Gottsched, Luise Adelgunde Victorie: Die Pietisterey im Fischbein-Rocke. Rostock, 1736.im Fischbein-Rocke. sie mehr haben, als viele andere Frauen, ja, alsviele Männer: Aber von der Theologie wissen sie nichts. Frau Glaubeleichtin. Und warum nicht? Vielleicht weil ich nicht in Rostock studiret habe? Giebt denn der schwartze Priester-Rock und Mantel diese Gelehrsamkeit? Muß man denn so gar gelehrt seyn, um die Geheim- nisse und Grund-Sätze der Religion zu wissen? und die Sätze von dem innern Funcken, von der Ver- senckung der Seelen in GOtt, von der Unmöglich- keit, daß ein Wiedergebohrner sündigen könne, ein- zusehen? Ach, Herr Bruder! wer die Bücher von unsern Herren gelesen hat, der versteht von der Theo- logie viel mehr, als sie dencken. Fragen sie nur Cathrinen. Cathrine. Ja, gewiß! Jch habe zwar nicht so viel Ver- stand, als Frau Glaubeleichtin, daß ich die Theo- logie so gut fassen könnte; aber so viel getraue ich mir doch zu, daß ich ein Advocat beym Hof-Ge- richte seyn könnte. Herr Wackermann. Ha! ich sehe, daß sie alle beyde sehr viel verste- hen. Aber woher wissen sie, daß das, was sie behaupten, wahr oder falsch sey? Denn darauf kömmts an. Frau
im Fiſchbein-Rocke. ſie mehr haben, als viele andere Frauen, ja, alsviele Maͤnner: Aber von der Theologie wiſſen ſie nichts. Frau Glaubeleichtin. Und warum nicht? Vielleicht weil ich nicht in Roſtock ſtudiret habe? Giebt denn der ſchwartze Prieſter-Rock und Mantel dieſe Gelehrſamkeit? Muß man denn ſo gar gelehrt ſeyn, um die Geheim- niſſe und Grund-Saͤtze der Religion zu wiſſen? und die Saͤtze von dem innern Funcken, von der Ver- ſenckung der Seelen in GOtt, von der Unmoͤglich- keit, daß ein Wiedergebohrner ſuͤndigen koͤnne, ein- zuſehen? Ach, Herr Bruder! wer die Buͤcher von unſern Herren geleſen hat, der verſteht von der Theo- logie viel mehr, als ſie dencken. Fragen ſie nur Cathrinen. Cathrine. Ja, gewiß! Jch habe zwar nicht ſo viel Ver- ſtand, als Frau Glaubeleichtin, daß ich die Theo- logie ſo gut faſſen koͤnnte; aber ſo viel getraue ich mir doch zu, daß ich ein Advocat beym Hof-Ge- richte ſeyn koͤnnte. Herr Wackermann. Ha! ich ſehe, daß ſie alle beyde ſehr viel verſte- hen. Aber woher wiſſen ſie, daß das, was ſie behaupten, wahr oder falſch ſey? Denn darauf koͤmmts an. Frau
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im Fiſchbein-Rocke.
ſie mehr haben, als viele andere Frauen, ja, als
viele Maͤnner: Aber von der Theologie wiſſen ſie
nichts.
Frau Glaubeleichtin.
Und warum nicht? Vielleicht weil ich nicht in
Roſtock ſtudiret habe? Giebt denn der ſchwartze
Prieſter-Rock und Mantel dieſe Gelehrſamkeit?
Muß man denn ſo gar gelehrt ſeyn, um die Geheim-
niſſe und Grund-Saͤtze der Religion zu wiſſen? und
die Saͤtze von dem innern Funcken, von der Ver-
ſenckung der Seelen in GOtt, von der Unmoͤglich-
keit, daß ein Wiedergebohrner ſuͤndigen koͤnne, ein-
zuſehen? Ach, Herr Bruder! wer die Buͤcher von
unſern Herren geleſen hat, der verſteht von der Theo-
logie viel mehr, als ſie dencken. Fragen ſie nur
Cathrinen.
Cathrine.
Ja, gewiß! Jch habe zwar nicht ſo viel Ver-
ſtand, als Frau Glaubeleichtin, daß ich die Theo-
logie ſo gut faſſen koͤnnte; aber ſo viel getraue ich
mir doch zu, daß ich ein Advocat beym Hof-Ge-
richte ſeyn koͤnnte.
Herr Wackermann.
Ha! ich ſehe, daß ſie alle beyde ſehr viel verſte-
hen. Aber woher wiſſen ſie, daß das, was ſie
behaupten, wahr oder falſch ſey? Denn darauf
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