gedult das Kleid wieder von sich wirft, und gantz braun und blau geprügelt nach Hause läuft.
Weil diese Fabel vor eine vollständige Comödie noch zu kurtz ist, so müste man irgend etliche Zwischen-Fabeln dazu dichten. Herr Trotzkopf müste irgend eine Liebste haben, der er viel von seiner Hertzhafftigkeit vorgesagt hätte. Die- se müste nun durch das nächtliche Lermen aufgeweckt irgend zum Fenster hinaus sehen und an der Stimme ihren Liebha- ber erkennen. Oder es könnte sonst ein Patron desselben, sol- ches gewahr werden, der von seiner bösen Lebensart nichts gewust. Kurtz, die Abtheilung und Auszierung müste nach den Regeln gemacht werden, die im andern Theile, wo von der Comödie ins besondre gehandelt wird, vorkommen sollen. So viel ist indessen gewiß, daß in dieser Fabel noch immer jene erstere allgemeine zum Grunde lieget, und die moralische Wahrheit von der Gewaltthätigkeit allegorisch in sich be- greift.
Die Tragödie ist von der Comödie nur in der besondern Absicht unterschieden, daß sie an statt des Gelächters die Verwunderung, das Schrecken und Mitleiden zu erwecken suchet. Daher pflegt sie sich lauter vornehmer Personen zu bedienen, die durch ihren Stand, Nahmen, und Aufzug mehr in die Augen fallen, und durch große Laster und trauri- ge Unglücks-Fälle solche hefftige Gemüths-Bewegungen er- wecken können. Jch werde also sagen: Ein mächtiger Kö- nig sahe, daß einer seiner Unterthanen ein schönes Landgut hatte, welches er gern selbst besessen hätte. Er bot ihm an- fänglich Geld davor: als jener es aber nicht verkaufen woll- te, braucht er Gewalt und List; läßt den Unschuldigen durch erkaufte Kläger, falsche Zeugen und ungerechte Richter vom Leben zum Tode bringen, seine Güter aber unter seine Kam- mergüter ziehen. Dieses ist der Grundriß zu einer tragi- schen Fabel, woran nichts mehr fehlt, als daß man noch in der Historie etliche Nahmen suche, die sich zu dieser Fabel ei- niger maßen schicken. Mir fällt hier gleich der König Achab ein, der den Naboth auf solche ungerechte Art um seinen Weinberg gebracht. Hier kan man die Jesabel ihre Rolle
auch
Das IV. Capitel
gedult das Kleid wieder von ſich wirft, und gantz braun und blau gepruͤgelt nach Hauſe laͤuft.
Weil dieſe Fabel vor eine vollſtaͤndige Comoͤdie noch zu kurtz iſt, ſo muͤſte man irgend etliche Zwiſchen-Fabeln dazu dichten. Herr Trotzkopf muͤſte irgend eine Liebſte haben, der er viel von ſeiner Hertzhafftigkeit vorgeſagt haͤtte. Die- ſe muͤſte nun durch das naͤchtliche Lermen aufgeweckt irgend zum Fenſter hinaus ſehen und an der Stimme ihren Liebha- ber erkennen. Oder es koͤnnte ſonſt ein Patron deſſelben, ſol- ches gewahr werden, der von ſeiner boͤſen Lebensart nichts gewuſt. Kurtz, die Abtheilung und Auszierung muͤſte nach den Regeln gemacht werden, die im andern Theile, wo von der Comoͤdie ins beſondre gehandelt wird, vorkommen ſollen. So viel iſt indeſſen gewiß, daß in dieſer Fabel noch immer jene erſtere allgemeine zum Grunde lieget, und die moraliſche Wahrheit von der Gewaltthaͤtigkeit allegoriſch in ſich be- greift.
Die Tragoͤdie iſt von der Comoͤdie nur in der beſondern Abſicht unterſchieden, daß ſie an ſtatt des Gelaͤchters die Verwunderung, das Schrecken und Mitleiden zu erwecken ſuchet. Daher pflegt ſie ſich lauter vornehmer Perſonen zu bedienen, die durch ihren Stand, Nahmen, und Aufzug mehr in die Augen fallen, und durch große Laſter und trauri- ge Ungluͤcks-Faͤlle ſolche hefftige Gemuͤths-Bewegungen er- wecken koͤnnen. Jch werde alſo ſagen: Ein maͤchtiger Koͤ- nig ſahe, daß einer ſeiner Unterthanen ein ſchoͤnes Landgut hatte, welches er gern ſelbſt beſeſſen haͤtte. Er bot ihm an- faͤnglich Geld davor: als jener es aber nicht verkaufen woll- te, braucht er Gewalt und Liſt; laͤßt den Unſchuldigen durch erkaufte Klaͤger, falſche Zeugen und ungerechte Richter vom Leben zum Tode bringen, ſeine Guͤter aber unter ſeine Kam- merguͤter ziehen. Dieſes iſt der Grundriß zu einer tragi- ſchen Fabel, woran nichts mehr fehlt, als daß man noch in der Hiſtorie etliche Nahmen ſuche, die ſich zu dieſer Fabel ei- niger maßen ſchicken. Mir faͤllt hier gleich der Koͤnig Achab ein, der den Naboth auf ſolche ungerechte Art um ſeinen Weinberg gebracht. Hier kan man die Jeſabel ihre Rolle
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Das IV. Capitel
gedult das Kleid wieder von ſich wirft, und gantz braun und
blau gepruͤgelt nach Hauſe laͤuft.
Weil dieſe Fabel vor eine vollſtaͤndige Comoͤdie noch zu
kurtz iſt, ſo muͤſte man irgend etliche Zwiſchen-Fabeln dazu
dichten. Herr Trotzkopf muͤſte irgend eine Liebſte haben,
der er viel von ſeiner Hertzhafftigkeit vorgeſagt haͤtte. Die-
ſe muͤſte nun durch das naͤchtliche Lermen aufgeweckt irgend
zum Fenſter hinaus ſehen und an der Stimme ihren Liebha-
ber erkennen. Oder es koͤnnte ſonſt ein Patron deſſelben, ſol-
ches gewahr werden, der von ſeiner boͤſen Lebensart nichts
gewuſt. Kurtz, die Abtheilung und Auszierung muͤſte nach
den Regeln gemacht werden, die im andern Theile, wo von
der Comoͤdie ins beſondre gehandelt wird, vorkommen ſollen.
So viel iſt indeſſen gewiß, daß in dieſer Fabel noch immer
jene erſtere allgemeine zum Grunde lieget, und die moraliſche
Wahrheit von der Gewaltthaͤtigkeit allegoriſch in ſich be-
greift.
Die Tragoͤdie iſt von der Comoͤdie nur in der beſondern
Abſicht unterſchieden, daß ſie an ſtatt des Gelaͤchters die
Verwunderung, das Schrecken und Mitleiden zu erwecken
ſuchet. Daher pflegt ſie ſich lauter vornehmer Perſonen zu
bedienen, die durch ihren Stand, Nahmen, und Aufzug
mehr in die Augen fallen, und durch große Laſter und trauri-
ge Ungluͤcks-Faͤlle ſolche hefftige Gemuͤths-Bewegungen er-
wecken koͤnnen. Jch werde alſo ſagen: Ein maͤchtiger Koͤ-
nig ſahe, daß einer ſeiner Unterthanen ein ſchoͤnes Landgut
hatte, welches er gern ſelbſt beſeſſen haͤtte. Er bot ihm an-
faͤnglich Geld davor: als jener es aber nicht verkaufen woll-
te, braucht er Gewalt und Liſt; laͤßt den Unſchuldigen durch
erkaufte Klaͤger, falſche Zeugen und ungerechte Richter vom
Leben zum Tode bringen, ſeine Guͤter aber unter ſeine Kam-
merguͤter ziehen. Dieſes iſt der Grundriß zu einer tragi-
ſchen Fabel, woran nichts mehr fehlt, als daß man noch in
der Hiſtorie etliche Nahmen ſuche, die ſich zu dieſer Fabel ei-
niger maßen ſchicken. Mir faͤllt hier gleich der Koͤnig Achab
ein, der den Naboth auf ſolche ungerechte Art um ſeinen
Weinberg gebracht. Hier kan man die Jeſabel ihre Rolle
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Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730, S. 136. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/164>, abgerufen am 25.11.2024.
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