Gottsched, Luise Adelgunde Victorie: Die Pietisterey im Fischbein-Rocke. Rostock, 1736.im Fischbein-Rocke. Jungfer Luischen. Was wird aber mein Vater sagen, daß ich ei- nen andern Mann nehme, dem er mich nicht ver- sprochen hat. Frau Glaubeleichtin. Dein Vater war in der Lehre der rechten Creutzi- gung des Fleisches gar schlecht unterrichtet: Er gab, da er dich dem Liebmann versprach, eurer beydersei- tigen Neigung gar zu viel Gehör, und meinte, daß diese zum Ehestande nöthig wäre. Aber Herr Ma- gister Scheinfromm erkläret das Ding gantz an- ders. Jungfer Luischen. Unsere Liebe ist von beyden Seiten allezeit un- tadelich gewesen; und ihr Endzweck war allezeit er- laubt und Christlich. Mein Vater hat sie gestiff- tet, und - - - Frau Glaubeleichtin. Man sehe doch die erschreckliche Unwissenheit! bey allem Unterichte, den sie empfängt! Weisst du denn nicht, daß alles, was Sünde ist, nicht unsträfflich seyn kan: Und alles, was aus der Natur kömmt, daß ist Sünde? Begreiffst du das nicht? Jungfer Luischen. Nein, Mama! Frau
im Fiſchbein-Rocke. Jungfer Luischen. Was wird aber mein Vater ſagen, daß ich ei- nen andern Mann nehme, dem er mich nicht ver- ſprochen hat. Frau Glaubeleichtin. Dein Vater war in der Lehre der rechten Creutzi- gung des Fleiſches gar ſchlecht unterrichtet: Er gab, da er dich dem Liebmann verſprach, eurer beyderſei- tigen Neigung gar zu viel Gehoͤr, und meinte, daß dieſe zum Eheſtande noͤthig waͤre. Aber Herr Ma- giſter Scheinfromm erklaͤret das Ding gantz an- ders. Jungfer Luischen. Unſere Liebe iſt von beyden Seiten allezeit un- tadelich geweſen; und ihr Endzweck war allezeit er- laubt und Chriſtlich. Mein Vater hat ſie geſtiff- tet, und ‒ ‒ ‒ Frau Glaubeleichtin. Man ſehe doch die erſchreckliche Unwiſſenheit! bey allem Unterichte, den ſie empfaͤngt! Weiſſt du denn nicht, daß alles, was Suͤnde iſt, nicht unſtraͤfflich ſeyn kan: Und alles, was aus der Natur koͤmmt, daß iſt Suͤnde? Begreiffſt du das nicht? Jungfer Luischen. Nein, Mama! Frau
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0081" n="61"/> <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">im Fiſchbein-Rocke.</hi> </fw><lb/> <sp who="#LUI"> <speaker> <hi rendition="#c"> <hi rendition="#fr">Jungfer Luischen.</hi> </hi> </speaker><lb/> <p>Was wird aber mein Vater ſagen, daß ich ei-<lb/> nen andern Mann nehme, dem er mich nicht ver-<lb/> ſprochen hat.</p> </sp><lb/> <sp who="#GLAU"> <speaker> <hi rendition="#c"> <hi rendition="#fr">Frau Glaubeleichtin.</hi> </hi> </speaker><lb/> <p>Dein Vater war in der Lehre der rechten Creutzi-<lb/> gung des Fleiſches gar ſchlecht unterrichtet: Er gab,<lb/> da er dich dem Liebmann verſprach, eurer beyderſei-<lb/> tigen Neigung gar zu viel Gehoͤr, und meinte, daß<lb/> dieſe zum Eheſtande noͤthig waͤre. Aber Herr Ma-<lb/> giſter Scheinfromm erklaͤret das Ding gantz an-<lb/> ders.</p> </sp><lb/> <sp who="#LUI"> <speaker> <hi rendition="#c"> <hi rendition="#fr">Jungfer Luischen.</hi> </hi> </speaker><lb/> <p>Unſere Liebe iſt von beyden Seiten allezeit un-<lb/> tadelich geweſen; und ihr Endzweck war allezeit er-<lb/> laubt und Chriſtlich. Mein Vater hat ſie geſtiff-<lb/> tet, und ‒ ‒ ‒</p> </sp><lb/> <sp who="#GLAU"> <speaker> <hi rendition="#c"> <hi rendition="#fr">Frau Glaubeleichtin.</hi> </hi> </speaker><lb/> <p>Man ſehe doch die erſchreckliche Unwiſſenheit!<lb/> bey allem Unterichte, den ſie empfaͤngt! Weiſſt<lb/> du denn nicht, daß alles, was Suͤnde iſt, nicht<lb/> unſtraͤfflich ſeyn kan: Und alles, was aus der<lb/> Natur koͤmmt, daß iſt Suͤnde? Begreiffſt du das<lb/> nicht?</p> </sp><lb/> <sp who="#LUI"> <speaker> <hi rendition="#c"> <hi rendition="#fr">Jungfer Luischen.</hi> </hi> </speaker><lb/> <p>Nein, Mama!</p><lb/> <fw place="bottom" type="catch"> <hi rendition="#b">Frau</hi> </fw> </sp><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [61/0081]
im Fiſchbein-Rocke.
Jungfer Luischen.
Was wird aber mein Vater ſagen, daß ich ei-
nen andern Mann nehme, dem er mich nicht ver-
ſprochen hat.
Frau Glaubeleichtin.
Dein Vater war in der Lehre der rechten Creutzi-
gung des Fleiſches gar ſchlecht unterrichtet: Er gab,
da er dich dem Liebmann verſprach, eurer beyderſei-
tigen Neigung gar zu viel Gehoͤr, und meinte, daß
dieſe zum Eheſtande noͤthig waͤre. Aber Herr Ma-
giſter Scheinfromm erklaͤret das Ding gantz an-
ders.
Jungfer Luischen.
Unſere Liebe iſt von beyden Seiten allezeit un-
tadelich geweſen; und ihr Endzweck war allezeit er-
laubt und Chriſtlich. Mein Vater hat ſie geſtiff-
tet, und ‒ ‒ ‒
Frau Glaubeleichtin.
Man ſehe doch die erſchreckliche Unwiſſenheit!
bey allem Unterichte, den ſie empfaͤngt! Weiſſt
du denn nicht, daß alles, was Suͤnde iſt, nicht
unſtraͤfflich ſeyn kan: Und alles, was aus der
Natur koͤmmt, daß iſt Suͤnde? Begreiffſt du das
nicht?
Jungfer Luischen.
Nein, Mama!
Frau
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_pietisterey_1736 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_pietisterey_1736/81 |
Zitationshilfe: | Gottsched, Luise Adelgunde Victorie: Die Pietisterey im Fischbein-Rocke. Rostock, 1736, S. 61. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_pietisterey_1736/81>, abgerufen am 16.02.2025. |