Bracht deren gar ein grosse Zahl Für die Kriegs-Obersten zumahl, Von Golt und Silber auch ein Kron Apollinis des GOttes fron Ein güldin Scepter in der Hand Ersucht die Griechen mit Verstand Fürnehmlich Agamemnonem Und Menelaum gantz beqvem Die beyde König hochgeborn Des Atrei Söhn auserkorn Als hochverständig und großmütig Fieng an und sprach mit Worten gütig Jhr beyde Fürsten hochgedacht Und auch der Griechen grosse Macht etc.
Jch müste noch gantze Seiten ausschreiben, wenn ich hier ein Ende finden wollte: so gar hängt alles an einander, daß man nirgends stille halten oder aufhören kan. Es hat aber auch unter neuern Poeten Leute gegeben, die nicht anders geschrieben haben, als ob der Periodus in Versen ein ver- botenes Kunststück wäre. Sonderlich in den ungemischten Alexandrinischen Versen halten es einige nicht nur vor er- laubt, sondern wohl gar vor eine Schönheit, wenn sie alles an einander hengen, und wohl dreyßig ja vierzig lange Zei- len wegschreiben, darinne man nirgend stille stehen kan, wo man nicht durch das Athemholen den Zusammenhang der Worte und Gedancken unterbrechen will. Eine solche Schreibart nun ist in ungebundener Rede schon verwerflich, viel weniger wird sie sich vor einen guten Poeten schicken, der noch körnigter, nachdrücklicher und kräftiger schreiben soll als ein Redner. Die grosse Weitläuftigkeit ist ein Zeichen schlecht verdaueter Gedancken, und übel gefaßter Ausdrü- ckungen. Sie macht die deutlichste Sache dunckel, und den besten Leser matt und müde. Seine Gedancken wer- den mit gar zu vielen Dingen überhäuft, und wenn er hofft, daß ihm die folgende Zeile den völligen Sinn des Satzes entdecken werde, so wird er von neuem aus einem Laby- rinthe in den andern gestürtzet, daraus er nicht eher, als nach unzehligen Umschweifen den Ausgang finden kan. Wenn man denn endlich an einen Ruhe-Punct gekommen ist, so
weiß
Das IX. Capitel
Bracht deren gar ein groſſe Zahl Fuͤr die Kriegs-Oberſten zumahl, Von Golt und Silber auch ein Kron Apollinis des GOttes fron Ein guͤldin Scepter in der Hand Erſucht die Griechen mit Verſtand Fuͤrnehmlich Agamemnonem Und Menelaum gantz beqvem Die beyde Koͤnig hochgeborn Des Atrei Soͤhn auserkorn Als hochverſtaͤndig und großmuͤtig Fieng an und ſprach mit Worten guͤtig Jhr beyde Fuͤrſten hochgedacht Und auch der Griechen groſſe Macht ꝛc.
Jch muͤſte noch gantze Seiten ausſchreiben, wenn ich hier ein Ende finden wollte: ſo gar haͤngt alles an einander, daß man nirgends ſtille halten oder aufhoͤren kan. Es hat aber auch unter neuern Poeten Leute gegeben, die nicht anders geſchrieben haben, als ob der Periodus in Verſen ein ver- botenes Kunſtſtuͤck waͤre. Sonderlich in den ungemiſchten Alexandriniſchen Verſen halten es einige nicht nur vor er- laubt, ſondern wohl gar vor eine Schoͤnheit, wenn ſie alles an einander hengen, und wohl dreyßig ja vierzig lange Zei- len wegſchreiben, darinne man nirgend ſtille ſtehen kan, wo man nicht durch das Athemholen den Zuſammenhang der Worte und Gedancken unterbrechen will. Eine ſolche Schreibart nun iſt in ungebundener Rede ſchon verwerflich, viel weniger wird ſie ſich vor einen guten Poeten ſchicken, der noch koͤrnigter, nachdruͤcklicher und kraͤftiger ſchreiben ſoll als ein Redner. Die groſſe Weitlaͤuftigkeit iſt ein Zeichen ſchlecht verdaueter Gedancken, und uͤbel gefaßter Ausdruͤ- ckungen. Sie macht die deutlichſte Sache dunckel, und den beſten Leſer matt und muͤde. Seine Gedancken wer- den mit gar zu vielen Dingen uͤberhaͤuft, und wenn er hofft, daß ihm die folgende Zeile den voͤlligen Sinn des Satzes entdecken werde, ſo wird er von neuem aus einem Laby- rinthe in den andern geſtuͤrtzet, daraus er nicht eher, als nach unzehligen Umſchweifen den Ausgang finden kan. Wenn man denn endlich an einen Ruhe-Punct gekommen iſt, ſo
weiß
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Das IX. Capitel
Bracht deren gar ein groſſe Zahl
Fuͤr die Kriegs-Oberſten zumahl,
Von Golt und Silber auch ein Kron
Apollinis des GOttes fron
Ein guͤldin Scepter in der Hand
Erſucht die Griechen mit Verſtand
Fuͤrnehmlich Agamemnonem
Und Menelaum gantz beqvem
Die beyde Koͤnig hochgeborn
Des Atrei Soͤhn auserkorn
Als hochverſtaͤndig und großmuͤtig
Fieng an und ſprach mit Worten guͤtig
Jhr beyde Fuͤrſten hochgedacht
Und auch der Griechen groſſe Macht ꝛc.
Jch muͤſte noch gantze Seiten ausſchreiben, wenn ich hier
ein Ende finden wollte: ſo gar haͤngt alles an einander, daß
man nirgends ſtille halten oder aufhoͤren kan. Es hat aber
auch unter neuern Poeten Leute gegeben, die nicht anders
geſchrieben haben, als ob der Periodus in Verſen ein ver-
botenes Kunſtſtuͤck waͤre. Sonderlich in den ungemiſchten
Alexandriniſchen Verſen halten es einige nicht nur vor er-
laubt, ſondern wohl gar vor eine Schoͤnheit, wenn ſie alles
an einander hengen, und wohl dreyßig ja vierzig lange Zei-
len wegſchreiben, darinne man nirgend ſtille ſtehen kan, wo
man nicht durch das Athemholen den Zuſammenhang der
Worte und Gedancken unterbrechen will. Eine ſolche
Schreibart nun iſt in ungebundener Rede ſchon verwerflich,
viel weniger wird ſie ſich vor einen guten Poeten ſchicken, der
noch koͤrnigter, nachdruͤcklicher und kraͤftiger ſchreiben ſoll
als ein Redner. Die groſſe Weitlaͤuftigkeit iſt ein Zeichen
ſchlecht verdaueter Gedancken, und uͤbel gefaßter Ausdruͤ-
ckungen. Sie macht die deutlichſte Sache dunckel, und
den beſten Leſer matt und muͤde. Seine Gedancken wer-
den mit gar zu vielen Dingen uͤberhaͤuft, und wenn er hofft,
daß ihm die folgende Zeile den voͤlligen Sinn des Satzes
entdecken werde, ſo wird er von neuem aus einem Laby-
rinthe in den andern geſtuͤrtzet, daraus er nicht eher, als
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Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730, S. 238. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/266>, abgerufen am 24.11.2024.
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