Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730.

Bild:
<< vorherige Seite

Vorrede.
beruffen, der im I. Th. seiner Characteristicks und zwar
in dem Tractate Advice to an Author, ausdrücklich
eben diese Beschreibung gemacht. Die gantze andre Ab-
theilung dieses Werckchens handelt weitläuftig davon,
und wäre wohl werth, daß sie von allen, die Bücher schrei-
ben wollen, vorher gelesen und wohl erwogen würde. Jch
kan aber keine besondre Stelle daraus hersetzen, weil sie
gar zu weitläuftig fallen, und mir also den Platz zu an-
dern Dingen, die diese Vorrede in sich halten soll, beneh-
men würde. Vielleicht giebt uns jemand eine Uberse-
tzung dieses einzelnen Tractats, oder wenigstens eines
Stückes davon; denen dadurch zu dienen, so dieses tref-
liche Werck in seiner Muttersprache nicht lesen, oder doch
seiner nicht habhafft werden können.

Was hat man nun Ursache, vor einer solchen ver-
nünftigen Critick einen Abscheu zu bezeugen, wenn man
nur vor sich sicher ist, und nicht fürchten darf, selbst in ihre
Untersuchung zu gerathen? Aber das ist es eben, was
viele, die sich ins Bücherschreiben mischen, mit der grösten
Unruhe besorgen. Der Zoilus, der Momus, oder die
Critici sind die Gespenster, die Riesen, die Zauberer, wie
Schafftsbury redet, vor welchen sie zittern und beben.
Und das ist kein Wunder. Ergreifen nicht die meisten
die Feder, ehe sie noch wissen wie man recht schreiben müs-
se? Giebt man nicht allerley Bücher heraus, ehe man ge-
wust hat, wie sie gemacht werden müssen, und nach was
vor Regeln sie sich richten sollten? Daher entsteht nun
die Furcht vor den Criticis; wie ihre Vorreden sattsam
zeigen. Man weiß, daß dieselben unerbittliche Richter
sind. Sie lassen sich nicht durch den äußerlichen Schein
eines Werckes blenden; Sie bleiben nicht an der Schale
kleben; Sie dringen bis aufs innerste Marck derselben;

Sie

Vorrede.
beruffen, der im I. Th. ſeiner Characteriſticks und zwar
in dem Tractate Advice to an Author, ausdruͤcklich
eben dieſe Beſchreibung gemacht. Die gantze andre Ab-
theilung dieſes Werckchens handelt weitlaͤuftig davon,
und waͤre wohl werth, daß ſie von allen, die Buͤcher ſchrei-
ben wollen, vorher geleſen und wohl erwogen wuͤrde. Jch
kan aber keine beſondre Stelle daraus herſetzen, weil ſie
gar zu weitlaͤuftig fallen, und mir alſo den Platz zu an-
dern Dingen, die dieſe Vorrede in ſich halten ſoll, beneh-
men wuͤrde. Vielleicht giebt uns jemand eine Uberſe-
tzung dieſes einzelnen Tractats, oder wenigſtens eines
Stuͤckes davon; denen dadurch zu dienen, ſo dieſes tref-
liche Werck in ſeiner Mutterſprache nicht leſen, oder doch
ſeiner nicht habhafft werden koͤnnen.

Was hat man nun Urſache, vor einer ſolchen ver-
nuͤnftigen Critick einen Abſcheu zu bezeugen, wenn man
nur vor ſich ſicher iſt, und nicht fuͤrchten darf, ſelbſt in ihre
Unterſuchung zu gerathen? Aber das iſt es eben, was
viele, die ſich ins Buͤcherſchreiben miſchen, mit der groͤſten
Unruhe beſorgen. Der Zoilus, der Momus, oder die
Critici ſind die Geſpenſter, die Rieſen, die Zauberer, wie
Schafftsbury redet, vor welchen ſie zittern und beben.
Und das iſt kein Wunder. Ergreifen nicht die meiſten
die Feder, ehe ſie noch wiſſen wie man recht ſchreiben muͤſ-
ſe? Giebt man nicht allerley Buͤcher heraus, ehe man ge-
wuſt hat, wie ſie gemacht werden muͤſſen, und nach was
vor Regeln ſie ſich richten ſollten? Daher entſteht nun
die Furcht vor den Criticis; wie ihre Vorreden ſattſam
zeigen. Man weiß, daß dieſelben unerbittliche Richter
ſind. Sie laſſen ſich nicht durch den aͤußerlichen Schein
eines Werckes blenden; Sie bleiben nicht an der Schale
kleben; Sie dringen bis aufs innerſte Marck derſelben;

Sie
<TEI>
  <text>
    <front>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0017"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#g">Vorrede.</hi></hi></fw><lb/>
beruffen, der im <hi rendition="#aq">I.</hi> Th. &#x017F;einer Characteri&#x017F;ticks und zwar<lb/>
in dem Tractate <hi rendition="#aq">Advice to an Author,</hi> ausdru&#x0364;cklich<lb/>
eben die&#x017F;e Be&#x017F;chreibung gemacht. Die gantze andre Ab-<lb/>
theilung die&#x017F;es Werckchens handelt weitla&#x0364;uftig davon,<lb/>
und wa&#x0364;re wohl werth, daß &#x017F;ie von allen, die Bu&#x0364;cher &#x017F;chrei-<lb/>
ben wollen, vorher gele&#x017F;en und wohl erwogen wu&#x0364;rde. Jch<lb/>
kan aber keine be&#x017F;ondre Stelle daraus her&#x017F;etzen, weil &#x017F;ie<lb/>
gar zu weitla&#x0364;uftig fallen, und mir al&#x017F;o den Platz zu an-<lb/>
dern Dingen, die die&#x017F;e Vorrede in &#x017F;ich halten &#x017F;oll, beneh-<lb/>
men wu&#x0364;rde. Vielleicht giebt uns jemand eine Uber&#x017F;e-<lb/>
tzung die&#x017F;es einzelnen Tractats, oder wenig&#x017F;tens eines<lb/>
Stu&#x0364;ckes davon; denen dadurch zu dienen, &#x017F;o die&#x017F;es tref-<lb/>
liche Werck in &#x017F;einer Mutter&#x017F;prache nicht le&#x017F;en, oder doch<lb/>
&#x017F;einer nicht habhafft werden ko&#x0364;nnen.</p><lb/>
        <p>Was hat man nun Ur&#x017F;ache, vor einer &#x017F;olchen ver-<lb/>
nu&#x0364;nftigen Critick einen Ab&#x017F;cheu zu bezeugen, wenn man<lb/>
nur vor &#x017F;ich &#x017F;icher i&#x017F;t, und nicht fu&#x0364;rchten darf, &#x017F;elb&#x017F;t in ihre<lb/>
Unter&#x017F;uchung zu gerathen? Aber das i&#x017F;t es eben, was<lb/>
viele, die &#x017F;ich ins Bu&#x0364;cher&#x017F;chreiben mi&#x017F;chen, mit der gro&#x0364;&#x017F;ten<lb/>
Unruhe be&#x017F;orgen. Der Zoilus, der Momus, oder die<lb/>
Critici &#x017F;ind die Ge&#x017F;pen&#x017F;ter, die Rie&#x017F;en, die Zauberer, wie<lb/>
Schafftsbury redet, vor welchen &#x017F;ie zittern und beben.<lb/>
Und das i&#x017F;t kein Wunder. Ergreifen nicht die mei&#x017F;ten<lb/>
die Feder, ehe &#x017F;ie noch wi&#x017F;&#x017F;en wie man recht &#x017F;chreiben mu&#x0364;&#x017F;-<lb/>
&#x017F;e? Giebt man nicht allerley Bu&#x0364;cher heraus, ehe man ge-<lb/>
wu&#x017F;t hat, wie &#x017F;ie gemacht werden mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en, und nach was<lb/>
vor Regeln &#x017F;ie &#x017F;ich richten &#x017F;ollten? Daher ent&#x017F;teht nun<lb/>
die Furcht vor den Criticis; wie ihre Vorreden &#x017F;att&#x017F;am<lb/>
zeigen. Man weiß, daß die&#x017F;elben unerbittliche Richter<lb/>
&#x017F;ind. Sie la&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ich nicht durch den a&#x0364;ußerlichen Schein<lb/>
eines Werckes blenden; Sie bleiben nicht an der Schale<lb/>
kleben; Sie dringen bis aufs inner&#x017F;te Marck der&#x017F;elben;<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Sie</fw><lb/></p>
      </div>
    </front>
  </text>
</TEI>
[0017] Vorrede. beruffen, der im I. Th. ſeiner Characteriſticks und zwar in dem Tractate Advice to an Author, ausdruͤcklich eben dieſe Beſchreibung gemacht. Die gantze andre Ab- theilung dieſes Werckchens handelt weitlaͤuftig davon, und waͤre wohl werth, daß ſie von allen, die Buͤcher ſchrei- ben wollen, vorher geleſen und wohl erwogen wuͤrde. Jch kan aber keine beſondre Stelle daraus herſetzen, weil ſie gar zu weitlaͤuftig fallen, und mir alſo den Platz zu an- dern Dingen, die dieſe Vorrede in ſich halten ſoll, beneh- men wuͤrde. Vielleicht giebt uns jemand eine Uberſe- tzung dieſes einzelnen Tractats, oder wenigſtens eines Stuͤckes davon; denen dadurch zu dienen, ſo dieſes tref- liche Werck in ſeiner Mutterſprache nicht leſen, oder doch ſeiner nicht habhafft werden koͤnnen. Was hat man nun Urſache, vor einer ſolchen ver- nuͤnftigen Critick einen Abſcheu zu bezeugen, wenn man nur vor ſich ſicher iſt, und nicht fuͤrchten darf, ſelbſt in ihre Unterſuchung zu gerathen? Aber das iſt es eben, was viele, die ſich ins Buͤcherſchreiben miſchen, mit der groͤſten Unruhe beſorgen. Der Zoilus, der Momus, oder die Critici ſind die Geſpenſter, die Rieſen, die Zauberer, wie Schafftsbury redet, vor welchen ſie zittern und beben. Und das iſt kein Wunder. Ergreifen nicht die meiſten die Feder, ehe ſie noch wiſſen wie man recht ſchreiben muͤſ- ſe? Giebt man nicht allerley Buͤcher heraus, ehe man ge- wuſt hat, wie ſie gemacht werden muͤſſen, und nach was vor Regeln ſie ſich richten ſollten? Daher entſteht nun die Furcht vor den Criticis; wie ihre Vorreden ſattſam zeigen. Man weiß, daß dieſelben unerbittliche Richter ſind. Sie laſſen ſich nicht durch den aͤußerlichen Schein eines Werckes blenden; Sie bleiben nicht an der Schale kleben; Sie dringen bis aufs innerſte Marck derſelben; Sie

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/17
Zitationshilfe: Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/17>, abgerufen am 21.11.2024.