lich daselbst an, und führet den tapfern Rainald bis ins Christliche Lager mit sich zurück. Aber zu was Ende? Die Zauberkunst muß diesen Helden so viel tausend Meilen weit zurückbringen, bloß weil ihn die Vorsehung bestimmet hat, etliche alte Bäume in einem von Gespenstern beunruhigten Walde zu fällen.
Jm Anfange befiehlt GOtt dem Ertzengel Michael die in der Lufft umher schwermenden Teufel in die Hölle zu stür- tzen, weil sie lauter Ungewitter machten, und ihm die Don- nerkeile allezeit den Mahometanern zum Besten auf die Chri- sten lencketen. Michael thut es, und verbietet ihnen, sich niemahls in die Händel der Christen zu mengen. Sogleich gehorsamen sie, und versencken sich in den Abgrund. Aber es dauret nicht lange. Der Zauberer Jsmeno hat mehr Gewalt als Michael. Denn auf seinen Winck kommen sie wieder heraus, und wissen den göttlichen Befehl durch ge- wisse künstliche Ausflüchte ungültig zu machen. Sie er- schrecken die Christen im Walde durch allerley fürchterliche Larven. Tancredi findet seine Clorinde in einer Fichte ver- zaubert, und durch den Hieb verwundet, den er dem Baume gegeben. Armide siehet dieses hinter einem Myrrthen-Ge- püsche zu, ob sie gleich zu der Zeit auch in Egypten ist; und der Poet berichtet uns gar nicht, wie auch die künstlichste Zau- berin an zweyen Orten zugleich seyn könne.
Ariost ein Landsmann des Tasso, hat denselben an selt- samen Unwahrscheinlichkeiten weit übertroffen, und zum we- nigsten dadurch verdienet, daß er von vielen Jtalienern dem- selben vorgezogen wird. Sein rasender Roland ist bekannt, und soll eben sowohl ein Heldengedicht heißen, als das be- freyte Jerusalem. Dieser Held, war aus Eifersucht über die schöne Angelica zum Narren geworden, weil sein Neben- buhler Medor glücklicher bey ihr gewesen als er. Astolph ein andrer Ritter befand sich eines Tages im irrdischen Pa- radiese, auf dem Gipfel eines hohen Berges, wohin ihn ein geflügelter Löwe getragen hatte. Daselbst traf er den heili- gen Johannes, welcher ihm zu wissen that, daß er den Ro- land von seiner Raserey zu befreyen, eine Reise nach dem
Mon-
Das VI. Capitel
lich daſelbſt an, und fuͤhret den tapfern Rainald bis ins Chriſtliche Lager mit ſich zuruͤck. Aber zu was Ende? Die Zauberkunſt muß dieſen Helden ſo viel tauſend Meilen weit zuruͤckbringen, bloß weil ihn die Vorſehung beſtimmet hat, etliche alte Baͤume in einem von Geſpenſtern beunruhigten Walde zu faͤllen.
Jm Anfange befiehlt GOtt dem Ertzengel Michael die in der Lufft umher ſchwermenden Teufel in die Hoͤlle zu ſtuͤr- tzen, weil ſie lauter Ungewitter machten, und ihm die Don- nerkeile allezeit den Mahometanern zum Beſten auf die Chri- ſten lencketen. Michael thut es, und verbietet ihnen, ſich niemahls in die Haͤndel der Chriſten zu mengen. Sogleich gehorſamen ſie, und verſencken ſich in den Abgrund. Aber es dauret nicht lange. Der Zauberer Jſmeno hat mehr Gewalt als Michael. Denn auf ſeinen Winck kommen ſie wieder heraus, und wiſſen den goͤttlichen Befehl durch ge- wiſſe kuͤnſtliche Ausfluͤchte unguͤltig zu machen. Sie er- ſchrecken die Chriſten im Walde durch allerley fuͤrchterliche Larven. Tancredi findet ſeine Clorinde in einer Fichte ver- zaubert, und durch den Hieb verwundet, den er dem Baume gegeben. Armide ſiehet dieſes hinter einem Myrrthen-Ge- puͤſche zu, ob ſie gleich zu der Zeit auch in Egypten iſt; und der Poet berichtet uns gar nicht, wie auch die kuͤnſtlichſte Zau- berin an zweyen Orten zugleich ſeyn koͤnne.
Arioſt ein Landsmann des Taſſo, hat denſelben an ſelt- ſamen Unwahrſcheinlichkeiten weit uͤbertroffen, und zum we- nigſten dadurch verdienet, daß er von vielen Jtalienern dem- ſelben vorgezogen wird. Sein raſender Roland iſt bekannt, und ſoll eben ſowohl ein Heldengedicht heißen, als das be- freyte Jeruſalem. Dieſer Held, war aus Eiferſucht uͤber die ſchoͤne Angelica zum Narren geworden, weil ſein Neben- buhler Medor gluͤcklicher bey ihr geweſen als er. Aſtolph ein andrer Ritter befand ſich eines Tages im irrdiſchen Pa- radieſe, auf dem Gipfel eines hohen Berges, wohin ihn ein gefluͤgelter Loͤwe getragen hatte. Daſelbſt traf er den heili- gen Johannes, welcher ihm zu wiſſen that, daß er den Ro- land von ſeiner Raſerey zu befreyen, eine Reiſe nach dem
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[174/0202]
Das VI. Capitel
lich daſelbſt an, und fuͤhret den tapfern Rainald bis ins
Chriſtliche Lager mit ſich zuruͤck. Aber zu was Ende? Die
Zauberkunſt muß dieſen Helden ſo viel tauſend Meilen weit
zuruͤckbringen, bloß weil ihn die Vorſehung beſtimmet hat,
etliche alte Baͤume in einem von Geſpenſtern beunruhigten
Walde zu faͤllen.
Jm Anfange befiehlt GOtt dem Ertzengel Michael die
in der Lufft umher ſchwermenden Teufel in die Hoͤlle zu ſtuͤr-
tzen, weil ſie lauter Ungewitter machten, und ihm die Don-
nerkeile allezeit den Mahometanern zum Beſten auf die Chri-
ſten lencketen. Michael thut es, und verbietet ihnen, ſich
niemahls in die Haͤndel der Chriſten zu mengen. Sogleich
gehorſamen ſie, und verſencken ſich in den Abgrund. Aber
es dauret nicht lange. Der Zauberer Jſmeno hat mehr
Gewalt als Michael. Denn auf ſeinen Winck kommen ſie
wieder heraus, und wiſſen den goͤttlichen Befehl durch ge-
wiſſe kuͤnſtliche Ausfluͤchte unguͤltig zu machen. Sie er-
ſchrecken die Chriſten im Walde durch allerley fuͤrchterliche
Larven. Tancredi findet ſeine Clorinde in einer Fichte ver-
zaubert, und durch den Hieb verwundet, den er dem Baume
gegeben. Armide ſiehet dieſes hinter einem Myrrthen-Ge-
puͤſche zu, ob ſie gleich zu der Zeit auch in Egypten iſt; und
der Poet berichtet uns gar nicht, wie auch die kuͤnſtlichſte Zau-
berin an zweyen Orten zugleich ſeyn koͤnne.
Arioſt ein Landsmann des Taſſo, hat denſelben an ſelt-
ſamen Unwahrſcheinlichkeiten weit uͤbertroffen, und zum we-
nigſten dadurch verdienet, daß er von vielen Jtalienern dem-
ſelben vorgezogen wird. Sein raſender Roland iſt bekannt,
und ſoll eben ſowohl ein Heldengedicht heißen, als das be-
freyte Jeruſalem. Dieſer Held, war aus Eiferſucht uͤber
die ſchoͤne Angelica zum Narren geworden, weil ſein Neben-
buhler Medor gluͤcklicher bey ihr geweſen als er. Aſtolph
ein andrer Ritter befand ſich eines Tages im irrdiſchen Pa-
radieſe, auf dem Gipfel eines hohen Berges, wohin ihn ein
gefluͤgelter Loͤwe getragen hatte. Daſelbſt traf er den heili-
gen Johannes, welcher ihm zu wiſſen that, daß er den Ro-
land von ſeiner Raſerey zu befreyen, eine Reiſe nach dem
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Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730, S. 174. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/202>, abgerufen am 25.11.2024.
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