Gottschall, Rudolph: Poetik. Die Dichtkunst und ihre Technik [v]om Standpunkte der Neuzeit. Breslau, 1858.pgo_403.001 pgo_403.014 4. Die Epistel. pgo_403.015 pgo_403.001 pgo_403.014 4. Die Epistel. pgo_403.015 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <p><pb facs="#f0425" n="403"/><lb n="pgo_403.001"/> einer in ihren Lastern kolossalen Zeit; wir erinnern an <hi rendition="#g">Boileau</hi> und <lb n="pgo_403.002"/> <hi rendition="#g">Voltaire, Swift</hi> und <hi rendition="#g">Pope,</hi> an die vortrefflichen deutschen Muster <lb n="pgo_403.003"/> eines <hi rendition="#g">Lauremberg</hi> und <hi rendition="#g">Liskow,</hi> um unsere Generation zur Wiederbelebung <lb n="pgo_403.004"/> der selbstständigen <hi rendition="#g">satirischen Form</hi> anzuregen. Die <hi rendition="#g">Satire</hi> <lb n="pgo_403.005"/> als eine Stimmung des Gemüthes, welche die Wirklichkeit am Jdeal <lb n="pgo_403.006"/> mißt, kann freilich die verschiedensten dramatischen und epischen Formen <lb n="pgo_403.007"/> durchdringen; doch hat sie ebensogut ein Recht, sich ihre eigene Form zu <lb n="pgo_403.008"/> schaffen, welche durch rhythmische Getragenheit einen lapidaren Charakter <lb n="pgo_403.009"/> annimmt, den die charakterlose Humoreskenprosa des Feuilletons ihr <lb n="pgo_403.010"/> nicht gewähren kann. Auch auf diesem Gebiete werden die Nachwehen <lb n="pgo_403.011"/> der Heine'schen Richtung am besten durch eine künstlerische Fassung und <lb n="pgo_403.012"/> Anlehnung an antike Muster bei echt moderner Weltanschauung verwunden <lb n="pgo_403.013"/> werden.</p> </div> <div n="5"> <lb n="pgo_403.014"/> <head> <hi rendition="#c">4. Die Epistel.</hi> </head> <p><lb n="pgo_403.015"/> Auch diese Form verdient die Beachtung der modernen Dichter. Jn <lb n="pgo_403.016"/> ihrer geschichtlichen Behandlung wiegt oft das Lehrhafte, oft das Satirische, <lb n="pgo_403.017"/> wie bei <hi rendition="#g">Horaz, Pope, Wieland</hi> u. A. vor; doch die freiere <lb n="pgo_403.018"/> Form der <hi rendition="#g">Epistel,</hi> als des poetischen Briefes, der ein individuelles <lb n="pgo_403.019"/> Leben gewinnt durch die Person, die ihn schreibt und durch die, an welche <lb n="pgo_403.020"/> er gerichtet ist, erscheint geeignet für humoristische Ergüsse, welche eben <lb n="pgo_403.021"/> durch diese fast dramatischen Beziehungen zweier Charaktere und durch <lb n="pgo_403.022"/> die metrische Form einen künstlerischen Halt gewinnen. Wenn wir auch <lb n="pgo_403.023"/> die römische „<hi rendition="#g">Heroide</hi>“ des <hi rendition="#g">Ovid,</hi> und ihre Nachbildung von <hi rendition="#g">Pope, <lb n="pgo_403.024"/> Dorat, Laharpe, Hoffmannswaldau</hi> und <hi rendition="#g">Lohenstein,</hi> als die <lb n="pgo_403.025"/> <hi rendition="#g">pathetische Epistel,</hi> in welcher berühmte Männer und Frauen des <lb n="pgo_403.026"/> Mythos und der Geschichte die Helden des Briefwechsels sind, für bedenklich <lb n="pgo_403.027"/> halten, weil sie zu Monologen verführt und ungeeignet ist, einen <lb n="pgo_403.028"/> weltgeschichtlichen Charakter in seiner Bedeutung darzustellen: so giebt sie <lb n="pgo_403.029"/> doch einen lehrreichen Wink, welcher verschiedenartigen Ausbildung die <lb n="pgo_403.030"/> Epistel fähig ist. Ein lebendiges humoristisches Kulturbild der Gegenwart <lb n="pgo_403.031"/> läßt sich in einer solchen „Epistel“ vortrefflich vorführen; sie ist die <lb n="pgo_403.032"/> <hi rendition="#g">dichterisch geadelte</hi> Humoreske und Novellette; ja selbst einer Welt <lb n="pgo_403.033"/> von Stimmungen, psychologischen Entwickelungen, Reflexionen, für <lb n="pgo_403.034"/> welche nur die Prosa des Romans heutzutage eine Stätte bietet, eröffnet </p> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [403/0425]
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einer in ihren Lastern kolossalen Zeit; wir erinnern an Boileau und pgo_403.002
Voltaire, Swift und Pope, an die vortrefflichen deutschen Muster pgo_403.003
eines Lauremberg und Liskow, um unsere Generation zur Wiederbelebung pgo_403.004
der selbstständigen satirischen Form anzuregen. Die Satire pgo_403.005
als eine Stimmung des Gemüthes, welche die Wirklichkeit am Jdeal pgo_403.006
mißt, kann freilich die verschiedensten dramatischen und epischen Formen pgo_403.007
durchdringen; doch hat sie ebensogut ein Recht, sich ihre eigene Form zu pgo_403.008
schaffen, welche durch rhythmische Getragenheit einen lapidaren Charakter pgo_403.009
annimmt, den die charakterlose Humoreskenprosa des Feuilletons ihr pgo_403.010
nicht gewähren kann. Auch auf diesem Gebiete werden die Nachwehen pgo_403.011
der Heine'schen Richtung am besten durch eine künstlerische Fassung und pgo_403.012
Anlehnung an antike Muster bei echt moderner Weltanschauung verwunden pgo_403.013
werden.
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4. Die Epistel. pgo_403.015
Auch diese Form verdient die Beachtung der modernen Dichter. Jn pgo_403.016
ihrer geschichtlichen Behandlung wiegt oft das Lehrhafte, oft das Satirische, pgo_403.017
wie bei Horaz, Pope, Wieland u. A. vor; doch die freiere pgo_403.018
Form der Epistel, als des poetischen Briefes, der ein individuelles pgo_403.019
Leben gewinnt durch die Person, die ihn schreibt und durch die, an welche pgo_403.020
er gerichtet ist, erscheint geeignet für humoristische Ergüsse, welche eben pgo_403.021
durch diese fast dramatischen Beziehungen zweier Charaktere und durch pgo_403.022
die metrische Form einen künstlerischen Halt gewinnen. Wenn wir auch pgo_403.023
die römische „Heroide“ des Ovid, und ihre Nachbildung von Pope, pgo_403.024
Dorat, Laharpe, Hoffmannswaldau und Lohenstein, als die pgo_403.025
pathetische Epistel, in welcher berühmte Männer und Frauen des pgo_403.026
Mythos und der Geschichte die Helden des Briefwechsels sind, für bedenklich pgo_403.027
halten, weil sie zu Monologen verführt und ungeeignet ist, einen pgo_403.028
weltgeschichtlichen Charakter in seiner Bedeutung darzustellen: so giebt sie pgo_403.029
doch einen lehrreichen Wink, welcher verschiedenartigen Ausbildung die pgo_403.030
Epistel fähig ist. Ein lebendiges humoristisches Kulturbild der Gegenwart pgo_403.031
läßt sich in einer solchen „Epistel“ vortrefflich vorführen; sie ist die pgo_403.032
dichterisch geadelte Humoreske und Novellette; ja selbst einer Welt pgo_403.033
von Stimmungen, psychologischen Entwickelungen, Reflexionen, für pgo_403.034
welche nur die Prosa des Romans heutzutage eine Stätte bietet, eröffnet
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