤrtzen zu laſſen.
Nichts iſt uͤbrig, als daß ich verſprochenermaßen noch
zeige, was vor Verſetzungen der Woͤrter in unſrer Spra-
che, der Deutlichkeit unbeſchadet, noch moͤglich ſind; und
was vor eine Zierde die poetiſche Schreibart davon bekom-
me. Man bildet ſich insgemein ein, die guten Poeten
folgten der ungebundnen Wortfuͤgung aufs allergenaueſte:
allein ich habe das Gegentheil bemercket und wahrgenom-
men, daß ſie viele neue und offt recht verwegene Verſe-
tzungen machen, die zwar ungewoͤhnlich aber doch nicht un-
richtig klingen, und alſo uͤberaus anmuthig zu leſen ſind.
Sonderlich habe ich dieſe Kuͤhnheit an den Meiſtern in O-
den wahrgenommen, darunter ich Opitzen, Dachen, Flem-
mingen, Tſcherningen, Kaldenbachen, Francken, Amthorn
und Guͤnthern nennen kan. Die Exempel, ſo ich aus ihnen
anfuͤhren will, werden ſattſam zeigen, wie edel der poetiſche
Ausdruck dadurch werde: weit gefehlt, daß er entweder
unrichtig oder dunckel davon werden ſollte. Wenn Opitz
ſagen will: Gruͤne wohl, du ſtarcke Raute, dieſes Gifft
der Zeiten weiche deinen ſuͤßen Bitterkeiten, welche nichts
bezwingen ſoll; ſo kehrt ers um, und ſingt II. B. P. W.
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Starcke Raute, gruͤne wohl!
Deinen ſuͤſſen Bitterkeiten,
Welche nichts bezwingen ſoll,
Weiche dieſes Gifft der Zeiten,
Dieſes
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Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730, S. 251. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/279>, abgerufen am 25.11.2024.
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