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Gottschall, Rudolph: Poetik. Die Dichtkunst und ihre Technik [v]om Standpunkte der Neuzeit. Breslau, 1858.

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bedürfte Redwitz eines neuen Meister Ludoviko, der seine Charaktere pgo_367.002
mit hyperbolischem Humor aufbliese und ausweitete, und sein Held pgo_367.003
Jungwalter, der aufdringlich predigerhafte Ritter, eines neuen Astolf, pgo_367.004
der ihm seinen Verstand in einer Flasche vom Monde herunterholte!

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3. Das religiöse Epos.

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Das religiöse Epos benutzt die Gestalten des Glaubens nicht als pgo_367.007
eine in die Geschicke der Menschen eingreifende Göttermaschinerie, sondern pgo_367.008
es macht sie zu selbstständigen Helden großer Dichtungen! Gehören diese pgo_367.009
Gestalten dem dogmatischen Kreise des christlichen Glaubens an, so liegt pgo_367.010
die Gefahr nahe, daß die epische Plastik verloren geht, daß an ihre Stelle pgo_367.011
verschwimmende Umrisse treten, indem die Jnnerlichkeit und Vergeistigung pgo_367.012
dieser Religion keine Skulpturbilder der Vorstellung duldet. Auf pgo_367.013
der andern Seite schien dem Kunstepos eine neue Volksthümlichkeit zu pgo_367.014
erblühn, indem es religiöse Stoffe wählte, welche im Herzen der Nation, pgo_367.015
im Herzen der ganzen Christenheit lebendig waren. Die große Trias pgo_367.016
der religiösen Ependichter Dante, Milton und Klopstock hat, bei pgo_367.017
aller Bedeutung ihres Genius, die erste Klippe nicht vermeiden können, pgo_367.018
aber ebenso durch die Wahl ihrer Stoffe eine tiefgreifende Volksthümlichkeit pgo_367.019
gewonnen.

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Dante und Milton haben vor Klopstock voraus, daß ihre religiösen pgo_367.021
Epen zugleich eine politische Bedeutung haben, daß Dante die hervorragendsten pgo_367.022
Männer seiner Zeit vor das erhabene Tribunal seiner weltgerichtlichen pgo_367.023
Muse lud, daß Milton seinen kühnen puritanischen Rebellengeist pgo_367.024
dem höllischen Lucifer lieh. Dante hat sich in seiner "göttlichen pgo_367.025
Komödie," hervorgerufen durch die antiken Vorbilder, die Homerische pgo_367.026
und Virgilische Schilderung der Unterwelt, auf welche er die Ueberlieferungen pgo_367.027
seines Glaubens übertrug, von allen diesen Dichtern die größte pgo_367.028
Freiheit der Phantasie bewahrt und verdankt der religiösen Vorstellung pgo_367.029
nur den jenseitigen Kosmos, den er frei mit den Gestalten seiner Einbildungskraft pgo_367.030
bevölkert. Die Weltgeschichte als Weltgericht in das Jenseits pgo_367.031
verlegt, -- das ist der Stoff seiner großartigen und unerschöpflichen pgo_367.032
Jntuition in der divina commedia. Dabei war dieser große Ghibelline pgo_367.033
volksthümlich in des Wortes strengster Bedeutung! Denn gerade was pgo_367.034
ihn zum Liebling der heutigen gelehrten Analyse macht, die bis in's

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verlegt, — das ist der Stoff seiner großartigen und unerschöpflichen pgo_367.032
Jntuition in der divina commedia. Dabei war dieser große Ghibelline pgo_367.033
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Zitationshilfe: Gottschall, Rudolph: Poetik. Die Dichtkunst und ihre Technik [v]om Standpunkte der Neuzeit. Breslau, 1858, S. 367. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottschall_poetik_1858/389>, abgerufen am 25.11.2024.