Viertens die Tugend oder das Laster, anstatt der Leute so sie ausüben, z. E. der Neid vor die Neider.
Der Neid vergifftet zwar das allerschönste Haus, Und die Verläumdung sticht die angenehmsten Früchte. Gryphius.
Fünftens die Gemüthsregung anstatt ihres Gegenstandes; als wenn man einen frölichen Tag seine Freude nennt:
Preis der Tage, Wunsch der Frommen, Meine Freude, sey willkommen! Dach.
Sechstens das vorhergehende vor das nachfolgende, z. E. Wenn ich sagte, bis die Sonne untergeht, anstatt zu sagen, bis es Nacht wird.
Bis der Gott der güldnen Gluten, Der die braunen Mohren brennt, Jn die hesperischen Fluthen, Freygelaßnes Zügels rennt. Flemming.
Siebendens, das nachfolgende anstatt des vorhergehenden, zum Ex. vor die warme Frühlingslufft, das was darauf er- folget.
Die erfreuten Heerden springen, Das verlebte Jahr wird jung, Die gelehrten Vögel singen, Wald und Feld ist auf den Sprung. Und die Schooß der alten Erden, Will aufs neue schwanger werden. Flemming.
Die dritte Gattung verblümter Redensarten heißt Synec- doche, auf deutsch nach Longolii Benennung ein Auszug, und hätte gar leicht unter der Metonymie können begriffen werden, wenn es nicht unsern Vorfahren anders gefallen hätte. Sie ist wiederum vielerley, denn man setzt entweder das Gantze vor den Theil; Z. E. Die Welt vor ein kleines Land in derselben.
Jhr, die des Höchsten Rath bestimmt, Der Welt mit Stahl und Bley zu dienen. Günther.
Oder den Theil vors gantze, als wenn ich den Hals vor die gantze Person setze.
Er
Das VIII. Capitel
Viertens die Tugend oder das Laſter, anſtatt der Leute ſo ſie ausuͤben, z. E. der Neid vor die Neider.
Der Neid vergifftet zwar das allerſchoͤnſte Haus, Und die Verlaͤumdung ſticht die angenehmſten Fruͤchte. Gryphius.
Fuͤnftens die Gemuͤthsregung anſtatt ihres Gegenſtandes; als wenn man einen froͤlichen Tag ſeine Freude nennt:
Preis der Tage, Wunſch der Frommen, Meine Freude, ſey willkommen! Dach.
Sechſtens das vorhergehende vor das nachfolgende, z. E. Wenn ich ſagte, bis die Sonne untergeht, anſtatt zu ſagen, bis es Nacht wird.
Bis der Gott der guͤldnen Gluten, Der die braunen Mohren brennt, Jn die heſperiſchen Fluthen, Freygelaßnes Zuͤgels rennt. Flemming.
Siebendens, das nachfolgende anſtatt des vorhergehenden, zum Ex. vor die warme Fruͤhlingslufft, das was darauf er- folget.
Die erfreuten Heerden ſpringen, Das verlebte Jahr wird jung, Die gelehrten Voͤgel ſingen, Wald und Feld iſt auf den Sprung. Und die Schooß der alten Erden, Will aufs neue ſchwanger werden. Flemming.
Die dritte Gattung verbluͤmter Redensarten heißt Synec- doche, auf deutſch nach Longolii Benennung ein Auszug, und haͤtte gar leicht unter der Metonymie koͤnnen begriffen werden, wenn es nicht unſern Vorfahren anders gefallen haͤtte. Sie iſt wiederum vielerley, denn man ſetzt entweder das Gantze vor den Theil; Z. E. Die Welt vor ein kleines Land in derſelben.
Jhr, die des Hoͤchſten Rath beſtimmt, Der Welt mit Stahl und Bley zu dienen. Guͤnther.
Oder den Theil vors gantze, als wenn ich den Hals vor die gantze Perſon ſetze.
Er
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[224/0252]
Das VIII. Capitel
Viertens die Tugend oder das Laſter, anſtatt der Leute ſo ſie
ausuͤben, z. E. der Neid vor die Neider.
Der Neid vergifftet zwar das allerſchoͤnſte Haus,
Und die Verlaͤumdung ſticht die angenehmſten Fruͤchte.
Gryphius.
Fuͤnftens die Gemuͤthsregung anſtatt ihres Gegenſtandes;
als wenn man einen froͤlichen Tag ſeine Freude nennt:
Preis der Tage, Wunſch der Frommen,
Meine Freude, ſey willkommen! Dach.
Sechſtens das vorhergehende vor das nachfolgende, z. E.
Wenn ich ſagte, bis die Sonne untergeht, anſtatt zu ſagen,
bis es Nacht wird.
Bis der Gott der guͤldnen Gluten,
Der die braunen Mohren brennt,
Jn die heſperiſchen Fluthen,
Freygelaßnes Zuͤgels rennt. Flemming.
Siebendens, das nachfolgende anſtatt des vorhergehenden,
zum Ex. vor die warme Fruͤhlingslufft, das was darauf er-
folget.
Die erfreuten Heerden ſpringen,
Das verlebte Jahr wird jung,
Die gelehrten Voͤgel ſingen,
Wald und Feld iſt auf den Sprung.
Und die Schooß der alten Erden,
Will aufs neue ſchwanger werden. Flemming.
Die dritte Gattung verbluͤmter Redensarten heißt Synec-
doche, auf deutſch nach Longolii Benennung ein Auszug,
und haͤtte gar leicht unter der Metonymie koͤnnen begriffen
werden, wenn es nicht unſern Vorfahren anders gefallen
haͤtte. Sie iſt wiederum vielerley, denn man ſetzt entweder
das Gantze vor den Theil; Z. E. Die Welt vor ein kleines
Land in derſelben.
Jhr, die des Hoͤchſten Rath beſtimmt,
Der Welt mit Stahl und Bley zu dienen.
Guͤnther.
Oder den Theil vors gantze, als wenn ich den Hals vor die
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Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730, S. 224. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/252>, abgerufen am 22.11.2024.
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