Gottschall, Rudolph: Poetik. Die Dichtkunst und ihre Technik [v]om Standpunkte der Neuzeit. Breslau, 1858.pgo_046.001 Plötzlich regt es sich im Rohre; mit Gebrüll auf ihren Nacken pgo_046.022 Springt der Löwe; welch ein Reitpferd! Sah man reichere Schabracken pgo_046.023 Jn den Marstallkammern einer königlichen Hofburg liegen, pgo_046.024 Als das bunte Fell des Renners, den der Thiere Fürst bestiegen? pgo_046.025 Jn die Muskeln des Genickes schlägt er gierig seine Zähne, pgo_046.026 Um den Bug des Riesenpferdes weht des Reiters gelbe Mähne. pgo_046.027 Mit dem dumpfen Schrei des Schmerzes springt es auf und flieht gepeinigt; pgo_046.028 Sieh, wie Schnelle des Kameeles es mit Pardelhaut vereinigt. pgo_046.029 Sieh, die mondbestrahlte Fläche schlägt es mit den leichten Füßen! pgo_046.030 Starr aus ihrer Höhlung treten seine Augen; rieselnd fließen pgo_046.031 An dem braungefleckten Halse nieder schwarzen Blutes Tropfen pgo_046.032 Und das Herz des flücht'gen Thieres hört die stille Wüste klopfen. pgo_046.033 pgo_046.001 Plötzlich regt es sich im Rohre; mit Gebrüll auf ihren Nacken pgo_046.022 Springt der Löwe; welch ein Reitpferd! 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Wir haben alle Kleider einzeln, aber nicht <lb n="pgo_046.002"/> den Eindruck, den der ganze Anzug macht, nicht sein dichterisches Bild, <lb n="pgo_046.003"/> das niemals durch ein todtes Nebeneinander von Eigenschaften hervorgerufen <lb n="pgo_046.004"/> wird. Sollen diese Eigenschaften von der Poesie dargestellt werden: <lb n="pgo_046.005"/> so müssen sie nacheinander, an einen geistigen Faden der Bewegung <lb n="pgo_046.006"/> gereiht, hervortreten. Homer giebt uns vom Schild des Achilleus <lb n="pgo_046.007"/> gleichsam die Geschichte; ebenso vom Bogen des Pandarus, und fängt <lb n="pgo_046.008"/> mit der Jagd des Steinbocks an, aus dessen Hörnern der Bogen gemacht <lb n="pgo_046.009"/> ist. Dadurch werden seine Eigenschaften für die Phantasie lebendig. <lb n="pgo_046.010"/> Freiligrath wäre nur ein exotischer Wouwerman und kein Dichter, wenn <lb n="pgo_046.011"/> er uns im „Löwenritt“ die Giraffe von Kopf zu Fuß so hinmalte, wie <lb n="pgo_046.012"/> jener seinen berühmten Schimmel. Dieser Dichter ist ein zu großer <lb n="pgo_046.013"/> Meister seiner Kunst, um solche todte Menageriebilder aus dem <foreign xml:lang="fra">jardin <lb n="pgo_046.014"/> des plantes</foreign> zu geben. Ein Poet aus der Schule Walter Scott's hätte <lb n="pgo_046.015"/> mit dem Stabe des Menageriewärters auf das ruhig dastehende Thier <lb n="pgo_046.016"/> gezeigt und dabei erzählt, daß es ein buntes Fell, einen braungefleckten <lb n="pgo_046.017"/> Hals, leichte Füße und große Schnelligkeit habe und überhaupt einem <lb n="pgo_046.018"/> Riesenpferde vergleichbar sei! Freiligrath aber malt diese Eigenschaften <lb n="pgo_046.019"/> in seinem klassischen Gedichte nicht nebeneinander hin; er läßt sie wie <lb n="pgo_046.020"/> Funken aus der lebensvollen Bewegung nacheinander hervorsprühen:</p> <lb n="pgo_046.021"/> <lg> <l>Plötzlich regt es sich im Rohre; mit Gebrüll auf ihren Nacken</l> <lb n="pgo_046.022"/> <l>Springt der Löwe; welch ein Reitpferd! 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B. der weiblichen, verschlossen sein? Sollte er keine Madonna, keine <lb n="pgo_046.035"/> Venus, keine Helena in seinen Versen malen dürfen, oder nur mit flüchtig </p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [46/0068]
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wie der Hut aussieht! Wir haben alle Kleider einzeln, aber nicht pgo_046.002
den Eindruck, den der ganze Anzug macht, nicht sein dichterisches Bild, pgo_046.003
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wird. Sollen diese Eigenschaften von der Poesie dargestellt werden: pgo_046.005
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gereiht, hervortreten. Homer giebt uns vom Schild des Achilleus pgo_046.007
gleichsam die Geschichte; ebenso vom Bogen des Pandarus, und fängt pgo_046.008
mit der Jagd des Steinbocks an, aus dessen Hörnern der Bogen gemacht pgo_046.009
ist. Dadurch werden seine Eigenschaften für die Phantasie lebendig. pgo_046.010
Freiligrath wäre nur ein exotischer Wouwerman und kein Dichter, wenn pgo_046.011
er uns im „Löwenritt“ die Giraffe von Kopf zu Fuß so hinmalte, wie pgo_046.012
jener seinen berühmten Schimmel. Dieser Dichter ist ein zu großer pgo_046.013
Meister seiner Kunst, um solche todte Menageriebilder aus dem jardin pgo_046.014
des plantes zu geben. Ein Poet aus der Schule Walter Scott's hätte pgo_046.015
mit dem Stabe des Menageriewärters auf das ruhig dastehende Thier pgo_046.016
gezeigt und dabei erzählt, daß es ein buntes Fell, einen braungefleckten pgo_046.017
Hals, leichte Füße und große Schnelligkeit habe und überhaupt einem pgo_046.018
Riesenpferde vergleichbar sei! Freiligrath aber malt diese Eigenschaften pgo_046.019
in seinem klassischen Gedichte nicht nebeneinander hin; er läßt sie wie pgo_046.020
Funken aus der lebensvollen Bewegung nacheinander hervorsprühen:
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Plötzlich regt es sich im Rohre; mit Gebrüll auf ihren Nacken pgo_046.022
Springt der Löwe; welch ein Reitpferd! Sah man reichere Schabracken pgo_046.023
Jn den Marstallkammern einer königlichen Hofburg liegen, pgo_046.024
Als das bunte Fell des Renners, den der Thiere Fürst bestiegen?
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Jn die Muskeln des Genickes schlägt er gierig seine Zähne, pgo_046.026
Um den Bug des Riesenpferdes weht des Reiters gelbe Mähne. pgo_046.027
Mit dem dumpfen Schrei des Schmerzes springt es auf und flieht gepeinigt; pgo_046.028
Sieh, wie Schnelle des Kameeles es mit Pardelhaut vereinigt.
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Sieh, die mondbestrahlte Fläche schlägt es mit den leichten Füßen! pgo_046.030
Starr aus ihrer Höhlung treten seine Augen; rieselnd fließen pgo_046.031
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Doch sollte dem Dichter die Schilderung der körperlichen Schönheit pgo_046.034
z. B. der weiblichen, verschlossen sein? Sollte er keine Madonna, keine pgo_046.035
Venus, keine Helena in seinen Versen malen dürfen, oder nur mit flüchtig
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