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Gottschall, Rudolph: Poetik. Die Dichtkunst und ihre Technik [v]om Standpunkte der Neuzeit. Breslau, 1858.

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Romans in eine stoffartig wirkende, drastisch pikante Memoirenfolge pgo_390.002
bezeichnet. Von deutschen historischen Romanschriftstellern hat besonders pgo_390.003
Rehfues in "Scipio Cikala" den epischen Ton in einer oft meisterhaften pgo_390.004
Darstellungsweise getroffen, während Spindler sich durch eine erfindungsreiche pgo_390.005
Phantasie auszeichnet. Außerdem sind Wilibald Alexis, pgo_390.006
Heinrich Laube, Gustav Kühne
und vor Allen Heinrich König pgo_390.007
in seinem dem Socialroman der Gegenwart nahestehenden historischen pgo_390.008
Romane zu erwähnen*).

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2. Der Zeitroman.

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Der Zeitroman verlegt die Begebenheiten, die er um einen pgo_390.011
Mittelpunkt des Gedankens oder um die Persönlichkeit eines Helden pgo_390.012
gruppirt, in unsere Zeit und schafft, indem er das Leben der Gegenwart pgo_390.013
nach allen Richtungen hin erfaßt, zugleich für die Zukunft. Seine Berechtigung pgo_390.014
ist eine ungleich höhere, als die des historischen Romans! pgo_390.015
Sein Jnhalt ist frei erfunden, seine umfassende epische Form auf diesem pgo_390.016
Gebiete vollgültig, weil sie die Mannichfaltigkeit geistiger Strömungen pgo_390.017
und die unerschöpfliche Fülle des realen Lebens bequem und behaglich in pgo_390.018
sich aufnimmt. Wir dürfen von ihm nicht nur anschauliche Objektivität in pgo_390.019
Darstellung der Außenwelt verlangen, sondern auch geistigen Reichthum, pgo_390.020
psychologische Feinheit, Anatomie des Herzens und der Leidenschaft! Er pgo_390.021
darf ebenso tief nach innen, wie breit nach außen gehn und muß die pgo_390.022
Längen seiner Form dazu benutzen, das innere Leben bis in seine geheimsten pgo_390.023
Abgründe zu verfolgen. Wenn der Dramatiker ein durchgreifendes pgo_390.024
Motiv wählt, da darf der Romanschreiber jene ganze Kette verschlungener pgo_390.025
Motive entwickeln, aus denen das Handeln zuletzt in seiner Bestimmtheit pgo_390.026
hervorgeht, alle Vorstellungen, welche die Schwelle der Seele übersteigen, pgo_390.027
sich kreuzen, mit einander kämpfen, bis die einen über die andern den Sieg pgo_390.028
davontragen. Ebenso muß der moderne Romanschriftsteller alle objektiven pgo_390.029
Lebensverhältnisse kennen -- er muß Arzt, Kriminalist, Publicist, pgo_390.030
Oekonom zugleich sein und mit dem Organismus des menschlichen Leibes

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Vergl. über den neuesten historischen Roman in Deutschland meine "deutsche pgo_390.032
Nationalliteratur in der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts" Bd. II. p. 509 pgo_390.033
und folgd.

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Heinrich Laube, Gustav Kühne
und vor Allen Heinrich König pgo_390.007
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Romane zu erwähnen*).

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2. Der Zeitroman.

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Der Zeitroman verlegt die Begebenheiten, die er um einen pgo_390.011
Mittelpunkt des Gedankens oder um die Persönlichkeit eines Helden pgo_390.012
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davontragen. Ebenso muß der moderne Romanschriftsteller alle objektiven pgo_390.029
Lebensverhältnisse kennen — er muß Arzt, Kriminalist, Publicist, pgo_390.030
Oekonom zugleich sein und mit dem Organismus des menschlichen Leibes

*) pgo_390.031
Vergl. über den neuesten historischen Roman in Deutschland meine „deutsche pgo_390.032
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[390/0412] pgo_390.001 Romans in eine stoffartig wirkende, drastisch pikante Memoirenfolge pgo_390.002 bezeichnet. Von deutschen historischen Romanschriftstellern hat besonders pgo_390.003 Rehfues in „Scipio Cikala“ den epischen Ton in einer oft meisterhaften pgo_390.004 Darstellungsweise getroffen, während Spindler sich durch eine erfindungsreiche pgo_390.005 Phantasie auszeichnet. Außerdem sind Wilibald Alexis, pgo_390.006 Heinrich Laube, Gustav Kühne und vor Allen Heinrich König pgo_390.007 in seinem dem Socialroman der Gegenwart nahestehenden historischen pgo_390.008 Romane zu erwähnen *). pgo_390.009 2. Der Zeitroman. pgo_390.010 Der Zeitroman verlegt die Begebenheiten, die er um einen pgo_390.011 Mittelpunkt des Gedankens oder um die Persönlichkeit eines Helden pgo_390.012 gruppirt, in unsere Zeit und schafft, indem er das Leben der Gegenwart pgo_390.013 nach allen Richtungen hin erfaßt, zugleich für die Zukunft. Seine Berechtigung pgo_390.014 ist eine ungleich höhere, als die des historischen Romans! pgo_390.015 Sein Jnhalt ist frei erfunden, seine umfassende epische Form auf diesem pgo_390.016 Gebiete vollgültig, weil sie die Mannichfaltigkeit geistiger Strömungen pgo_390.017 und die unerschöpfliche Fülle des realen Lebens bequem und behaglich in pgo_390.018 sich aufnimmt. Wir dürfen von ihm nicht nur anschauliche Objektivität in pgo_390.019 Darstellung der Außenwelt verlangen, sondern auch geistigen Reichthum, pgo_390.020 psychologische Feinheit, Anatomie des Herzens und der Leidenschaft! Er pgo_390.021 darf ebenso tief nach innen, wie breit nach außen gehn und muß die pgo_390.022 Längen seiner Form dazu benutzen, das innere Leben bis in seine geheimsten pgo_390.023 Abgründe zu verfolgen. Wenn der Dramatiker ein durchgreifendes pgo_390.024 Motiv wählt, da darf der Romanschreiber jene ganze Kette verschlungener pgo_390.025 Motive entwickeln, aus denen das Handeln zuletzt in seiner Bestimmtheit pgo_390.026 hervorgeht, alle Vorstellungen, welche die Schwelle der Seele übersteigen, pgo_390.027 sich kreuzen, mit einander kämpfen, bis die einen über die andern den Sieg pgo_390.028 davontragen. Ebenso muß der moderne Romanschriftsteller alle objektiven pgo_390.029 Lebensverhältnisse kennen — er muß Arzt, Kriminalist, Publicist, pgo_390.030 Oekonom zugleich sein und mit dem Organismus des menschlichen Leibes *) pgo_390.031 Vergl. über den neuesten historischen Roman in Deutschland meine „deutsche pgo_390.032 Nationalliteratur in der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts“ Bd. II. p. 509 pgo_390.033 und folgd.

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Zitationshilfe: Gottschall, Rudolph: Poetik. Die Dichtkunst und ihre Technik [v]om Standpunkte der Neuzeit. Breslau, 1858, S. 390. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottschall_poetik_1858/412>, abgerufen am 22.11.2024.