den vier Jahres-Zeiten, den verschiedenen Altern des Men- schen, den Welt-Theilen, Ländern und Städten, ja Kün- sten und Wissenschafften, als von so viel Personen zu reden: Daher können ja nach solcher Anleitung unzehliche Fabeln erdacht werden, die allegorischer Weise was bedeuten. Deswegen aber dörfen doch die alten bereits bekannten Nah- men aus der Mythologie nicht gantz verworfen werden. Man weiß es längst daß Mars den Krieg, Pallas die Weis- heit, Apollo die freyen Künste, Venus die Liebe, Hymen den Ehestand, Ceres den Sommer, Flora den Frühling, Pomona den Herbst, Bacchus den Wein, Neptunus die See, Eolus den Wind, Juno den Stoltz, Plutus den Reichthum, u. s. w. vorstellen. Wer sich nur nicht in gar zu tiefe Fabeln des Alterthums steckt, wenn er auch von Un- gelehrten verstanden werden will; der ist deswegen nicht zu tadeln. Auf die Nahmen kommt es nicht an; und es ist ja besser bey dem eingeführten zu bleiben, als daß sich ein jeder eine neue Sprache machet. Die Sternseher haben es mit den Benennungen der Gestirne, so sie von den Alten bekom- men, auch so gemacht, und uns dadurch ein gutes Exempel gegeben.
Von dem Wunderbaren, so von den göttlichen und andern geistlichen Dingen herrühret, kommen wir auf das Wunderbare, so von den Menschen und ihren Handlungen entsteht. Diese sind entweder gut oder böse, entweder ge- mein oder ungemein, entweder wichtig oder von keiner Er- heblichkeit. So wohl das Gute als das Böse, kan wunder- bar werden, wenn es nur nicht was gemeines und alltägli- ches, sondern was ungemeines und seltsames ist; imgleichen wenn es von großer Erheblichkeit zu seyn scheint, welches aus dem Einfluße zu beurtheilen ist, den es in die Welt hat. Ein König ist also weit mehr zu bewundern als ein Bürger, und ein hoher Grad der Tugend und des Lasters mehr, als ein geringerer, der uns gar nichts neues ist. Da nun die Poesie das Wundersame liebet, so beschäfftiget sie sich auch nur mit lauter außerordentlichen Leuten, die es entweder im Guten oder Bösen aufs höchste gebracht. Jene stellt sie als
lob-
Von dem Wunderbaren in der Poeſie.
den vier Jahres-Zeiten, den verſchiedenen Altern des Men- ſchen, den Welt-Theilen, Laͤndern und Staͤdten, ja Kuͤn- ſten und Wiſſenſchafften, als von ſo viel Perſonen zu reden: Daher koͤnnen ja nach ſolcher Anleitung unzehliche Fabeln erdacht werden, die allegoriſcher Weiſe was bedeuten. Deswegen aber doͤrfen doch die alten bereits bekannten Nah- men aus der Mythologie nicht gantz verworfen werden. Man weiß es laͤngſt daß Mars den Krieg, Pallas die Weis- heit, Apollo die freyen Kuͤnſte, Venus die Liebe, Hymen den Eheſtand, Ceres den Sommer, Flora den Fruͤhling, Pomona den Herbſt, Bacchus den Wein, Neptunus die See, Eolus den Wind, Juno den Stoltz, Plutus den Reichthum, u. ſ. w. vorſtellen. Wer ſich nur nicht in gar zu tiefe Fabeln des Alterthums ſteckt, wenn er auch von Un- gelehrten verſtanden werden will; der iſt deswegen nicht zu tadeln. Auf die Nahmen kommt es nicht an; und es iſt ja beſſer bey dem eingefuͤhrten zu bleiben, als daß ſich ein jeder eine neue Sprache machet. Die Sternſeher haben es mit den Benennungen der Geſtirne, ſo ſie von den Alten bekom- men, auch ſo gemacht, und uns dadurch ein gutes Exempel gegeben.
Von dem Wunderbaren, ſo von den goͤttlichen und andern geiſtlichen Dingen herruͤhret, kommen wir auf das Wunderbare, ſo von den Menſchen und ihren Handlungen entſteht. Dieſe ſind entweder gut oder boͤſe, entweder ge- mein oder ungemein, entweder wichtig oder von keiner Er- heblichkeit. So wohl das Gute als das Boͤſe, kan wunder- bar werden, wenn es nur nicht was gemeines und alltaͤgli- ches, ſondern was ungemeines und ſeltſames iſt; imgleichen wenn es von großer Erheblichkeit zu ſeyn ſcheint, welches aus dem Einfluße zu beurtheilen iſt, den es in die Welt hat. Ein Koͤnig iſt alſo weit mehr zu bewundern als ein Buͤrger, und ein hoher Grad der Tugend und des Laſters mehr, als ein geringerer, der uns gar nichts neues iſt. Da nun die Poeſie das Wunderſame liebet, ſo beſchaͤfftiget ſie ſich auch nur mit lauter außerordentlichen Leuten, die es entweder im Guten oder Boͤſen aufs hoͤchſte gebracht. Jene ſtellt ſie als
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Von dem Wunderbaren in der Poeſie.
den vier Jahres-Zeiten, den verſchiedenen Altern des Men-
ſchen, den Welt-Theilen, Laͤndern und Staͤdten, ja Kuͤn-
ſten und Wiſſenſchafften, als von ſo viel Perſonen zu reden:
Daher koͤnnen ja nach ſolcher Anleitung unzehliche Fabeln
erdacht werden, die allegoriſcher Weiſe was bedeuten.
Deswegen aber doͤrfen doch die alten bereits bekannten Nah-
men aus der Mythologie nicht gantz verworfen werden.
Man weiß es laͤngſt daß Mars den Krieg, Pallas die Weis-
heit, Apollo die freyen Kuͤnſte, Venus die Liebe, Hymen
den Eheſtand, Ceres den Sommer, Flora den Fruͤhling,
Pomona den Herbſt, Bacchus den Wein, Neptunus die
See, Eolus den Wind, Juno den Stoltz, Plutus den
Reichthum, u. ſ. w. vorſtellen. Wer ſich nur nicht in gar
zu tiefe Fabeln des Alterthums ſteckt, wenn er auch von Un-
gelehrten verſtanden werden will; der iſt deswegen nicht zu
tadeln. Auf die Nahmen kommt es nicht an; und es iſt ja
beſſer bey dem eingefuͤhrten zu bleiben, als daß ſich ein jeder
eine neue Sprache machet. Die Sternſeher haben es mit
den Benennungen der Geſtirne, ſo ſie von den Alten bekom-
men, auch ſo gemacht, und uns dadurch ein gutes Exempel
gegeben.
Von dem Wunderbaren, ſo von den goͤttlichen und
andern geiſtlichen Dingen herruͤhret, kommen wir auf das
Wunderbare, ſo von den Menſchen und ihren Handlungen
entſteht. Dieſe ſind entweder gut oder boͤſe, entweder ge-
mein oder ungemein, entweder wichtig oder von keiner Er-
heblichkeit. So wohl das Gute als das Boͤſe, kan wunder-
bar werden, wenn es nur nicht was gemeines und alltaͤgli-
ches, ſondern was ungemeines und ſeltſames iſt; imgleichen
wenn es von großer Erheblichkeit zu ſeyn ſcheint, welches
aus dem Einfluße zu beurtheilen iſt, den es in die Welt hat.
Ein Koͤnig iſt alſo weit mehr zu bewundern als ein Buͤrger,
und ein hoher Grad der Tugend und des Laſters mehr, als
ein geringerer, der uns gar nichts neues iſt. Da nun die
Poeſie das Wunderſame liebet, ſo beſchaͤfftiget ſie ſich auch
nur mit lauter außerordentlichen Leuten, die es entweder im
Guten oder Boͤſen aufs hoͤchſte gebracht. Jene ſtellt ſie als
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Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730, S. 155. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/183>, abgerufen am 27.07.2024.
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