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Gottschall, Rudolph: Poetik. Die Dichtkunst und ihre Technik [v]om Standpunkte der Neuzeit. Breslau, 1858.

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Blumen Rache," das leider! viel dazu beigetragen, den Blumenspuk der pgo_071.002
Modelyrik zu entbinden! Dort ist alles Handlung; die Gestalten sind pgo_071.003
ihre Träger und ebenso reizend wie angemessen geschildert. Auch in dem pgo_071.004
Gedichte "die Lerche" von Annette Droste-Hülshoff, in welchem pgo_071.005
allegorisch das Nahen der Sonne als einer Fürstin und der ehrfurchtsvolle pgo_071.006
Gruß der huldigenden Natur geschildert wird, läßt man sich die pgo_071.007
kühne Blumensymbolik gefallen, da sie gleichsam im Geiste der Situation pgo_071.008
gehalten ist:

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Maaßliebchen hält das klare Auge offen, pgo_071.010
Die Wasserlilie sieht ein wenig bleich, pgo_071.011
Erschrocken, daß im Bade sie betroffen; pgo_071.012
Wie steht der Zitterhalm verschämt und zage! pgo_071.013
Die kleine Winde pudert sich geschwind pgo_071.014
Und reicht dem West ihr Seidentüchlein lind. pgo_071.015
Daß zu der Hoheit Händen er es trage!

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Noch berechtigter ist diese Beseelung der Blumen, wo sie nur ein Wiederschein pgo_071.017
des menschlichen Gemüthes in einer bestimmten Situation pgo_071.018
ist, wo der Dichter nur mittelbar durch seinen Helden oder seine Heldin pgo_071.019
diese Seele in die Blumenwelt hineinschaut. Wenn in meiner "Göttin" pgo_071.020
Marie, vom Geliebten entführt, auf ihrer Flucht durch den Klostergarten pgo_071.021
eilt, so mag die folgende Stelle wohl nicht als müßige Malerei erscheinen, pgo_071.022
sondern als lebendiger Ausdruck der Situation und der angstvoll pgo_071.023
erregten Empfindung der Heldin:

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Die Blumen neigen sich in bösem Grollen, pgo_071.025
Wie Geister des verlassenen Altars! pgo_071.026
Der Mohn mit schwerem Haupt im Mönchsgewand pgo_071.027
Scheint schläfrig noch ein Anathem zu lallen. pgo_071.028
Der Rittersporn erhebt zum Fluch die Hand, pgo_071.029
Ein Lehnsherr, zürnend flüchtigen Vasallen. pgo_071.030
Die Nachtviole schließt die Kelche zu, pgo_071.031
Der Blick der Frevler soll sie nicht entweihn. pgo_071.032
Die Lilie, aufgeschreckt aus bleicher Ruh, pgo_071.033
Bebt schattenhafter noch im Mondenschein u. s. f.

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Ein meisterhaftes Stimmungsbild aus dem Gebiete der Pflanzenwelt pgo_071.035
hat uns Heine in seinem Liede vom "Fichtenbaum und der Palme" pgo_071.036
gegeben. Auch zu Trägern eines Gedankenbildes eignet sich die Blume, pgo_071.037
wie Uhland im "Mohn" die träumerische Weltanschauung des Dichters,

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Zitationshilfe: Gottschall, Rudolph: Poetik. Die Dichtkunst und ihre Technik [v]om Standpunkte der Neuzeit. Breslau, 1858, S. 71. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottschall_poetik_1858/93>, abgerufen am 28.11.2024.