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Gottschall, Rudolph: Poetik. Die Dichtkunst und ihre Technik [v]om Standpunkte der Neuzeit. Breslau, 1858.

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für den Roman, der ja nur ein Segment aus dem breiten Kreise des pgo_385.002
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Kollision in entscheidender Weise zum Ziele führt.

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Dies Verlaufen in die Prosa des Lebens läßt die Grenzen des pgo_385.005
Romans nicht so scharf hervortreten, daß er als ideales Kunstwerk auf sich pgo_385.006
selbst ruhen könnte. Sein Zusammenhang mit äußerlichen Jnteressen, die pgo_385.007
für eine poetische Verklärung nicht durchsichtig genug sind, tritt nun auch pgo_385.008
in seinem Verlauf hervor; seine Form hat nicht genügende künstlerische pgo_385.009
Begrenzung, um das Hereinbrechen einer überfluthenden Prosa zu verhindern. pgo_385.010
Besonders nach zwei Seiten hin wird die reine Linie der pgo_385.011
Schönheit leicht überschritten: das unästhetisch sinnliche, materiell pgo_385.012
prickelnde, und das tendenziös didaktische Element trüben die künstlerische pgo_385.013
Reinheit des Romans und machen seine bequeme und geduldige Form pgo_385.014
zu einem Gefäß für die verschiedenartigsten Zwecke, welche außerhalb der pgo_385.015
selbstgenugsamen Harmonie des Schönen liegen. Die Effekthascherei pgo_385.016
durch grelle Situationen und eine gewaltthätige Spannung, wie sie in pgo_385.017
den alten Ritter- und Räuberromanen und in vielen neufranzösischen pgo_385.018
Socialromanen herrscht, zerstört die reine Wirkung des Schönen, indem pgo_385.019
sie mehr die Nerven, als den Geist in Erregung zu bringen sucht. Hierher pgo_385.020
gehört auch das erotische Element, das schon den Hellenischen pgo_385.021
Anfängen des Romans in starker Dosis beigemischt war. Der Roman pgo_385.022
gewährt bereitwillig den Raum zu einer behaglichen und breiten Ausmalung pgo_385.023
des sinnlich Ueppigen, der erotischen Situation. Seit dem pgo_385.024
Priapeischen Roman des Petronius bis zum Ritter Faublas von Louvet, pgo_385.025
bis zu Schlegel's "Lucinde," den sinnlichen diableries von Paul de pgo_385.026
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Nuditäten in Gutzkow's "Wally" und den Pariser Salons von Heine pgo_385.028
ist der sinnliche Reiz und die sinnliche Spannung ein wesentliches Ferment pgo_385.029
der Romanliteratur geblieben. Wieland in seinen hellenisirenden, pgo_385.030
die George Sand in ihren geistvollen und klassisch schönen Socialromanen pgo_385.031
haben sich von diesen sinnlich üppigen Auswüchsen nicht freigehalten, pgo_385.032
zu denen die Form des Romans selbst durch ihre gewährenlassende Breite pgo_385.033
herausfordert. Auf der andern Seite giebt es kaum eine religiöse, pgo_385.034
philosophische, politische, pädagogische, sociale Tendenz, welche nicht in pgo_385.035
neuester Zeit versucht hätte, im Gewand des Romans größere Beliebtheit

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Zitationshilfe: Gottschall, Rudolph: Poetik. Die Dichtkunst und ihre Technik [v]om Standpunkte der Neuzeit. Breslau, 1858, S. 385. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottschall_poetik_1858/407>, abgerufen am 25.11.2024.