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Gottschall, Rudolph: Poetik. Die Dichtkunst und ihre Technik [v]om Standpunkte der Neuzeit. Breslau, 1858.

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die Schiller'schen Tragödieen vollkommen dem Grundsatze des pgo_411.002
Aristoteles, nur den "Carlos" und "Tell" ausgenommen, und verdanken pgo_411.003
dem energischen Fortgang der Handlung ihre großen und verdienten pgo_411.004
Erfolge.

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Was die dramatischen Charaktere betrifft, so verlangt Aristoteles, daß pgo_411.006
sie edel, angemessen, gleichartig und konsequent seien. Aristoteles pgo_411.007
spricht nur von der Tragödie, und von ihr, der Nachahmung des pgo_411.008
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welche, indem sie die individuelle Gestalt wiedergeben, sie zugleich pgo_411.010
wohlgetroffen und idealisirt malen." Diese Jdealität erleidet daher in pgo_411.011
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in den freieren Farben des Humors schimmern muß. Schon das Gleichniß pgo_411.013
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u. s. f. Die ideale Haltung darf nur nicht in das Aetherische übergehn, pgo_411.017
weder den Charakter zu einem Musterbild des Guten, zu einer Mosaik pgo_411.018
von lauter vortrefflichen Eigenschaften machen, noch in seiner Darstellung pgo_411.019
allzufeine Tinten der Seelenmalerei wählen, indem die innern Wallungen pgo_411.020
der Schönseligkeit keine dramatische Handlung gestalten können. Auf pgo_411.021
der andern Seite ist das inkarnirt Böse, die absolute moralische Mißgestalt, pgo_411.022
fehlerhaft, wenn sie, wie z. B. Franz Moor, nur als eine individuelle pgo_411.023
Verkrüppelung erscheint! Jst diese diabolische Energie dagegen pgo_411.024
nur das Gegenbild einer schwächlich verkümmerten Welt, wie Richard III., pgo_411.025
so gewinnt das Böse, als das Dämonische der Menschheit, eine höhere Berechtigung. pgo_411.026
Ueberhaupt ist auch das absolut Böse noch immer dramatischer, pgo_411.027
als das absolut Gute, weil es mit Energie seine bestimmten Zwecke verfolgt. pgo_411.028
Dies Dämonische der Leidenschaft aber, welche den Menschen von That pgo_411.029
zu That fortreißt und immer tiefer in das Gewebe des Bösen verstrickt, pgo_411.030
ist wahrhaft tragisch -- wir weisen nur auf Macbeth und Othello hin. pgo_411.031
Ueberhaupt bedürfen die dramatischen Charaktere der Energie. Denn pgo_411.032
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Handlung hervorgeht. Schwächliche und schwankende Charaktere können pgo_411.035
dies Jnteresse nicht erwecken, da sie nur halb sich ihren Zwecken hingeben.

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Aristoteles, nur den „Carlos“ und „Tell“ ausgenommen, und verdanken pgo_411.003
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Zitationshilfe: Gottschall, Rudolph: Poetik. Die Dichtkunst und ihre Technik [v]om Standpunkte der Neuzeit. Breslau, 1858, S. 411. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottschall_poetik_1858/433>, abgerufen am 25.11.2024.