Gottschall, Rudolph: Poetik. Die Dichtkunst und ihre Technik [v]om Standpunkte der Neuzeit. Breslau, 1858.pgo_021.001 pgo_021.002Erstes Hauptstück. Die Poesie im System der Künste. pgo_021.003 Erster Abschnitt. pgo_021.004Das Schöne und die Kunst. pgo_021.005 Jn der Begierde such' ich nach Genuß pgo_021.013 Und im Genuß verschmacht' ich nach Begierde. pgo_021.014 pgo_021.001 pgo_021.002Erstes Hauptstück. Die Poesie im System der Künste. pgo_021.003 Erster Abschnitt. pgo_021.004Das Schöne und die Kunst. pgo_021.005 Jn der Begierde such' ich nach Genuß pgo_021.013 Und im Genuß verschmacht' ich nach Begierde. pgo_021.014 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0043" n="E21"/> <div n="3"> <head> <hi rendition="#c"><lb n="pgo_021.001"/> Erstes Hauptstück.</hi> </head> <lb n="pgo_021.002"/> <head> <hi rendition="#c">Die Poesie im System der Künste. </hi> </head><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> <div n="4"> <lb n="pgo_021.003"/> <head> <hi rendition="#c">Erster Abschnitt.</hi> </head> <lb n="pgo_021.004"/> <head> <hi rendition="#c">Das Schöne und die Kunst.</hi> </head> <p><lb n="pgo_021.005"/> Der Verstand, der die Welt der Erscheinung in ihrem Zusammenhang <lb n="pgo_021.006"/> zu erkennen sucht, sieht sich alsbald in die unendliche Kette von Ursache <lb n="pgo_021.007"/> und Wirkung verstrickt. Jede Ursache <hi rendition="#g">hat</hi> eine Wirkung und <hi rendition="#g">ist</hi> selbst die <lb n="pgo_021.008"/> Wirkung einer vorausgehenden Ursache. Der Verstand kann seine Untersuchungen <lb n="pgo_021.009"/> nur willkürlich abbrechen oder beschränken, wenn er, an dieser <lb n="pgo_021.010"/> Kette fortlaufend, zur Ruhe kommen will. Ebenso unbefriedigend sind die <lb n="pgo_021.011"/> rastlosen Strebungen des Willens, welcher die Welt sich anzueignen sucht:</p> <lb n="pgo_021.012"/> <lg> <l>Jn der Begierde such' ich nach Genuß</l> <lb n="pgo_021.013"/> <l>Und im Genuß verschmacht' ich nach Begierde.</l> </lg> <p><lb n="pgo_021.014"/> Unerfüllt bleibt die Mehrzahl der Wünsche, welche das Herz bewegen; <lb n="pgo_021.015"/> der erfüllte Wunsch zeigt sich oft der Erfüllung unwerth, und der erreichte <lb n="pgo_021.016"/> Zweck weist über sich selbst nach einem andern fernern Ziele hinaus. Nur <lb n="pgo_021.017"/> wenn wir uns von jener Erkenntnißweise, von dieser blinden Macht der <lb n="pgo_021.018"/> Triebe losreißen, nur wenn wir die Dinge unabhängig von unserm Wollen <lb n="pgo_021.019"/> und von ihrem Zusammenhange mit andern Dingen betrachten, öffnet <lb n="pgo_021.020"/> sich uns die reine Welt der <hi rendition="#g">Jdeeen,</hi> in der wir das einzelne Object in <lb n="pgo_021.021"/> seiner ewigen Bedeutung erfassen und ebenso selbst als einzelnes Subject <lb n="pgo_021.022"/> mit den Augen des ewigen Geistes sehn. Diese Anschauungsweise nennt <lb n="pgo_021.023"/> <hi rendition="#g">Plato</hi> Enthusiasmus, <hi rendition="#g">Spinoza</hi> ein Sehen <foreign xml:lang="lat">sub specie aeternitatis</foreign>, <lb n="pgo_021.024"/> <hi rendition="#g">Schelling</hi> intellectuelle Anschauung, <hi rendition="#g">Schopenhauer</hi> die Betrachtungsart <lb n="pgo_021.025"/> der Dinge unabhängig vom Satze des Grundes; es ist die <lb n="pgo_021.026"/> Anschauung des Denkers, der das ewige Gesetz in der Erscheinung findet, <lb n="pgo_021.027"/> die Anschauung des Künstlers, der in der Sinnenwelt die göttliche Jdee </p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [E21/0043]
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Erstes Hauptstück. pgo_021.002
Die Poesie im System der Künste.
pgo_021.003
Erster Abschnitt. pgo_021.004
Das Schöne und die Kunst. pgo_021.005
Der Verstand, der die Welt der Erscheinung in ihrem Zusammenhang pgo_021.006
zu erkennen sucht, sieht sich alsbald in die unendliche Kette von Ursache pgo_021.007
und Wirkung verstrickt. Jede Ursache hat eine Wirkung und ist selbst die pgo_021.008
Wirkung einer vorausgehenden Ursache. Der Verstand kann seine Untersuchungen pgo_021.009
nur willkürlich abbrechen oder beschränken, wenn er, an dieser pgo_021.010
Kette fortlaufend, zur Ruhe kommen will. Ebenso unbefriedigend sind die pgo_021.011
rastlosen Strebungen des Willens, welcher die Welt sich anzueignen sucht:
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Jn der Begierde such' ich nach Genuß pgo_021.013
Und im Genuß verschmacht' ich nach Begierde.
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Unerfüllt bleibt die Mehrzahl der Wünsche, welche das Herz bewegen; pgo_021.015
der erfüllte Wunsch zeigt sich oft der Erfüllung unwerth, und der erreichte pgo_021.016
Zweck weist über sich selbst nach einem andern fernern Ziele hinaus. Nur pgo_021.017
wenn wir uns von jener Erkenntnißweise, von dieser blinden Macht der pgo_021.018
Triebe losreißen, nur wenn wir die Dinge unabhängig von unserm Wollen pgo_021.019
und von ihrem Zusammenhange mit andern Dingen betrachten, öffnet pgo_021.020
sich uns die reine Welt der Jdeeen, in der wir das einzelne Object in pgo_021.021
seiner ewigen Bedeutung erfassen und ebenso selbst als einzelnes Subject pgo_021.022
mit den Augen des ewigen Geistes sehn. Diese Anschauungsweise nennt pgo_021.023
Plato Enthusiasmus, Spinoza ein Sehen sub specie aeternitatis, pgo_021.024
Schelling intellectuelle Anschauung, Schopenhauer die Betrachtungsart pgo_021.025
der Dinge unabhängig vom Satze des Grundes; es ist die pgo_021.026
Anschauung des Denkers, der das ewige Gesetz in der Erscheinung findet, pgo_021.027
die Anschauung des Künstlers, der in der Sinnenwelt die göttliche Jdee
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