Auch Phöbus und sein Chor, die müssen wieder Willen, Sich traurig, ohne Trost, in Flor und Boy verhüllen. Mehr Götter sieht man offt auf solchem Zettel stehn, Als Bürger in der That mit zu der Leiche gehn.
Auf diese und dergleichen unzeitige Vergrößerung der Ge- dancken nun kommt hauptsächlich derjenige Fehler der poeti- schen Schreibart an, den man das Phöbus oder den Schwulst zu nennen pflegt. Die Franzosen haben diesen Nahmen, einer schwülstigen Art des Ausdruckes, so viel mir wissend ist, zuerst beygelegt, und die Engelländer nennen die- selbe einen Bombast. Mit diesem Fehler ist sehr nahe, das von vorerwehnten Nationen sogenannte Galimatias, oder Non- sens verwandt, welches nichts anders ist, als eine ungereimte und unverständliche Vermischung wiedereinanderlaufen- der verblümten Redensarten, aus welchen es zuweilen un- möglich ist, einen Verstand herauszubringen. Von unsern Deutschen hat, wie mich dünckt, Christian Gryphius zuerst den Ubelstand dieses Fehlers an unsern Poeten, sonderlich sei- nen eigenen Landesleuten, Lohenstein und Hofmanns-Wal- dau wahrgenommen, und die Quellen desselben in der Nach- äffung der Jtaliener und Spanier gefunden. Er sagt aus- drücklich in der Vorrede seiner poetischen Wälder: "Jch "weiß wohl, daß viele unsrer Landsleute den heutigen Wel- "schen und Spaniern unzeitig nachäffen, und sich mit ihren "nicht selten mercklich-abschießenden Farben ausputzen. "Wenn aber die ehrlichen Leute ja nicht, wie es doch wohl "seyn sollte, bey den alten Griechen und Römern in die Schu- "le gehen, und von ihnen etwas lernen möchten; so würde es "doch zum wenigsten gar wohl gethan seyn, wenn sie die reine "und doch zugleich hohe Schreibart, derer sich die Welschen "im vergangenen Jahrhundert, und noch itzt die Franzosen "bedienen, etwas mehr in acht nähmen, und vielmehr den "rechten Verstand einer Sache, als zwar köstlich lautende "aber vielmahls wenig oder nichts bedeutende Worte, und den "hieraus entspringenden Mischmasch, welchen man in "Franckreich Galimatias und Phöbus zu heißen pflegt, be- "liebten.
Gry-
Das VIII. Capitel
Auch Phoͤbus und ſein Chor, die muͤſſen wieder Willen, Sich traurig, ohne Troſt, in Flor und Boy verhuͤllen. Mehr Goͤtter ſieht man offt auf ſolchem Zettel ſtehn, Als Buͤrger in der That mit zu der Leiche gehn.
Auf dieſe und dergleichen unzeitige Vergroͤßerung der Ge- dancken nun kommt hauptſaͤchlich derjenige Fehler der poeti- ſchen Schreibart an, den man das Phoͤbus oder den Schwulſt zu nennen pflegt. Die Franzoſen haben dieſen Nahmen, einer ſchwuͤlſtigen Art des Ausdruckes, ſo viel mir wiſſend iſt, zuerſt beygelegt, und die Engellaͤnder nennen die- ſelbe einen Bombaſt. Mit dieſem Fehler iſt ſehr nahe, das von vorerwehnten Nationen ſogenannte Galimatias, oder Non- ſens verwandt, welches nichts anders iſt, als eine ungereimte und unverſtaͤndliche Vermiſchung wiedereinanderlaufen- der verbluͤmten Redensarten, aus welchen es zuweilen un- moͤglich iſt, einen Verſtand herauszubringen. Von unſern Deutſchen hat, wie mich duͤnckt, Chriſtian Gryphius zuerſt den Ubelſtand dieſes Fehlers an unſern Poeten, ſonderlich ſei- nen eigenen Landesleuten, Lohenſtein und Hofmanns-Wal- dau wahrgenommen, und die Quellen deſſelben in der Nach- aͤffung der Jtaliener und Spanier gefunden. Er ſagt aus- druͤcklich in der Vorrede ſeiner poetiſchen Waͤlder: „Jch „weiß wohl, daß viele unſrer Landsleute den heutigen Wel- „ſchen und Spaniern unzeitig nachaͤffen, und ſich mit ihren „nicht ſelten mercklich-abſchießenden Farben ausputzen. „Wenn aber die ehrlichen Leute ja nicht, wie es doch wohl „ſeyn ſollte, bey den alten Griechen und Roͤmern in die Schu- „le gehen, und von ihnen etwas lernen moͤchten; ſo wuͤrde es „doch zum wenigſten gar wohl gethan ſeyn, wenn ſie die reine „und doch zugleich hohe Schreibart, derer ſich die Welſchen „im vergangenen Jahrhundert, und noch itzt die Franzoſen „bedienen, etwas mehr in acht naͤhmen, und vielmehr den „rechten Verſtand einer Sache, als zwar koͤſtlich lautende „aber vielmahls wenig oder nichts bedeutende Worte, und den „hieraus entſpringenden Miſchmaſch, welchen man in „Franckreich Galimatias und Phoͤbus zu heißen pflegt, be- „liebten.
Gry-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><cit><quote><lgtype="poem"><pbfacs="#f0256"n="228"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">Das <hirendition="#aq">VIII.</hi> Capitel</hi></fw><lb/><l><hirendition="#aq">Auch Phoͤbus und ſein Chor, die muͤſſen wieder Willen,</hi></l><lb/><l><hirendition="#aq">Sich traurig, ohne Troſt, in Flor und Boy verhuͤllen.</hi></l><lb/><l><hirendition="#aq">Mehr Goͤtter ſieht man offt auf ſolchem Zettel ſtehn,</hi></l><lb/><l><hirendition="#aq">Als Buͤrger in der That mit zu der Leiche gehn.</hi></l></lg></quote></cit><lb/><p>Auf dieſe und dergleichen unzeitige Vergroͤßerung der Ge-<lb/>
dancken nun kommt hauptſaͤchlich derjenige Fehler der poeti-<lb/>ſchen Schreibart an, den man das Phoͤbus oder den<lb/>
Schwulſt zu nennen pflegt. Die Franzoſen haben dieſen<lb/>
Nahmen, einer ſchwuͤlſtigen Art des Ausdruckes, ſo viel mir<lb/>
wiſſend iſt, zuerſt beygelegt, und die Engellaͤnder nennen die-<lb/>ſelbe einen Bombaſt. Mit dieſem Fehler iſt ſehr nahe, das von<lb/>
vorerwehnten Nationen ſogenannte Galimatias, oder Non-<lb/>ſens verwandt, welches nichts anders iſt, als eine ungereimte<lb/>
und unverſtaͤndliche Vermiſchung wiedereinanderlaufen-<lb/>
der verbluͤmten Redensarten, aus welchen es zuweilen un-<lb/>
moͤglich iſt, einen Verſtand herauszubringen. Von unſern<lb/>
Deutſchen hat, wie mich duͤnckt, Chriſtian Gryphius zuerſt<lb/>
den Ubelſtand dieſes Fehlers an unſern Poeten, ſonderlich ſei-<lb/>
nen eigenen Landesleuten, Lohenſtein und Hofmanns-Wal-<lb/>
dau wahrgenommen, und die Quellen deſſelben in der Nach-<lb/>
aͤffung der Jtaliener und Spanier gefunden. Er ſagt aus-<lb/>
druͤcklich in der Vorrede ſeiner poetiſchen Waͤlder: „Jch<lb/>„weiß wohl, daß viele unſrer Landsleute den heutigen Wel-<lb/>„ſchen und Spaniern unzeitig nachaͤffen, und ſich mit ihren<lb/>„nicht ſelten mercklich-abſchießenden Farben ausputzen.<lb/>„Wenn aber die ehrlichen Leute ja nicht, wie es doch wohl<lb/>„ſeyn ſollte, bey den alten Griechen und Roͤmern in die Schu-<lb/>„le gehen, und von ihnen etwas lernen moͤchten; ſo wuͤrde es<lb/>„doch zum wenigſten gar wohl gethan ſeyn, wenn ſie die reine<lb/>„und doch zugleich hohe Schreibart, derer ſich die Welſchen<lb/>„im vergangenen Jahrhundert, und noch itzt die Franzoſen<lb/>„bedienen, etwas mehr in acht naͤhmen, und vielmehr den<lb/>„rechten Verſtand einer Sache, als zwar koͤſtlich lautende<lb/>„aber vielmahls wenig oder nichts bedeutende Worte, und den<lb/>„hieraus entſpringenden <hirendition="#fr">Miſchmaſch,</hi> welchen man in<lb/>„Franckreich <hirendition="#fr">Galimatias</hi> und <hirendition="#fr">Phoͤbus</hi> zu heißen pflegt, be-<lb/>„liebten.</p><lb/><fwplace="bottom"type="catch">Gry-</fw><lb/></div></div></body></text></TEI>
[228/0256]
Das VIII. Capitel
Auch Phoͤbus und ſein Chor, die muͤſſen wieder Willen,
Sich traurig, ohne Troſt, in Flor und Boy verhuͤllen.
Mehr Goͤtter ſieht man offt auf ſolchem Zettel ſtehn,
Als Buͤrger in der That mit zu der Leiche gehn.
Auf dieſe und dergleichen unzeitige Vergroͤßerung der Ge-
dancken nun kommt hauptſaͤchlich derjenige Fehler der poeti-
ſchen Schreibart an, den man das Phoͤbus oder den
Schwulſt zu nennen pflegt. Die Franzoſen haben dieſen
Nahmen, einer ſchwuͤlſtigen Art des Ausdruckes, ſo viel mir
wiſſend iſt, zuerſt beygelegt, und die Engellaͤnder nennen die-
ſelbe einen Bombaſt. Mit dieſem Fehler iſt ſehr nahe, das von
vorerwehnten Nationen ſogenannte Galimatias, oder Non-
ſens verwandt, welches nichts anders iſt, als eine ungereimte
und unverſtaͤndliche Vermiſchung wiedereinanderlaufen-
der verbluͤmten Redensarten, aus welchen es zuweilen un-
moͤglich iſt, einen Verſtand herauszubringen. Von unſern
Deutſchen hat, wie mich duͤnckt, Chriſtian Gryphius zuerſt
den Ubelſtand dieſes Fehlers an unſern Poeten, ſonderlich ſei-
nen eigenen Landesleuten, Lohenſtein und Hofmanns-Wal-
dau wahrgenommen, und die Quellen deſſelben in der Nach-
aͤffung der Jtaliener und Spanier gefunden. Er ſagt aus-
druͤcklich in der Vorrede ſeiner poetiſchen Waͤlder: „Jch
„weiß wohl, daß viele unſrer Landsleute den heutigen Wel-
„ſchen und Spaniern unzeitig nachaͤffen, und ſich mit ihren
„nicht ſelten mercklich-abſchießenden Farben ausputzen.
„Wenn aber die ehrlichen Leute ja nicht, wie es doch wohl
„ſeyn ſollte, bey den alten Griechen und Roͤmern in die Schu-
„le gehen, und von ihnen etwas lernen moͤchten; ſo wuͤrde es
„doch zum wenigſten gar wohl gethan ſeyn, wenn ſie die reine
„und doch zugleich hohe Schreibart, derer ſich die Welſchen
„im vergangenen Jahrhundert, und noch itzt die Franzoſen
„bedienen, etwas mehr in acht naͤhmen, und vielmehr den
„rechten Verſtand einer Sache, als zwar koͤſtlich lautende
„aber vielmahls wenig oder nichts bedeutende Worte, und den
„hieraus entſpringenden Miſchmaſch, welchen man in
„Franckreich Galimatias und Phoͤbus zu heißen pflegt, be-
„liebten.
Gry-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730, S. 228. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/256>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.