Doch läßt uns diese Pest der Sprachen unvertrieben, Kein Verß vom Bavius und Mävius ist blieben: Der Venusiner Schwan, der Preis von Mantua, Und Naso und Catull, die sind noch alle da. Laß du, o Zinckgräf, nur den guten Zweck nicht liegen, Zu helfen, wie du thust, die Finsterniß besiegen, Die deutscher Reden Zier bisher umhüllet hat. Kriegt gleich ein Nesselstrauch bey Rosen seine Statt; So blühen sie gleichwohl. Wir wollen nicht bedencken, Daß träge Hummeln sich an diesen Bienstock hencken. Ein Cörper bleibet doch, obgleich des Schattens Schein Sich größer macht als er. Die Zeit soll Richter seyn. I. B. der Poet. W.
Jch würde noch des Herrn Neukirchs Exempel anführen, der nach Ablegung des Hofmanns-Waldauischen und Lo- hensteinischen Geschmackes sehr besorgte, daß sein verwehn- tes Schlesien und das sonst so witzige Budorgis an seiner Poesie nichts gefälliges mehr finden würde, wenn ich solches nicht schon in dem Vorberichte zu Horatii Dicht-Kunst ge- than hätte.
Alles dieses nun geht einzig und allein dahin, daß ein Poet sich an den Geschmack seiner Zeiten und Oerter nicht zu kehren, sondern den Regeln der Alten und den Exempeln großer Dichter zu folgen habe.
Woher der üble Geschmack des großen Haufens komme, ist aus dem obigen leicht abzunehmen. Die schlechte Aufer- ziehung ist sonder Zweifel die allergemeinste, und dadurch werden auch die fähigsten Köpfe verwahrloset. Weil die Kinder durchgehends nur durch die Nachahmung urtheilen lernen: so gefällt ihnen gleich von Jugend auf das, was sie von ihren Eltern, oder andern Leuten, denen sie was zutrauen, loben hören. Die ersten Urtheile werden also unvermerckt eine Richtschnur der übrigen, und nachdem sie durch eine lan- ge Gewohnheit gleichsam tief eingewurtzelt sind, können sie fast gar nicht mehr ausgerottet werden. Der Geschmack alter Leute läst sich also schwerlich bessern. Sie bleiben fest bey ihren Meynungen, und schämen sich, dasjenige zu verwerfen, was sie ihr Lebenlang vor schön gehalten. Man
mag
Das III. Capitel
Doch laͤßt uns dieſe Peſt der Sprachen unvertrieben, Kein Verß vom Bavius und Maͤvius iſt blieben: Der Venuſiner Schwan, der Preis von Mantua, Und Naſo und Catull, die ſind noch alle da. Laß du, o Zinckgraͤf, nur den guten Zweck nicht liegen, Zu helfen, wie du thuſt, die Finſterniß beſiegen, Die deutſcher Reden Zier bisher umhuͤllet hat. Kriegt gleich ein Neſſelſtrauch bey Roſen ſeine Statt; So bluͤhen ſie gleichwohl. Wir wollen nicht bedencken, Daß traͤge Hummeln ſich an dieſen Bienſtock hencken. Ein Coͤrper bleibet doch, obgleich des Schattens Schein Sich groͤßer macht als er. Die Zeit ſoll Richter ſeyn. I. B. der Poet. W.
Jch wuͤrde noch des Herrn Neukirchs Exempel anfuͤhren, der nach Ablegung des Hofmanns-Waldauiſchen und Lo- henſteiniſchen Geſchmackes ſehr beſorgte, daß ſein verwehn- tes Schleſien und das ſonſt ſo witzige Budorgis an ſeiner Poeſie nichts gefaͤlliges mehr finden wuͤrde, wenn ich ſolches nicht ſchon in dem Vorberichte zu Horatii Dicht-Kunſt ge- than haͤtte.
Alles dieſes nun geht einzig und allein dahin, daß ein Poet ſich an den Geſchmack ſeiner Zeiten und Oerter nicht zu kehren, ſondern den Regeln der Alten und den Exempeln großer Dichter zu folgen habe.
Woher der uͤble Geſchmack des großen Haufens komme, iſt aus dem obigen leicht abzunehmen. Die ſchlechte Aufer- ziehung iſt ſonder Zweifel die allergemeinſte, und dadurch werden auch die faͤhigſten Koͤpfe verwahrloſet. Weil die Kinder durchgehends nur durch die Nachahmung urtheilen lernen: ſo gefaͤllt ihnen gleich von Jugend auf das, was ſie von ihren Eltern, oder andern Leuten, denen ſie was zutrauen, loben hoͤren. Die erſten Urtheile werden alſo unvermerckt eine Richtſchnur der uͤbrigen, und nachdem ſie durch eine lan- ge Gewohnheit gleichſam tief eingewurtzelt ſind, koͤnnen ſie faſt gar nicht mehr ausgerottet werden. Der Geſchmack alter Leute laͤſt ſich alſo ſchwerlich beſſern. Sie bleiben feſt bey ihren Meynungen, und ſchaͤmen ſich, dasjenige zu verwerfen, was ſie ihr Lebenlang vor ſchoͤn gehalten. Man
mag
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Das III. Capitel
Doch laͤßt uns dieſe Peſt der Sprachen unvertrieben,
Kein Verß vom Bavius und Maͤvius iſt blieben:
Der Venuſiner Schwan, der Preis von Mantua,
Und Naſo und Catull, die ſind noch alle da.
Laß du, o Zinckgraͤf, nur den guten Zweck nicht liegen,
Zu helfen, wie du thuſt, die Finſterniß beſiegen,
Die deutſcher Reden Zier bisher umhuͤllet hat.
Kriegt gleich ein Neſſelſtrauch bey Roſen ſeine Statt;
So bluͤhen ſie gleichwohl. Wir wollen nicht bedencken,
Daß traͤge Hummeln ſich an dieſen Bienſtock hencken.
Ein Coͤrper bleibet doch, obgleich des Schattens Schein
Sich groͤßer macht als er. Die Zeit ſoll Richter ſeyn.
I. B. der Poet. W.
Jch wuͤrde noch des Herrn Neukirchs Exempel anfuͤhren,
der nach Ablegung des Hofmanns-Waldauiſchen und Lo-
henſteiniſchen Geſchmackes ſehr beſorgte, daß ſein verwehn-
tes Schleſien und das ſonſt ſo witzige Budorgis an ſeiner
Poeſie nichts gefaͤlliges mehr finden wuͤrde, wenn ich ſolches
nicht ſchon in dem Vorberichte zu Horatii Dicht-Kunſt ge-
than haͤtte.
Alles dieſes nun geht einzig und allein dahin, daß ein
Poet ſich an den Geſchmack ſeiner Zeiten und Oerter nicht
zu kehren, ſondern den Regeln der Alten und den Exempeln
großer Dichter zu folgen habe.
Woher der uͤble Geſchmack des großen Haufens komme,
iſt aus dem obigen leicht abzunehmen. Die ſchlechte Aufer-
ziehung iſt ſonder Zweifel die allergemeinſte, und dadurch
werden auch die faͤhigſten Koͤpfe verwahrloſet. Weil die
Kinder durchgehends nur durch die Nachahmung urtheilen
lernen: ſo gefaͤllt ihnen gleich von Jugend auf das, was ſie
von ihren Eltern, oder andern Leuten, denen ſie was zutrauen,
loben hoͤren. Die erſten Urtheile werden alſo unvermerckt
eine Richtſchnur der uͤbrigen, und nachdem ſie durch eine lan-
ge Gewohnheit gleichſam tief eingewurtzelt ſind, koͤnnen ſie
faſt gar nicht mehr ausgerottet werden. Der Geſchmack
alter Leute laͤſt ſich alſo ſchwerlich beſſern. Sie bleiben feſt
bey ihren Meynungen, und ſchaͤmen ſich, dasjenige zu
verwerfen, was ſie ihr Lebenlang vor ſchoͤn gehalten. Man
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Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730, S. 116. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/144>, abgerufen am 24.11.2024.
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