sehen meynet, dem kan man seinen Geschmack wohl lassen; aber wer was wahres und gründliches dem scheinbaren vor- ziehen will und kan, der wird besser thun, wenn er alle diese Klapperwercke sorgfältig vermeidet. Die Exempel großer Leute, so sich zuweilen auf die Art vergangen, machens nicht aus. Man hat freylich in Virgils Schäfergedichten der- gleichen eins gefunden:
Dic quibus in terris, & eris mihi magnus Apollo, Tres pateat cacli spatium non amplius vlnas?
Dieses Rätzel besteht bloß in der Zweydeutigkeit des Worts caeli, welches entweder von Cälius herkommt, und also das Grab eines gewissen Caelii zu verstehen giebt: oder von Cae- lum ein Abfall ist, und also die Breite des Himmels andeu- tet. Cicero hat gleichfalls in einer Rede wieder den Verres, ein Gesetze, so dieses geitzigen Mannes Nahmen führete, weil es unter seinem Bürgermeisteramte gegeben war, Jus Verrinum genennet, und also vermittelst einer Zweydeutigkeit es eine Schweinsbrühe nennen wollen. Allein der Poet kan leicht damit entschuldiget werden, daß er sein Rätzel in den Mund eines einfältigen Schäfers leget, der auf dem Dorfe leicht etwas vor schön halten konnte, was doch Virgil selbst vor was schlechtes hielte. Der Redner aber ist seines Wort- spieles halber allbereit zu Quintilians Zeiten critisiret wor- den, wie aus dem Gespräche von den Ursachen der verfalle- nen Beredsamkeit erhellet. Siehe die Uebersetzung dessel- ben vor meiner Rede-Kunst p. 40. Von Opitzen und andern Poeten unsers Vaterlandes darf man mir also bestoweniger einen Einwurf machen. Jch weiß wohl, daß sie sich zuwei- len von dem verderbten Geschmacke ihrer Zeiten, gleichsam wieder ihren Willen hinreißen lassen. Jhr Exempel aber muß uns keine Regel machen: weil es mit keinen guten Gründen unterstützet ist. Wir folgen vielmehr der Für- schrifft des Boileau, der in seiner Dichtkunst ausdrücklich die Wortspiele verworfen hat. Denn er erzehlt, wie an- fänglich die Spitzfündigkeiten und zweydeutigen Worte aus Jtalien gekommen, und erstlich in die Sinngedichte, her- nach, da der Pöbel dadurch verblendet wurde, in Madriga-
len,
Das VII. Capitel
ſehen meynet, dem kan man ſeinen Geſchmack wohl laſſen; aber wer was wahres und gruͤndliches dem ſcheinbaren vor- ziehen will und kan, der wird beſſer thun, wenn er alle dieſe Klapperwercke ſorgfaͤltig vermeidet. Die Exempel großer Leute, ſo ſich zuweilen auf die Art vergangen, machens nicht aus. Man hat freylich in Virgils Schaͤfergedichten der- gleichen eins gefunden:
Dic quibus in terris, & eris mihi magnus Apollo, Tres pateat cacli ſpatium non amplius vlnas?
Dieſes Raͤtzel beſteht bloß in der Zweydeutigkeit des Worts caeli, welches entweder von Caͤlius herkommt, und alſo das Grab eines gewiſſen Caelii zu verſtehen giebt: oder von Cae- lum ein Abfall iſt, und alſo die Breite des Himmels andeu- tet. Cicero hat gleichfalls in einer Rede wieder den Verres, ein Geſetze, ſo dieſes geitzigen Mannes Nahmen fuͤhrete, weil es unter ſeinem Buͤrgermeiſteramte gegeben war, Jus Verrinum genennet, und alſo vermittelſt einer Zweydeutigkeit es eine Schweinsbruͤhe nennen wollen. Allein der Poet kan leicht damit entſchuldiget werden, daß er ſein Raͤtzel in den Mund eines einfaͤltigen Schaͤfers leget, der auf dem Dorfe leicht etwas vor ſchoͤn halten konnte, was doch Virgil ſelbſt vor was ſchlechtes hielte. Der Redner aber iſt ſeines Wort- ſpieles halber allbereit zu Quintilians Zeiten critiſiret wor- den, wie aus dem Geſpraͤche von den Urſachen der verfalle- nen Beredſamkeit erhellet. Siehe die Ueberſetzung deſſel- ben vor meiner Rede-Kunſt p. 40. Von Opitzen und andern Poeten unſers Vaterlandes darf man mir alſo beſtoweniger einen Einwurf machen. Jch weiß wohl, daß ſie ſich zuwei- len von dem verderbten Geſchmacke ihrer Zeiten, gleichſam wieder ihren Willen hinreißen laſſen. Jhr Exempel aber muß uns keine Regel machen: weil es mit keinen guten Gruͤnden unterſtuͤtzet iſt. Wir folgen vielmehr der Fuͤr- ſchrifft des Boileau, der in ſeiner Dichtkunſt ausdruͤcklich die Wortſpiele verworfen hat. Denn er erzehlt, wie an- faͤnglich die Spitzfuͤndigkeiten und zweydeutigen Worte aus Jtalien gekommen, und erſtlich in die Sinngedichte, her- nach, da der Poͤbel dadurch verblendet wurde, in Madriga-
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Das VII. Capitel
ſehen meynet, dem kan man ſeinen Geſchmack wohl laſſen;
aber wer was wahres und gruͤndliches dem ſcheinbaren vor-
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Klapperwercke ſorgfaͤltig vermeidet. Die Exempel großer
Leute, ſo ſich zuweilen auf die Art vergangen, machens nicht
aus. Man hat freylich in Virgils Schaͤfergedichten der-
gleichen eins gefunden:
Dic quibus in terris, & eris mihi magnus Apollo,
Tres pateat cacli ſpatium non amplius vlnas?
Dieſes Raͤtzel beſteht bloß in der Zweydeutigkeit des Worts
caeli, welches entweder von Caͤlius herkommt, und alſo das
Grab eines gewiſſen Caelii zu verſtehen giebt: oder von Cae-
lum ein Abfall iſt, und alſo die Breite des Himmels andeu-
tet. Cicero hat gleichfalls in einer Rede wieder den Verres,
ein Geſetze, ſo dieſes geitzigen Mannes Nahmen fuͤhrete,
weil es unter ſeinem Buͤrgermeiſteramte gegeben war, Jus
Verrinum genennet, und alſo vermittelſt einer Zweydeutigkeit
es eine Schweinsbruͤhe nennen wollen. Allein der Poet kan
leicht damit entſchuldiget werden, daß er ſein Raͤtzel in den
Mund eines einfaͤltigen Schaͤfers leget, der auf dem Dorfe
leicht etwas vor ſchoͤn halten konnte, was doch Virgil ſelbſt
vor was ſchlechtes hielte. Der Redner aber iſt ſeines Wort-
ſpieles halber allbereit zu Quintilians Zeiten critiſiret wor-
den, wie aus dem Geſpraͤche von den Urſachen der verfalle-
nen Beredſamkeit erhellet. Siehe die Ueberſetzung deſſel-
ben vor meiner Rede-Kunſt p. 40. Von Opitzen und andern
Poeten unſers Vaterlandes darf man mir alſo beſtoweniger
einen Einwurf machen. Jch weiß wohl, daß ſie ſich zuwei-
len von dem verderbten Geſchmacke ihrer Zeiten, gleichſam
wieder ihren Willen hinreißen laſſen. Jhr Exempel aber
muß uns keine Regel machen: weil es mit keinen guten
Gruͤnden unterſtuͤtzet iſt. Wir folgen vielmehr der Fuͤr-
ſchrifft des Boileau, der in ſeiner Dichtkunſt ausdruͤcklich
die Wortſpiele verworfen hat. Denn er erzehlt, wie an-
faͤnglich die Spitzfuͤndigkeiten und zweydeutigen Worte aus
Jtalien gekommen, und erſtlich in die Sinngedichte, her-
nach, da der Poͤbel dadurch verblendet wurde, in Madriga-
len,
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Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730, S. 210. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/238>, abgerufen am 24.11.2024.
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