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Gottschall, Rudolph: Poetik. Die Dichtkunst und ihre Technik [v]om Standpunkte der Neuzeit. Breslau, 1858.

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Sir Philipp Sidney sagt in seiner "Vertheidigung der Poesie" in pgo_416.002
Bezug auf die Bühne Shakespeare's: "Jhr habt Asien auf der einen, pgo_416.003
Afrika auf der andern Seite und soviele Reiche dazwischen, daß der pgo_416.004
Schauspieler, wenn er auftritt, immer erst sagen muß, wo er sich befindet, pgo_416.005
damit er nur verstanden werde. Da treten plötzlich drei Damen pgo_416.006
auf und sammeln Blumen, und wir müssen annehmen, daß die Bühne pgo_416.007
ein Garten sei -- dann ist von einem Schiffbruch die Rede, und die pgo_416.008
Bühne muß uns als ein Felsen erscheinen. Auf diesem zeigt sich ein häßliches, pgo_416.009
feuerschnaubendes Ungeheuer -- dann müssen die bedauernswerthen pgo_416.010
Zuschauer die Scene für eine Höhle halten, während zwei pgo_416.011
Armeen, von vier Schwertern und Schilden dargestellt, hereinstürmen pgo_416.012
-- wer würde sich da nicht erbitten lassen, in der Bühne ein Schlachtfeld pgo_416.013
zu erblicken? Jn der Zeit ist man noch weniger ängstlich, denn gewöhnlich pgo_416.014
verlieben sich ein Prinz und eine Prinzessin ineinander, nach vielen pgo_416.015
Zwischenfällen genest sie eines Knaben, eines schönen Buben; er geht verloren, pgo_416.016
wird ein Mann, verliebt sich und zeigt sich bereit, selbst Kinder zu pgo_416.017
bekommen, und das alles in einem Zeitraum von zwei Stunden." Wir pgo_416.018
sehn, daß schon die Romantik des alten Englands ihren Platen fand; pgo_416.019
und wenn auch die von Sidney gerügte Unklarheit der englischen Bühne pgo_416.020
durch die Dekorationen unseres Theaters beseitigt ist, so bleibt doch sein pgo_416.021
Tadel für den stürmischen Scenenwechsel der Stürmer und Dränger und pgo_416.022
der Romantiker, eines Tieck, Jmmermann und ihrer Nachbeter zu Recht pgo_416.023
bestehn, um so mehr, als auch die größere Hälfte der Shakespeare'schen pgo_416.024
Stücke durch ihre scenische Zerfahrenheit ihre übrigen Vorzüge wesentlich pgo_416.025
beeinträchtigt. Die altenglische Tragödie macht den Eindruck eines pgo_416.026
Urwaldes, der erst durch Lichtung für den guten Geschmack zugänglich pgo_416.027
wird. Das Hin- und Herfahren der Shakespearomanie auf der einen, pgo_416.028
die gezwungenen Einheitskünsteleien auf der andern Seite haben dem pgo_416.029
modernen Drama in seiner Entwickelung sehr geschadet. Wir glauben pgo_416.030
als Prinzip feststellen zu dürfen: die Einheit von Ort und Zeit muß pgo_416.031
insoweit beobachtet werden, als es die Einheit der Handlung verlangt. pgo_416.032
Verwandlung der Scene findet nach jedem Akte, der zugleich ein nothwendiger pgo_416.033
Einschnitt der Handlung ist, Statt. Jnnerhalb des Aktes dürfen pgo_416.034
die Verwandlungen höchstens zweimal stattfinden, weil ein öfterer pgo_416.035
Scenenwechsel die Stimmung nothwendig unterbricht. Aus dem gleichen

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Sir Philipp Sidney sagt in seiner „Vertheidigung der Poesie“ in pgo_416.002
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Einschnitt der Handlung ist, Statt. Jnnerhalb des Aktes dürfen pgo_416.034
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Zitationshilfe: Gottschall, Rudolph: Poetik. Die Dichtkunst und ihre Technik [v]om Standpunkte der Neuzeit. Breslau, 1858, S. 416. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottschall_poetik_1858/438>, abgerufen am 22.11.2024.