pgo_389.001 Schottlands dazu trieb, das erzählende Gedicht, weil es ihm pgo_389.002 nicht Raum genug bot für die ausführliche Darstellung der geschichtlichen pgo_389.003 Alterthümer seines Vaterlandes, mit dem bequemeren Roman zu vertauschen. pgo_389.004 Das patriotische Jnteresse kann diesem Roman für einen engern pgo_389.005 Kreis einen erhöhten Reiz geben, wie ihn z. B. die brandenburgischen pgo_389.006 Romane von Wilibald Alexis für Preußen haben; oder die geschichtliche pgo_389.007 Epoche, welche der Romanschriftsteller darstellt, liegt der Gegenwart pgo_389.008 näher, ist ihr geistig verwandt und nimmt dadurch eine größere Theilnahme pgo_389.009 in Anspruch, wie z. B. in der "hohen Braut" und den "Klubbisten pgo_389.010 von Mainz" von Heinrich König. Niemals darf indeß die Absicht pgo_389.011 des Autors, ein Kulturgemälde zu entrollen, aufdringlich in den Vordergrund pgo_389.012 treten, sondern das Bild der ganzen Epoche muß sich ungezwungen pgo_389.013 aus den Ereignissen selbst ergeben, deren bunter und spannender Wechsel pgo_389.014 die Phantasie, nach dem alten Grundrechte des Romans, beschäftigt. pgo_389.015 Die künstlerische Bedeutung des historischen Romans bleibt dennoch eine pgo_389.016 unsichere, und wir glauben ihm keine Zukunft versprechen zu dürfen.
pgo_389.017 Walter Scott ist sein Schöpfer und Meister -- frühere ähnliche pgo_389.018 Dichtungen, wie z. B. in Deutschland: Lohenstein's "Arminius und pgo_389.019 Thusnelda," schlugen eine ganz andere Richtung ein. Die Fehler und pgo_389.020 Vorzüge Walter Scott's sind für den historischen Roman maaßgebend pgo_389.021 geblieben -- nur daß die geringere Begabung seiner Nachahmer, z. B. pgo_389.022 eines James, noch mehr die nüchterne Prosa der historischen Staatsaktionen pgo_389.023 hervorkehrte. Für untergeordnete Geister war die Walter pgo_389.024 Scott'sche Form willkommen, um den Spektakel der Ritter- und Räuberromane, pgo_389.025 an die schon Jvanhoe und Robin der Rothe erinnern, die pgo_389.026 wilde Romantik der Walpole'schen und Redcliffe'schen Schauerromane mit pgo_389.027 dem Schein einer neuen Berechtigung wieder aufleben zu lassen. Geistreiche pgo_389.028 Schriftsteller dagegen, wie Bulwer im "Rienzi" und zum Theil im pgo_389.029 "letzten der Barone," einem Werke, das auf der andern Seite wieder ein pgo_389.030 ausgezeichnetes Kulturgemälde ist, verfielen in ein mehr dramatisches pgo_389.031 Pathos, indem sie große weltgeschichtliche Kollisionen ausmalten. Victor pgo_389.032 Hugo ließ in "Notre dame" seiner Vorliebe für mittelalterliche Kunst in pgo_389.033 einer sonst mit narkotischem Effekt gewürzten Erzählung die Zügel schießen. pgo_389.034 Gleichbedeutend steht Alfred de Vigny da in seinem Cinq-Mars,pgo_389.035 während Alexander Dumas bereits die Verflachung des historischen
pgo_389.001 Schottlands dazu trieb, das erzählende Gedicht, weil es ihm pgo_389.002 nicht Raum genug bot für die ausführliche Darstellung der geschichtlichen pgo_389.003 Alterthümer seines Vaterlandes, mit dem bequemeren Roman zu vertauschen. pgo_389.004 Das patriotische Jnteresse kann diesem Roman für einen engern pgo_389.005 Kreis einen erhöhten Reiz geben, wie ihn z. B. die brandenburgischen pgo_389.006 Romane von Wilibald Alexis für Preußen haben; oder die geschichtliche pgo_389.007 Epoche, welche der Romanschriftsteller darstellt, liegt der Gegenwart pgo_389.008 näher, ist ihr geistig verwandt und nimmt dadurch eine größere Theilnahme pgo_389.009 in Anspruch, wie z. B. in der „hohen Braut“ und den „Klubbisten pgo_389.010 von Mainz“ von Heinrich König. Niemals darf indeß die Absicht pgo_389.011 des Autors, ein Kulturgemälde zu entrollen, aufdringlich in den Vordergrund pgo_389.012 treten, sondern das Bild der ganzen Epoche muß sich ungezwungen pgo_389.013 aus den Ereignissen selbst ergeben, deren bunter und spannender Wechsel pgo_389.014 die Phantasie, nach dem alten Grundrechte des Romans, beschäftigt. pgo_389.015 Die künstlerische Bedeutung des historischen Romans bleibt dennoch eine pgo_389.016 unsichere, und wir glauben ihm keine Zukunft versprechen zu dürfen.
pgo_389.017 Walter Scott ist sein Schöpfer und Meister — frühere ähnliche pgo_389.018 Dichtungen, wie z. B. in Deutschland: Lohenstein's „Arminius und pgo_389.019 Thusnelda,“ schlugen eine ganz andere Richtung ein. Die Fehler und pgo_389.020 Vorzüge Walter Scott's sind für den historischen Roman maaßgebend pgo_389.021 geblieben — nur daß die geringere Begabung seiner Nachahmer, z. B. pgo_389.022 eines James, noch mehr die nüchterne Prosa der historischen Staatsaktionen pgo_389.023 hervorkehrte. Für untergeordnete Geister war die Walter pgo_389.024 Scott'sche Form willkommen, um den Spektakel der Ritter- und Räuberromane, pgo_389.025 an die schon Jvanhoe und Robin der Rothe erinnern, die pgo_389.026 wilde Romantik der Walpole'schen und Redcliffe'schen Schauerromane mit pgo_389.027 dem Schein einer neuen Berechtigung wieder aufleben zu lassen. Geistreiche pgo_389.028 Schriftsteller dagegen, wie Bulwer im „Rienzi“ und zum Theil im pgo_389.029 „letzten der Barone,“ einem Werke, das auf der andern Seite wieder ein pgo_389.030 ausgezeichnetes Kulturgemälde ist, verfielen in ein mehr dramatisches pgo_389.031 Pathos, indem sie große weltgeschichtliche Kollisionen ausmalten. Victor pgo_389.032 Hugo ließ in „Notre dame“ seiner Vorliebe für mittelalterliche Kunst in pgo_389.033 einer sonst mit narkotischem Effekt gewürzten Erzählung die Zügel schießen. pgo_389.034 Gleichbedeutend steht Alfred de Vigny da in seinem Cinq-Mars,pgo_389.035 während Alexander Dumas bereits die Verflachung des historischen
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Gottschall, Rudolph: Poetik. Die Dichtkunst und ihre Technik [v]om Standpunkte der Neuzeit. Breslau, 1858, S. 389. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottschall_poetik_1858/411>, abgerufen am 22.11.2024.
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