Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730.Von poetischen Perioden und ihren Zierrathen. statt haben, und ohne dieselbe würde ein Poet kein Lob ver-dienen. Es entsteht sonst die Deutlichkeit aus Wörtern und Redensarten, die jedermann geläufig und bekannt sind, auch in ihrem natürlichen und eigentlichen Verstande ge- braucht werden: sodann aber auch aus einer ordentlichen und gewöhnlichen Wortfügung, die der Art einer jeden Sprache gemäß ist. Wären aber diese Stücke zur Deut- lichkeit eines Satzes gantz unentbehrlich; so würde folgen, daß ein Poet entweder keine neue Wörter, verblümte Re- densarten und neue Wortfügungen machen müsse, oder daß er unmöglich deutlich würde schreiben können. Denn wir haben schon oben gewiesen, daß man in gebundner Rede nicht die gemeinsten und bekanntesten, sondern ungemeine, zuweilen auch alte, zuweilen gar neu-zusammengesetzte Wörter, und viel verblümte Redensarten anbringen solle; um edler und erhabner als ein prosaischer Scribent zu schrei- ben. Und wir werden bald hören, daß man auch in der Wortfügung viel Neuerungen wagen könne, um sich da- durch von der gemeinen Art zu reden zu entfernen. Allein bey diesem allen kan die Deutlichkeit gar wohl bestehen. Ein Wort kan gar wohl verständlich seyn, wenn es gleich nicht von dem Pöbel täglich gebraucht wird. Ein altes Wort ist auch nicht allemahl unverständlich; wenigstens kan es durch den Zusammenhang gantz deutlich werden. Neuge- machte Wörter sind auch sehr wohl zu verstehen, wenn sie nur aus bekannten regelmäßig zusammen gesetzt; und nach der Aehnlichkeit unsrer Mundart eingerichtet worden. Die verblümten Redensarten, wenn sie glücklich ausgesonnen werden, geben dem Verstande noch mehr Licht, als die ei- gentlichen, wenn man sie nur nicht gar zu häufig brauchet. Denn Aristoteles in seiner Poetic hat ausdrücklich ange- merckt, daß aus gar zu vielen Metaphoren Rätzel ent- stehen. Zuweilen werden bey dem Scheine der grösten Deut- nebst Q 5
Von poetiſchen Perioden und ihren Zierrathen. ſtatt haben, und ohne dieſelbe wuͤrde ein Poet kein Lob ver-dienen. Es entſteht ſonſt die Deutlichkeit aus Woͤrtern und Redensarten, die jedermann gelaͤufig und bekannt ſind, auch in ihrem natuͤrlichen und eigentlichen Verſtande ge- braucht werden: ſodann aber auch aus einer ordentlichen und gewoͤhnlichen Wortfuͤgung, die der Art einer jeden Sprache gemaͤß iſt. Waͤren aber dieſe Stuͤcke zur Deut- lichkeit eines Satzes gantz unentbehrlich; ſo wuͤrde folgen, daß ein Poet entweder keine neue Woͤrter, verbluͤmte Re- densarten und neue Wortfuͤgungen machen muͤſſe, oder daß er unmoͤglich deutlich wuͤrde ſchreiben koͤnnen. Denn wir haben ſchon oben gewieſen, daß man in gebundner Rede nicht die gemeinſten und bekannteſten, ſondern ungemeine, zuweilen auch alte, zuweilen gar neu-zuſammengeſetzte Woͤrter, und viel verbluͤmte Redensarten anbringen ſolle; um edler und erhabner als ein proſaiſcher Scribent zu ſchrei- ben. Und wir werden bald hoͤren, daß man auch in der Wortfuͤgung viel Neuerungen wagen koͤnne, um ſich da- durch von der gemeinen Art zu reden zu entfernen. Allein bey dieſem allen kan die Deutlichkeit gar wohl beſtehen. Ein Wort kan gar wohl verſtaͤndlich ſeyn, wenn es gleich nicht von dem Poͤbel taͤglich gebraucht wird. Ein altes Wort iſt auch nicht allemahl unverſtaͤndlich; wenigſtens kan es durch den Zuſammenhang gantz deutlich werden. Neuge- machte Woͤrter ſind auch ſehr wohl zu verſtehen, wenn ſie nur aus bekannten regelmaͤßig zuſammen geſetzt; und nach der Aehnlichkeit unſrer Mundart eingerichtet worden. Die verbluͤmten Redensarten, wenn ſie gluͤcklich ausgeſonnen werden, geben dem Verſtande noch mehr Licht, als die ei- gentlichen, wenn man ſie nur nicht gar zu haͤufig brauchet. Denn Ariſtoteles in ſeiner Poetic hat ausdruͤcklich ange- merckt, daß aus gar zu vielen Metaphoren Raͤtzel ent- ſtehen. Zuweilen werden bey dem Scheine der groͤſten Deut- nebſt Q 5
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Von poetiſchen Perioden und ihren Zierrathen.
ſtatt haben, und ohne dieſelbe wuͤrde ein Poet kein Lob ver-
dienen. Es entſteht ſonſt die Deutlichkeit aus Woͤrtern
und Redensarten, die jedermann gelaͤufig und bekannt ſind,
auch in ihrem natuͤrlichen und eigentlichen Verſtande ge-
braucht werden: ſodann aber auch aus einer ordentlichen
und gewoͤhnlichen Wortfuͤgung, die der Art einer jeden
Sprache gemaͤß iſt. Waͤren aber dieſe Stuͤcke zur Deut-
lichkeit eines Satzes gantz unentbehrlich; ſo wuͤrde folgen,
daß ein Poet entweder keine neue Woͤrter, verbluͤmte Re-
densarten und neue Wortfuͤgungen machen muͤſſe, oder daß
er unmoͤglich deutlich wuͤrde ſchreiben koͤnnen. Denn wir
haben ſchon oben gewieſen, daß man in gebundner Rede
nicht die gemeinſten und bekannteſten, ſondern ungemeine,
zuweilen auch alte, zuweilen gar neu-zuſammengeſetzte
Woͤrter, und viel verbluͤmte Redensarten anbringen ſolle;
um edler und erhabner als ein proſaiſcher Scribent zu ſchrei-
ben. Und wir werden bald hoͤren, daß man auch in der
Wortfuͤgung viel Neuerungen wagen koͤnne, um ſich da-
durch von der gemeinen Art zu reden zu entfernen. Allein
bey dieſem allen kan die Deutlichkeit gar wohl beſtehen. Ein
Wort kan gar wohl verſtaͤndlich ſeyn, wenn es gleich nicht
von dem Poͤbel taͤglich gebraucht wird. Ein altes Wort
iſt auch nicht allemahl unverſtaͤndlich; wenigſtens kan es
durch den Zuſammenhang gantz deutlich werden. Neuge-
machte Woͤrter ſind auch ſehr wohl zu verſtehen, wenn ſie
nur aus bekannten regelmaͤßig zuſammen geſetzt; und nach
der Aehnlichkeit unſrer Mundart eingerichtet worden. Die
verbluͤmten Redensarten, wenn ſie gluͤcklich ausgeſonnen
werden, geben dem Verſtande noch mehr Licht, als die ei-
gentlichen, wenn man ſie nur nicht gar zu haͤufig brauchet.
Denn Ariſtoteles in ſeiner Poetic hat ausdruͤcklich ange-
merckt, daß aus gar zu vielen Metaphoren Raͤtzel ent-
ſtehen.
Zuweilen werden bey dem Scheine der groͤſten Deut-
lichkeit die verbluͤmten Redensarten ſo wunderlich durch ein-
ander geflochten; daß ſie gar nicht verſtanden werden koͤn-
nen. Z. E. Beſſer in einem Singeſpiel laͤßt den Mars, der
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