pgo_038.001 auseinandergesetzt; aber gerade die Schärfe seiner Bestimmungen läßt sie pgo_038.002 leicht einseitig erscheinen, wenn sie nicht einer erweiternden Auslegung pgo_038.003 theilhaft werden. Körper sind nach ihm der Gegenstand der Malerei; pgo_038.004 Handlungen der Gegenstand der Poesie. Doch Körper existiren nicht pgo_038.005 allein im Raume, sondern auch in der Zeit. Jede Erscheinung ist pgo_038.006 Wirkung einer vorhergehenden, Ursache einer folgenden, und somit das pgo_038.007 Centrum einer Handlung. Folglich kann die Malerei auch Handlungen pgo_038.008 nachahmen, aber nur andeutungsweise durch Körper. Auf der andern pgo_038.009 Seite können Handlungen nicht für sich selbst bestehen, sondern müssen pgo_038.010 gewissen Wesen anhängen. Jnsofern nun diese Wesen Körper sind oder pgo_038.011 als Körper betrachtet werden, schildert die Poesie auch Körper, aber nur pgo_038.012 andeutungsweise durch Handlungen. Die Malerei kann in ihren pgo_038.013 coexistirenden Compositionen nur einen einzigen Augenblick der Handlung pgo_038.014 nützen und muß daher den prägnantesten wählen. Ebenso kann pgo_038.015 die Poesie in ihren fortschreitenden Nachahmungen nur eine einzige pgo_038.016 Eigenschaft der Körper nützen und muß daher diejenige wählen, welche pgo_038.017 das sinnlichste Bild des Körpers von der Seite erweckt, von welcher sie pgo_038.018 ihn braucht.
pgo_038.019 Lessing spricht vorzugsweise von der epischen und dramatischen pgo_038.020 Poesie und vom historischen Gemälde: darum die Beschränkung pgo_038.021 der Poesie auf Handlungen. Jm weitern Sinne müßte man dann pgo_038.022 Empfindungen, insofern sie auch in der Zeit aufeinanderfolgen, die pgo_038.023 innern Handlungen der Seele nennen. Oder glaubt Lessing die innere pgo_038.024 Welt der Seele, die Empfindung ausschließen zu müssen, weil hier der pgo_038.025 Vergleichungspunkt zwischen Malerei und Dichtkunst fortfällt? Fast pgo_038.026 scheint es so, denn er sagt vorher: "Jch will bei den Gemälden blos sichtbarer pgo_038.027 Gegenstände stehen bleiben, die dem Dichter und Maler gemein pgo_038.028 sind." Freilich malt der Künstler blos "Sichtbares," aber die Empfindungpgo_038.029 ist damit nicht ausgeschlossen. Ein Landschaftsbild z. B. ist nur pgo_038.030 dann gelungen, wenn es eine bestimmte Stimmung der Seelepgo_038.031 athmet. Lessing vergißt die Lyrik und die ihr entsprechende Landschaftsmalerei,pgo_038.032 weil er eine zu scharf ausgeprägte Verstandesnatur pgo_038.033 war, um sich auf diesem Gebiete der Jnnerlichkeit heimisch zu fühlen. pgo_038.034 Für die Poetik gestaltet sich die Frage so: inwieweit und wie darf pgo_038.035 der Dichter malen? Zunächst steht fest, daß das Malerische nie der
pgo_038.001 auseinandergesetzt; aber gerade die Schärfe seiner Bestimmungen läßt sie pgo_038.002 leicht einseitig erscheinen, wenn sie nicht einer erweiternden Auslegung pgo_038.003 theilhaft werden. Körper sind nach ihm der Gegenstand der Malerei; pgo_038.004 Handlungen der Gegenstand der Poesie. Doch Körper existiren nicht pgo_038.005 allein im Raume, sondern auch in der Zeit. Jede Erscheinung ist pgo_038.006 Wirkung einer vorhergehenden, Ursache einer folgenden, und somit das pgo_038.007 Centrum einer Handlung. Folglich kann die Malerei auch Handlungen pgo_038.008 nachahmen, aber nur andeutungsweise durch Körper. Auf der andern pgo_038.009 Seite können Handlungen nicht für sich selbst bestehen, sondern müssen pgo_038.010 gewissen Wesen anhängen. Jnsofern nun diese Wesen Körper sind oder pgo_038.011 als Körper betrachtet werden, schildert die Poesie auch Körper, aber nur pgo_038.012 andeutungsweise durch Handlungen. Die Malerei kann in ihren pgo_038.013 coexistirenden Compositionen nur einen einzigen Augenblick der Handlung pgo_038.014 nützen und muß daher den prägnantesten wählen. Ebenso kann pgo_038.015 die Poesie in ihren fortschreitenden Nachahmungen nur eine einzige pgo_038.016 Eigenschaft der Körper nützen und muß daher diejenige wählen, welche pgo_038.017 das sinnlichste Bild des Körpers von der Seite erweckt, von welcher sie pgo_038.018 ihn braucht.
pgo_038.019 Lessing spricht vorzugsweise von der epischen und dramatischen pgo_038.020 Poesie und vom historischen Gemälde: darum die Beschränkung pgo_038.021 der Poesie auf Handlungen. Jm weitern Sinne müßte man dann pgo_038.022 Empfindungen, insofern sie auch in der Zeit aufeinanderfolgen, die pgo_038.023 innern Handlungen der Seele nennen. Oder glaubt Lessing die innere pgo_038.024 Welt der Seele, die Empfindung ausschließen zu müssen, weil hier der pgo_038.025 Vergleichungspunkt zwischen Malerei und Dichtkunst fortfällt? Fast pgo_038.026 scheint es so, denn er sagt vorher: „Jch will bei den Gemälden blos sichtbarer pgo_038.027 Gegenstände stehen bleiben, die dem Dichter und Maler gemein pgo_038.028 sind.“ Freilich malt der Künstler blos „Sichtbares,“ aber die Empfindungpgo_038.029 ist damit nicht ausgeschlossen. Ein Landschaftsbild z. B. ist nur pgo_038.030 dann gelungen, wenn es eine bestimmte Stimmung der Seelepgo_038.031 athmet. Lessing vergißt die Lyrik und die ihr entsprechende Landschaftsmalerei,pgo_038.032 weil er eine zu scharf ausgeprägte Verstandesnatur pgo_038.033 war, um sich auf diesem Gebiete der Jnnerlichkeit heimisch zu fühlen. pgo_038.034 Für die Poetik gestaltet sich die Frage so: inwieweit und wie darf pgo_038.035 der Dichter malen? Zunächst steht fest, daß das Malerische nie der
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Gottschall, Rudolph: Poetik. Die Dichtkunst und ihre Technik [v]om Standpunkte der Neuzeit. Breslau, 1858, S. 38. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottschall_poetik_1858/60>, abgerufen am 22.12.2024.
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